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von Urs Oskar Keller, 15.08.2025

Lieder gegen Seelenschmetter

Lieder gegen Seelenschmetter
Büne Huber, der Berner Poet, mit seiner üppigen Haarpracht, pflegt seine zarte Seele, umblasen lässt er sich von niemandem. Bild vom Bodensee-Open-air in Konstanz 1993. | © Urs Oskar Keller

Die Schweizer Mundart-Rockband «Patent Ochsner» spielt am 29. August beim Summer Days Festival in Arbon. Unser Foto-Kolumnist Urs Oskar Keller hat die Band in den 1990er Jahren mehrfach erlebt. Auf und hinter der Bühne. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

1990 war Patent Ochsner nichts weiter als der Name für den schweizerischsten aller Kehrichteimer. Wie aus dem Nichts waren da plötzlich die Songs der 1990er, Kehrichtchansons im Fin-de-Siècle-Rausch: «Am liebsten habe ich Lieder wie windschiefe Hütten», sagte «Patent Ochsner»-Bandleader Büne Huber mit Jahrgang 1962. Das hört sich auf hochdeutsch kitschig an, im Berner Dialekt genau richtig. 

Und die damals jungen Schweizer stellten die Musikszene auf den Kopf. Quasi eine Schweiz aus dem Abfallkübel. Bei Patent Ochsner ringen bis heute die einheimischen Musikjournalisten um Superlative. «Was schnäll afaat, hört o schnäll uf» («Was schnell beginnt, kann auch schnell enden») singt Hanspeter «Büne» Huber, der in Bern-Bümpliz aufgewachsen ist. Er wünscht sich «e Winterschlaf oder e Grossbrand i mis Härz.»

 

Ihre Lieder trösten bei Liebeskummer und Weltschmerz 

Die charismatische Band trägt zwar den Namen eines Mülleimers und musikalisches Gütezeichens. Doch ihre Lieder trösten bei Liebeskummer, Weltschmerz und wenn das Schicksal mal wieder zugeschlagen hat. Von Sehnsucht ist die Rede, von Schmerz und Trauer, Geburt und Tod, von Rassismus, Suff und Sorgen und immer wieder von der Liebe, die ach so schwierig ist. Hubers poetischen Texte sind prall aus dem Leben, wahr und selbst erlebt.

Die grosse Band spielt auch nach mehreren Erfolgsalben «Schlachtplatte», «Fischer» und «Gmües» (Gemüse) etc. nach wie vor ein schillerndes Potpourri, das schwer einzuordnen ist. Rock, Blasmusik, Jazz, Ländler, Polka, Tango, Walzerrhythmen, satte Bläsereinsätzen (Saxophone, eine Posaune)... – alles da. Und alles stark verfremdet, versteht sich. Dann setzt auch mal ein Akkordeon oder ein Cello ein.

 

Patent Ochsner hat sich einen Ruf als handfeste Rockband erworben, als eigenständige Truppe, die zwischen Jux, Blasorchester und Misthaufenschlagzeug Geschichten erzählt. Die Aufnahme entstand 1993 nach dem Auftritt am Open-air im Bodenseestation in Konstanz. Bild: Urs Oskar Keller

Musik geht unter die Haut

Er schreibt, er singt, er spielt, und er denkt. Büne Huber (Sänger, Texter, Komponist, diverse Saiten- und Tasteninstrumente), der sensible Unheld des Schweizer Rock mit Röhre. Der 63 Jahre alte Poet, Maler und ehemalige Metallbauschlosser pflegt zwar seine zarte Seele, umblasen lässt er sich von niemandem. Weil Lieder-Geschichten von «Patent Ochsner» «bärndütsch» sind, kann jeder mitsingen. Und weil sie von jenen Dingen handeln, die alle Menschen zwischen Romanshorn und Grönland beschäftigen, versteht sie (fast) jeder. Nicht für jeden auf Antrieb verständlich sind die Texte der auf Schwyzerdütsch (genauer gesagt: berndeutsch) gesungenen eigenen Stücke. 

Die heute neunköpfige Truppe verdient(e) sich den eidgenössischen Goodwill auf die harte Tour. Viele Gigs mit bescheidenen Gagen. Ohne ihre Manager wären der helvetische Export mit «Double», Stephan Eicher und «Patent Ochsner» wohl kaum so weit gekommen. Christian Siegenthaler, «Ministerium fürs Äusserste», hielt von Anfang an seine Treue zu seinen wilden Schützlingen, auch wenn die ersten Jahre von «Patent Ochsner» nicht rosig waren.

Bislang 16 Studio- und Livealben

«Sie haben sich einen Ruf als handfeste Rockband erworben, als eigenständige Truppe, die zwischen Jux, Blasorchester und Misthaufen-Schlagzeug Geschichten erzählt, die lustig und traurig und schweizerisch sind und ins Ohr gehen», lobt sie die deutschschweizerische Presse.

Patent Ochsner spielte im Mai 1993 am Konstanzer «Rock am See»-Festival erstmals in Deutschland. Dieter Bös und Armin Nissel vom Konzertbüro Konstanz (KoKo) hatten sie an den Bodensee geholt – später auch fürs Zeltfestival auf Klein Venedig verpflichtet. Im Kulturladen «Kula» in der früheren Konstanzer Chérisy-Kaserne trat die wilde Band 1993 und 1994 auf. An diesen Orten entstanden auch meine Bilder.

Im Album «Gmües» servierte Patent Ochsner 1994 als dritten Gang einer erfolgreichen CD-Trilogie. «Schlachtplatte» und «Fischer» hatten eigenwillige Berner Mundart-Rock-Truppe zwischen Leidenschaft und Ostermundigen (BE) im New Style-Studio eingespielt und davon über 120'000 Stück verkauft. 2025 erschien die CD «Tag und Nacht». 16 Studio- und Livealben hat die Band bis heute veröffentlicht.

 

Patent Ochsner hat sich einen Ruf als handfeste Rockband erworben, als eigenständige Truppe, die zwischen Jux, Blasorchester und Misthaufenschlagzeug Geschichten erzählt. Die Aufnahme entstand 1993 beim Auftritt am Open-air im Bodenseestation in Konstanz. Bild: Urs Oskar Keller

«Sie het schtändig durscht u ihre Durscht dä löscht ke see»

Die Patent Ochsner-Texte wären übrigens eine eigene Betrachtung wert: ein mysteriöses Mischprodukt aus Autobiographischem, Gehörtem, Erfahrenen, Gassenhauern, das Dialekt- und Sittenforschern einiges Material bieten könnte. Stellvertretend eine Passage aus dem Lied «Ludmilla» der CD «Gmües»: «D Miss Dolly Bird die heisst Ludmilla / sie het schtändig durscht / u ihre Durscht dä löscht ke see /  sie isch jung, sie isch schön, sie isch schtarch, sie isch gschyd / u sie seit jedem wo's wott ghöre: 'D Sunne geit im Weschten uuf' / I bi im Wartsaau uf wäut cho  /  mit dr Nabuschnuer äng hous.» 

Konzert/Infos: «Patent Ochsner» spielt am Freitag 29. August 2025 wieder einmal an den «Summerdays» in Arbon TG. www.summerdays.ch, www.patentochsner.ch

Die Serie «Augenblicke»

In der Fotokolumnen-Serie «Augenblicke» zeigt Urs Oskar Keller besondere Momente aus seiner Zeit als Foto-Reporter in unserer Region. Zu den Fotografien schreibt er in kurzen Texten auch, wie die Aufnahmen entstanden sind und was sie so besonders macht. Gewissermassen entsteht so eine kleine Geschichte besonderer Foto-Momente aus den vergangenen 50 Jahren. In einem Interview hat er erläutert, wie er die Momente eingefangen hat.

 

Alle weiteren Beiträge der Serie bündeln wir in einem Themendossier. 

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