von Maria Schorpp, 10.08.2021
Rebell als braver Untertan
Die diesjährige Märcheninszenierung „Des Kaisers neue Kleider“ der Schlossfestspiele Hagenwil holt sowohl die kleinen als auch die grösseren Kinder ab.
„Ich hab nichts anzuziehen.“ Der verzweifelte Ausruf angesichts eines proppevollen Kleiderschranks wird traditionell einer weiblichen Figur zugeschrieben. Heutzutage käme der Satz unter Sexismusverdacht – es sei denn, einer männlichen Figur kommt er über die Lippen. So hat es Florian Rexer gehalten, der ihn wohl zu schön fand, um ihn einfach unter den Tisch fallen zu lassen. In seiner Bearbeitung von Hans Christian Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ legt er ihn dem titelgebenden Herrscher mit dem krassen Klamottentick in den Mund. Der Staat ist pleite, die Menschen haben nichts zu essen und das alles wegen der krankhaften Eitelkeit des Kaisers.
„Der schöne Schein und wie er zu entlarven ist, geht in Zeiten von Supermodels und Instagram schliesslich alle an.“
Maria Schorpp
Ein Kaiser wie er im Buche steht
Die Entscheidung, dieses Kunstmärchen des dänischen Schriftstellers für das Kinderstück der diesjährigen Schlossfestspiele in Hagenwil auszusuchen, ist glücklich getroffen. Die Geschichte hat das Potenzial, wie in Hagenwil zu sehen ist, genauso die kleineren wie die grösseren Kinder jeweils in ihrer Welt abzuholen. Der schöne Schein und wie er zu entlarven ist, geht in Zeiten von Supermodels und Instagram schliesslich alle an.
Falk Döhler ist ein Kaiser, wie er im Buche steht: Kopf hoch, Brust raus und dann gravitätisch daherstolzieren. Da quiekt es belustigt im Publikum, kommt also an. Und es funktioniert insbesondere deshalb so gut, weil ihm mit dem vermeintlichen Schneider ein kerniger Volksvertreter kontrastreich zur Seite gestellt ist. Mischa Löwenberg spielt ihn sehr sympathisch als Rebell im Kostüm des braven Untertanen.
Die Hagenwiler Textfassung packt die betrügerischen und namenlosen Weber von Andersen in diesen hungrigen Bürger namens Daniel Schnyder. Dieser beschliesst, weil Not erfinderisch macht, beim Wettbewerb des Kaisers mitzumachen. Dabei geht es darum, für den Gekrönten das schönste Gewand der Welt zu schneidern. Der erste Preis besteht in einem Sack voller Gold.
Der Schritt von Schnyder zu Schneider ist nicht weit, sprachlich zumindest. Dass es dem Trickser dagegen an handwerklichem Können fehlt, gleicht er durch Chuzpe aus. Wer so selbstgefällig ist wie dieser Kaiser, so wohl der Gedanke dahinter, ist irgendwie auch blind.
So macht Schnyder dem Kaiser tatsächlich weis, die Kleider aus seiner Schneiderei seien nur für die Gescheiten und für ihr Amt Befähigten sichtbar. Was umgekehrt bedeutet: Wer sie nicht sieht, ist dumm und untauglich. Was eine Kettenreaktion auslöst: Nicht nur der Kaiser muss verhehlen, dass er null sieht von den angeblich prachtvollen Stoffteilen, auch sein Beamtenvolk kommt unter diesen Umständen nicht um den Verdacht herum, dass es eigentlich untauglich ist für seine Stellung. Geschweige denn, dass es den Mumm hätte, den Schwindel als solchen aufzudecken.
„Der Mitmachaufruf von der Bühne herunter, den Schneider, der keiner ist, bei seiner Hinterlist zu helfen, wird mit grosser Begeisterung aufgegriffen.“
Maria Schorpp
Was für ein Hallo im Innenhof des Wasserschlosses
Eigentlich gar nicht so einfach für die Kleinen, zu verstehen, dass hier von Dingen die Rede ist, die es gar nicht gibt, wobei alle so tun, als gäbe es sie. Umso erstaunlicher, was für ein Hallo den Innenhof des Hagenwiler Wasserschlosses beherrscht. Der Mitmachaufruf von der Bühne herunter, dem Schneider, der keiner ist, bei seiner Hinterlist zu helfen, wird mit grosser Begeisterung aufgegriffen.
Es sind aber auch nette Sachen für die etwas Grösseren bis ganz Grossen dabei. Da ist von einem Bernardo Lutschi, einem Modedesigner aus Amriswil, die Rede, und ähnliche kleine Spässchen sind eingestreut. Eine kleine Aufmerksamkeit für die mitgekommenen Betreuungspersonen.
So tappt der Kaiser, der von der Kostümbildnerin Barbara Bernhardt zuvor wirklich schick mit knallrotem Frack und wunderbaren Schluppenhemden angezogen worden war, in die Falle. Das Pantomimenspiel beim Einkleiden mit den vermeintlich unsichtbaren Kleidungsstücken gerät zum Sinnbild der menschlichen Bereitschaft, eine Scheinwelt aufrechtzuerhalten, wenn nur das eigene Ego keinen Schaden nimmt. Und natürlich ist es ein Heidenspass.
Florian Rexer hat dem Kaiser obendrein eine Tochter dazugeschrieben, die unter ihrem oberflächlichen Vater leidet und den untertänigen Spassvogel bei seinen kleinen Gemeinheiten unterstützt. Rahel Roy, die daneben – wie die anderen auch – mehrere Rollen spielt, geht insbesondere als kaiserliche Ministerin für Kleider ganz im komischen Fach auf, was das junge Zielpublikum zu goutieren weiss.
Ein kluges Happy End
Das Ende ist ebenfalls eine Hagenwiler Spezialität. Es gibt nämlich ein sehr kluges Happy End. Was macht der Kaiser, als ein Kind bei der Parade ruft, er habe ja gar nichts an (naja, eine Badehose schon)? Nach anfänglichem Entsetzen beginnt er zu lachen. Über sich. Über seine Blindheit. Über seine Feigheit.
Das ging leider in der Schlussphase der Premierenvorstellung etwas unter und dürfte durchaus mehr Raum einnehmen. Ist es doch das, was die Welt in der realen Gegenwart bräuchte angesichts des einen oder anderen grössenwahnsinnigen Präsidenten mit Despotenallüren. Einen, der den Mut hat, sich selbst und seine Lächerlichkeit zu erkennen. Aber das ist das Märchen für die Grossen.
Viel Applaus.
Von Maria Schorpp
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