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von Linda Lengler, 04.09.2023

Kulturpotpourri in Steckborn

Kulturpotpourri in Steckborn
Julia A. Sattler und Carina Neumer, die beiden Co-Leiter:innen des Phönix-Theater Steckborn. | © Linda Lengler

Seit Januar dieses Jahres haben Julia A. Sattler und Carina Neumer die Leitung des Phoenix Theater in Steckborn übernommen. Jetzt ziehen sie eine erste Bilanz.

Das Phoenix Theater ist einer dieser besonderen Orte, an dem Kultur auf dem Land einen Ausdruck findet und in kleinem und feinem Rahmen künstlerischen Aufführungen eine Plattform bietet. Es ist nicht nur die malerische Kulisse, die dem Gebäude eine Wirkung verleiht. Auch das neue und abwechslungsreiche Programm zieht Besucher:innen an. 

Als Julia A. Sattler und Carina Neumer die Leitung des Theaters im Januar übernahmen, hatten sie sich schon seit einigen Monaten in ihren neuen Beruf auf ehrenamtlicher Basis eingearbeitet. Was den beiden professionellen Tänzerinnen am Phoenix Theater immer gefiel, waren die Tanzaufführungen, mit denen sich das Theater auch einen Namen in der Schweizerischen Kulturszene gemacht hat. Der frühere Leiter Philippe Wacker hatte dies eingeführt und damit den Blick des klassischen Theaters geweitet. Diesen Blick über den Tellerrand führen die beiden nun weiter. „Die erste Hälfte der neuen Saison ist ein wunderbares Potpourri aus Tanz, Musik, Theater und Kino, gekrönt mit einer Disconacht unter dem Vollmondhimmel!“, leitet der Newsletter in den Saisonstart ein.

Die Saison beginnt am 9. September mit dem Stück „Z.TRONE“ der Schaffhauser DOXS-Tanzkompanie. Das Tanztheater behandelt das Schamgefühl. „In dem Stück werden alle Facetten von Scham aufgezeigt. Fremdscham, aber auch nicht nur die negativ konnotierte Scham, sondern eben auch eine leichte Scham, bei der man über sich selbst lachen kann“, beschreibt Neumer das Stück.

 

Malerische Kulisse in Steckborn. Bild: W.Völker

 

Mehr Fördermittel, mehr Möglichkeiten

Bisher wurde das Phoenix Theater vom Kanton mit CHF 55‘000 unterstützt. Mit einem Antrag auf weitere Fördergelder konnten die beiden Leiterinnen nun eine Höhe von CHF 120‘000 erzielen. Die Gelder fließen in strategische Erneuerungsmaßnahmen, wie beispielsweise eine neue Webseite, ein neues Logo und eine Professionalisierung des Konzepts. Bisher hatte Wacker die Stelle der Leitung mit 40 Prozent bezahlten und vielen unbezahlten Stunden abgedeckt. Nun betreuen die Leiterinnen das Theater mit 80 Prozent, also jeweils mit einer 40 Prozent Stelle. Inzwischen gibt es auch einen festangestellten Haustechniker. Die Stadt Steckborn unterstützt das Theater mit jährlich CHF 29‘000 und mit CHF 6‘000 für Projekte. 

Die Gage der Künstler:innen wird größtenteils über die Ticketeinnahmen finanziert. „Das ganze geht aber auch nur, weil wir wirklich sehr engagierte ehrenamtliche Helfer haben, die uns an der Bar und an der Kasse unterstützen“, so Sattler. Im Vordergrund stehe nun die Professionalisierung des Konzepts, wofür die Gelder vom Kanton gedacht sind. „So ein Theater hat einfach permanent laufende Kosten und neben der Gage der Künstler müssen ja auch Strom, Übernachtungskosten und die Personalkosten des Theaters gedeckt werden. Wir Tänzerinnen sind das aber auch ein bisschen gewohnt. Das ist wie eine Krankheit von klein auf mit dem knappen Geld.“

Die Veränderung kommt gut an

Veränderungen kommen nicht bei allen gut an, vor allem wenn es um ein kleines Theater auf dem Land geht, wie in Steckborn. „Als erstes haben wir die Startzeit der Stücke auf 19.30 Uhr vorverlegt, damit auch die Zürcher:innen kommen können und die letzte Zugverbindung zurück erwischen“, schmunzelt Julia Sattler. Als sie noch in Zürich lebte, war das immer ein Problem für sie und, wie sie sagt, auch ein Grund zum Teil nicht zu kommen. Es gebe immer ein paar Stimmen, die das nicht gut fänden aber größtenteils begrüßen die Besucher:innen die frühere Zeit. Es geht in ihrem Konzept also auch darum, mehr Besucher:innen ins Theater zu locken. Die Kapazität ist allerdings schnell ausgelastet: mit 90 Sitzplätzen waren die Aufführungen im letzten halben Jahr oft ausverkauft. „Das hat sich ein bisschen verändert. Vor Corona haben viele ihre Tickets schon ein paar Wochen im Voraus gebucht. Jetzt merken wir zwei, drei Tage vorher, wie der Verkauf der Tickets angeht“, erzählt Carina Neumer. 

 

Die 90 Plätze warenim letzten halben Jahr oft schnell ausverkauft. Bild: Elaine Fehrenbach

 

Neben der Startzeit haben die beiden auch das Foyer im Theater ein wenig umgestaltet, um einen offeneren Raum zu kreieren. „Wir sind hier ein riesengroßes Alleinstellungsmerkmal und das wollen wir nutzen. Also, wir können hier wirklich Leute erreichen, aber das ist glaube ich noch ein bisschen schwieriger als in anderen Orten wie Zürich oder Schaffhausen. Damit können wir uns schon schmücken und trotzdem suchen wir beide auch immer nach Herausforderungen“, erzählt Neumer und strahlt dabei. 

Herausforderungen, die gibt es tatsächlich für die jungen Leiterinnen, die sich schon seit über 10 Jahren kennen. „Die Professionalisierung braucht viel strategischen und organisatorischen Mehraufwand, also auch viel Administration. Das war im ersten Halbjahr jetzt schon viel“, berichtet Sattler. „In solchen Projekten gibt es immer mehr zu tun, als bezahlt wird und da muss man eine Balance finden“, fügt Neumer hinzu. Was aber beiden wichtig war und auch ihrem Vorgänger Wacker: Den Tanz weiterleben zu lassen. So gibt es in Steckborn nach wie vor viele Tanzaufführungen, die aber nun beispielsweise durch ein Puppenspiel ergänzt wurden. „Wir haben für den Herbst noch mal ein bisschen mehr gewagt. Wir bleiben unserer Linie sicher treu, aber wir haben auch im ersten Halbjahr schon Sachen ausprobiert, die wirklich gut angekommen sind. Neben dem Puppenspiel haben wir auch das Stück Michael Kohlhaas aus der sehr klassischen Literatur gewählt“, so Neumer. 

Es gibt auch Schwierigkeiten

Ein Theater zu leiten, da sind sich beide einig, das sei das Schwierigste, was man sich im Kulturbereich vorstellen könne. Es gebe vor allem in größeren Städten ein großes Angebot und mit ein bisschen Marketing wären die Theaterhäuser auch voll. „Einfach weil genug potenzielles Publikum da ist“, sagt Carina Neumer. In Steckborn sei das ein bisschen anders. „Steckborn ist nicht so gut angebunden, da muss man so ein bisschen tricksen und auch mit viel Feingefühl auf persönlicher Ebene herausfinden, was die Leute ins Phoenix zieht“, ergänzt Sattler. Sie möchten nicht nur neue Besucher:innen ins Theater locken, sondern auch den Pool an Ehrenamtlichen stärken. 

Holt die jungen Leute ins Theater

Eine der viele Prämissen, denen sich die beiden stellen müssen, ist der allgemein vorherrschende Wunsch der Kulturschaffenden, junge Leute anzuziehen. Die beiden mögen sich dem nicht unterstellen. Sie finden es wichtig, auch eine junge Zielgruppe zu erreichen, aber mit jung meinen sie nicht die 16-Jährigen, sondern eher ihre Altersgruppe, also Anfang 30. Für die Jugendlichen haben sie in ihrem Konzept partizipative Projekte mit Schulen mitgedacht und wollen den Raum dafür auch weiterhin öffnen. „Wir wünschen uns, dass die ältere Generation ihren Familien die Bedeutung und den Mehrwert eines Theaters weitergibt. Wir brauchen per se nicht ein junges, sondern Beständigkeit im Publikum“, erklärt Neumer. Bei der Verjüngung im Theater ginge es viel um die großen Häuser. „Mit den großen Theatern können wir uns ja gar nicht messen. Ein Stück nur für Kinder, das funktioniert in Steckborn einfach nicht“, finden beide. Sie finden es wichtig, dass sich ein politischer Zeitgeist in den aufgeführten Stücken spiegelt. Gleichzeitig soll das Phoenix Theater aber auch ein Ort zum Abschalten sein. „Wir achten darauf, dass nicht mehr als zwei Stücke beispielsweise zum Thema Rassismus in einer Saison vorkommen. Gesellschaftskritisches spielt oft eine Rolle, aber mir ist auch wichtig, dass man im Phoenix Abende verbringen kann, wo man drin sitzt, schöne Musik hört und einen tollen Abend verbracht hat“, sagt Carina Neumer. 

Wohin geht die Reise des Phoenix?

Die beiden können noch nicht genau einschätzen, ob sich die Zahl der Besucher:innen verbessert oder verschlechtert hat. Statistiken dazu wollen die beiden angehen, es sei aber generell noch zu früh für solch eine Bilanz. „Ganz ehrlich, wir müssen auch ein bisschen auf dem Boden bleiben. Das Haus hier hat 90 Plätze, wenn die voll sind, sind sie voll“, sagt Neumer und Sattler fügt hinzu: „Wenn im Umkreis von 30 Kilometern jede dritte Person weiß, dass es das Phoenix gibt und es für unterschiedliche Altersgruppen und Geschmacksrichtungen etwas gibt, dann haben wir mega viel erreicht!“ Sie möchten das Phoenix lebendig und zugänglich halten. „Dann können wir richtig stolz sein“, sagen sie. „Das Phoenix soll fliegen und weiter gedeihen.“

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