von Inka Grabowsky, 22.02.2021
Gruss aus der Steinzeit-Küche

Auftakt der neuen Serie #Lieblingsstücke. Teil 1: Im Museum für Archäologie in Frauenfeld erzählt eine kleine Scherbe eine grosse Geschichte. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Es ist ein recht unscheinbares Objekt, das mich in der Ausstellung zur Jungsteinzeit berührt. In der Vitrine, die den Fischfang vor 5400 Jahren beschreibt, liegt der Überrest eines Tontopfes, in dem einst eine Suppe offenkundig anbrannte.
In meinem Kopf entstehen unwillkürlich Bilder dazu. Ob sich die Köchin oder der Koch wohl geärgert hat? Ob es Familiendramen gab? Museumsleiter Urs Leuzinger beruhigt: „Das dürfte damals ganz normal gewesen sein. Die Kruste aus Getreideresten und Fisch machte das Tongefäss wasserfest und kittete kleine Risse in der Keramik. Wohlmöglich gab es sogar ein interessantes Raucharoma.“ Mein Mitleid sei fehl am Platz.

Wie man heute erforschen kann, was damals gegessen wurde
Während mich der vermeintliche kulinarische Misserfolg mit dem Pfahlbauer-Koch verbindet, ist für den Experten die Tonscherbe aus anderen Gründen wichtig. 1993 trat sie im Ausgrabungsfeld Arbon Bleiche 3 zu Tage. Kurz vor einem Grossbauprojekt durften Fachleute das Areal untersuchen.
Mehr als eine Tonne Keramik-Reste fanden sie, darunter auch mehrere Scherben, die Aufschluss über die Nahrungsgewohnheiten im Neolithikum geben. „Wir haben die Funde optisch und mittels Fettanalyse erforscht“, so der Archäologe. „Heute würde man Isotopen- und DNA-Untersuchungen machen. Die standen uns damals noch nicht zur Verfügung.“
Der verkohlte Belag erlaubt trotzdem Rückschlüsse auf das Rezept des Eintopfes: Man nehme Felchen, Speck, Sellerie, Pilze, Rollgerste, Wasser, Kräuter und etwas Honig, und fertig ist der Brei.
Das Wissen liegt manchmal auch, sorry, in der Scheisse
Wer nun glaubt, die Analyse von angebranntem Essen sei ein wenig unappetitlich, möge sich klarmachen, woraus Archäologen sonst ihre Erkenntnisse ziehen. Während Knochenfunde belegen, welche Säugetiere die Pfahlbauern assen, haben sich weiche Fischgräten über die Jahrtausende kaum erhalten – ausser in Hundekot.
Die Häufchen, die in der Kulturschicht von Arbon Bleiche 3 eingebettet waren, enthielten Fischwirbel und -Schuppen. So konnten Wissenschaftler belegen, dass es schon in der Jungsteinzeit sowohl Blaufelchen als auch Wanderrenken im Bodensee gab.
Und das heisst gleichzeitig, dass der Bodensee in der Jungsteinzeit ein klares, sauerstoffreiches Gewässer mit nicht allzu viel Nährstoffen war, denn nur dort fühlen sich diese Fische wohl.

Die Scherbe zeigt, wie Ötzis Zeitgenossen speisten
Die Fischsuppen-Scherbe ist ein gefragtes Ausstellungsobjekt, weil sie sowohl für Laien als auch für Experten eine Geschichte erzählt. Das Thurgauer Museum für Archäologie hat sie schon das eine oder andere Mal ausgeliehen, unter anderem nach Bozen ins Südtiroler Archäologiemuseum, wo sie illustrierte, wie der „Ötzi“ sich wohl verpflegt hat.
Bauholz, das ebenfalls in Arbon Bleiche 3 gefunden wurde, liess sich aufgrund der Jahresringforschung auf die Zeit von 3.384 bis 3.370 vor Christus datieren, also genau in die Lebenszeit der berühmten Steinzeit-Leiche.
Die Serie #Lieblingsstücke und wie Du mitmachen kannst
In unserer neuen Serie #Lieblingsstücke schreiben Thurgaukultur-KorrespondentInnen über besondere Kunstwerke im Kanton. Das ist der Start für ein grosses Archiv der beliebtesten Kulturschätze im Thurgau. Denn: Wir wollen auch wissen, welches ist Dein Lieblings-Kunststück aus der Region?
Skulpturen, Gemälde, historische oder technische Exponate, Installationen, Romane, Filme, Theaterstücke, Musik, Fotografie - diese #Lieblingsstücke können ganz verschiedene Formen annehmen. Einige der vorgestellten Werke stehen im öffentlichen Raum, manche sind in Museen zu finden, andere wiederum sind vielleicht nur digital erlebbar. Die Serie soll bewusst offen sein und möglichst viel Vielfalt zulassen.
Schickt uns eure Texte (maximal 3000 Zeichen), Fotos, Audiodateien oder auch Videos von euch mit euren Lieblingswerken und erzählt uns, was dieses Werk für euch zum #Lieblingsstück macht. Kleinere Dateien gerne per Mail an redaktion@thurgaukultur.ch, bei grösseren Dateien empfehlen wir Transport via WeTransfer.
Oder ihr schreibt einen Kommentar am Ende dieses Textes oder zum entsprechenden Post auf unserer Facebook-Seite. Ganz wie ihr mögt: Unsere Kanäle sind offen für euch!
Alle Beiträge sammeln wir und veröffentlichen wir sukzessive im Rahmen der Serie. Sie werden dann gebündelt im Themendossier #lieblingsstücke zu finden sein.

Von Inka Grabowsky
Weitere Beiträge von Inka Grabowsky
- Von Schmuggelfahrt und Gaumenkitzel (29.04.2025)
- «Die schönste Nische der Literatur» (28.04.2025)
- Vom harten Kampf um Aufmerksamkeit (14.04.2025)
- Alte Frage gelöst, neues Rätsel gefunden (02.04.2025)
- Zwei Hundertjährige, die ausstiegen und malten (01.04.2025)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Wissen
Kommt vor in diesen Interessen
- Archäologie
- Bodensee
Ist Teil dieser Dossiers
Ähnliche Beiträge
Von Schmuggelfahrt und Gaumenkitzel
Das Napoleonmuseum Arenenberg nimmt eine legendäre Schmuggelaktion von 400 Rebstöcken «Müller-Thurgau» vor hundert Jahren zum Anlass, ausführlich über Weinkultur am Bodensee zu informieren. mehr
Alte Frage gelöst, neues Rätsel gefunden
Einmal im Jahr ziehen die Archäologen des Kantons Bilanz und berichten der Öffentlichkeit, was sie in den vergangenen zwölf Monaten herausgefunden haben. mehr
Der Trümmermann
Welche Spuren hat der Zweite Weltkrieg im Thurgau hinterlassen? Konfliktarchäologen wie Beat Möckli gehen regelmässig auf die Suche. Manchmal stossen sie dabei auch auf Wunder. mehr