von Jeremias Heppeler, 13.11.2025
Gegen die eigenen Schatten

Mit dem zweiten Konzert direkt ins bandXOst-Finale: Die düstere Weinfelder HipHop-Gruppe Bloodmoonclique vertritt den Thurgau beim Nachwuchs-Wettbewerb am 22. November in St. Gallen. Wir stellen die Band vor. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Wenn eines Tages die Geschichte von Bloodmoonclique verfilmt werden sollte, dann dreht sich zumindest die Anfangsszene wie von selbst. Denn die Geschichte, wie sich die beiden Rapper NIGHTØWL und Rory Omen kennenlernten, könnte auch als Drehbuch durchgehen.
Wir schreiben den Februar des Jahres 2020, die ersten Corona-Fälle breiten sich in Europa aus. Am Bahnhof Weinfelden sitzt Jaro, der sich in seiner Musik NIGHTØWL nennt und der zu diesem Zeitpunkt mit einem Suchtproblem zu kämpfen hat. Er würde sich gerne etwas zum Essen aus dem Automaten ziehen, aber das Geld reicht nicht. Also schnorrt er die Menschen am Bahnhof an. Ohne Erfolg. Einer nach dem anderen zieht an ihm vorbei, winkt genervt ab oder antwortet gar nicht.
Doch dann steht da plötzlich so ein Typ und drückt ihm ein paar Franken in die Hand. Er heisst Rory und sie kommen ins Gespräch. Rory macht auch Musik, die beiden connecten sofort.
Reinhören: So klingen Bloodmoonclique
Vom Bahnsteig ins Internet
Und doch soll dieses Treffen für die nächsten beiden Jahre das einzige im echten Leben bleiben. Jaro und Rory verfolgen sich und die jeweilige Musik zunächst ausschliesslich online. Doch hier im Internet, zwischen Storys und Posts, merken sie, dass nicht nur der Musikgeschmack, sondern das gesamte Weltbild irgendwie matched.
Die beiden verabreden sich zu einer Studiosession in Rorys Homestudio, dort soll eigentlich nur ein Feature entstehen. Der erste Song «Solus», der mittlerweile gelöscht wurde, wird zum Kickstarter, denn der Vibe und die Energie passen einfach. Wie damals am Bahnsteig, wie später auf Instagram.
In der Folge treffen sich die zwei Musiker beinahe wöchentlich, um Musik zu machen. In zwei Monaten entstehen zehn Songs und eine Idee: Warum nicht als Gruppe zusammenarbeiten? Die Bloodmoonclique wird geboren!
Die Jury hat entschieden: Acht herausragende Acts aus der Ostschweiz und dem Fürstentum Liechtenstein stehen im Finale von bandXost 2025. Nach einer Rekordsaison mit knapp 60 teilnehmenden Bands verspricht das grosse Jubiläumsfinale am Samstag, 22. November 2025, in der Grabenhalle St. Gallen ein Abend voller musikalischer Vielfalt – von kraftvollem Metal über gefühlvollen Pop bis zu urbanem HipHop. Mit dabei sind TINKA, Cutting Curves, Bloodmoonclique, Fate of Faith, Zoe Hannah, Reviväl, CIMILO und Steno. Showtime ist um 20.00 Uhr (Türöffnung 19 Uhr).
Tickets: CHF 10.– an der Abendkasse.
Alle Infos, Musik-Previews und die Top-8-Playlist gibt’s auf bandxost.ch.
Zum Wettbewerb: Seit nunmehr 20 Jahren bietet der Nachwuchswettbewerb bandXost jungen Musiker:innen aus der Ostschweiz und dem Fürstentum Liechtenstein eine Plattform, um ihr Talent zu zeigen und wertvolle Bühnenerfahrung zu sammeln. Was 2005 als kleine regionale Initiative begann, hat sich zu einem der bedeutendsten Förderprogramme für junge Musikschaffende in der Region entwickelt. Zahlreiche heute bekannte Acts machten hier ihre ersten Schritte – mit Unterstützung einer engagierten Jury, professionellen Coachings und grosser Leidenschaft für die Musik.
Das Internet verändert den HipHop
Die Entstehungsgeschichte von NIGHTØWL und Rory Omen offenbart besonders griffig, wie das Internet die HipHop-Szene weltweit verändert hat. Früher ein rein urbanes Phänomen, hat das WorldWideWeb die Szene aus den Städten in die abgelegensten Winkel getragen.
Heute können immer und überall die nischigsten Szenen entstehen. Jugend- und Popkultur erscheint heute komplex und flink – sie connected, remixt und vermischt. Und genau deshalb kann es passieren, dass sich am Bahnhof Weinfelden plötzlich zwei Typen treffen, die Kurt Cobain, Lil Peep und XXXTentacion feiern und wenig später im Thurgau dunkeldüsteren HipHop produzieren – auch, um sich konsequent von der konformen Masse abzuheben und eigene Traumata aufzuarbeiten:
«Wir hatten schon immer das Gefühl, dass alle in unserem Alter Masken tragen und ein Scheinbild von sich zeigen, um immer gut dazustehen. Das führte dazu, dass wir von Peergroups in der Schule und auch allgemein als Aussenseiter angesehen wurden. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, die Dinge, die wir durchlebt haben und die für viele im Thurgau unüblich oder tabu sind, auszusprechen und einfach wir selbst zu sein», erklärt Jaromir Rist alias NIGHTØWL im Gespräch über die Motivation der Band.
Dunkle Themen, ehrliche Musik
Und ja, Bloodmoonclique machen selbstbewussten und konsequenten Aussenseiter-Rap, der sich in seiner Ästhetik an Emo und Horrorcore orientiert und sich teilweise an extremen Metaphern bedient.
Die Musik ist schnell, intensiv und lebt davon, keine Perfektion anzustreben. Gefühle und Emotionen sind im Zweifel wichtiger als Technik. Dahinter verbirgt sich der künstlerische Ansatz, Erinnerungen an negative Erfahrungen für sich selbst zu kondensieren und zu reflektieren – aber auch anderen zu veranschaulichen, dass sie mit diesen Gefühlen nicht alleine sind.
«Wir wurden beide in unserer Kindheit und Jugend mit Themen wie Sucht, Suizid, Mobbing und Selbsthass konfrontiert. Unsere Texte sind für uns ein Sprachrohr, um das Erlebte zu regulieren und unsere Umgebung damit zu konfrontieren, dass es Abgründe gibt, die man niemandem wünscht. Wir distanzieren uns gegen Sexismus und Homophobie und wollen Menschen, die solche Dinge erleben müssen, einen akustischen Rückzugsort bieten.»
Vom Schlafzimmer auf die grosse Bühne
Dass ausgerechnet die Bloodmoonclique, die immer noch in Rorys Schlafzimmer aufnimmt, den Thurgau beim traditionellen bandXOst-Wettbewerb im Finale vertritt, damit war bis vor Kurzem nicht zu rechnen. Denn obwohl die beiden Musiker in den letzten Jahren eine Menge Musik veröffentlicht haben, war ihnen die Bühne bis vor Kurzem fremd.
Erst durch einen kurzen Open-Mic-Auftritt im Konstanzer Kulturladen, möglich gemacht durch ihre Szenefreunde vom Kollektiv «Underground Upside» aus Singen, hatten Rory und Jaro Blut geleckt und sich infolgedessen zum Wettbewerb angemeldet. «Wir sind ohne grosse Erwartungen weiterzukommen angereist, aber wir haben energetisch schnell gemerkt, dass wir das Potenzial haben, um das Kaff abzureissen. Nach dem Konzert waren wir dann sehr optimistisch, weiterzukommen, was sich dann auch bewahrheitet hat. Jetzt sind wir ready, auch die Grabenhalle in Saint City einzunehmen!»
Reinhören: So klingen Bloodmoonclique

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