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von Barbara Camenzind, 10.06.2025

Romantik, liebevoll umarmt

Romantik, liebevoll umarmt
Schumanns Chorwerke schön gesungen: Die Zürcher Sing-Akademie in der Ittinger Klosterkirche. | © Barbara Camenzind

Viel Applaus, angeregte Pausengespräche, nahbare Künstler:innen und ein vielstimmiger Friedensgruss aus der Klosterkirche: Isabelle Fausts epochenübergreifendes „Rezept“ für die „Schumanniade“ an den Ittinger Pfingstkonzerten 2025 ist gelungen. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Willkommen in Schumanns Wohnzimmer: Mit leichtem Bogen und luftigen Melodiebögen eröffneten Isabelle Faust, Violine, Jean-Guihen Queyras, Cello, und Alexander Melnikov am historischen Blüthner-Flügel die Ittinger Pfingstkonzerte am Freitagabend. Das Klaviertrio Nr. 2 in F-Dur, op. 80 des 215 Jahre alten Geburtstagskindes Robert Schumann, war der perfekte „Opener“ der diesjährigen Pfingstkonzerte. Die drei Musizierenden loteten sensibel das Wechselspiel zwischen freudvollen und klagenden Themen aus. Im Trio klang die spannungsvolle Durchführung, die Schumanns ganzes kompositorisches Können zeigt, wunderbar farbig durch den Saal.

Schumann, Schönberg, Schreker

Schumanns Klangfarben gehört und neu zusammengesetzt – zumindest war das vorstellbar: Mit Arnold Schönbergs Fantasie für Geige und Klavier, op. 47, (1949) setzte Isabelle Faust ein kontrastreiches Werk in einen spannenden Hörkontext. Hochexpressive Klangbausteine, heikle Flageolettgespinste und eine verzwickte zwölftönige Reihe, die durch Florent Boffards Klavierspiel und die Geigensaiten geisterte. Dieses Werk nahm das Publikum mit auf eine spannende Reise. Faust, die künstlerische Leiterin der Pfingstkonzerte, hat ein Händchen für die Musik der Moderne. Die Fantasie war einfach wunderbar gespielt.
 
Franz Schrekers Pantomime „Der Wind“ für Klarinette, Horn, Violine, Cello und Klavier (1918) berührte durch seine expressionistische Tiefe und der (bewusst-unbewussten) Auseinandersetzung mit der Verwundbarkeit der menschlichen Seele. Musik für einen Gezeichneten, in grossen Melodiebögen und schillernden übermässigen Akkorden. Es gab Bravos für diese Darbietung.

 

Bilder, die das Klangerlebnis untermalen

thurgaukultur.ch war in drei Konzerten für euch ganz Ohr. Um die intimen Momente nicht zu stören, wurde nur mit Handy fotografiert. Dafür sind den besprochenen Konzerten und ihrer Musik Bilder zur Seite gestellt, die das Klangerlebnis untermalen. 

 
Carl Spitzweg, Der ewige Hochzeiter, 1860. | Bild: Wikisource Commons

Der Biedermeier-Code

Und es bewegt sich doch: Das Publikum internationaler Klassikfestivals, sonst sehr auf Zurückhaltung und Konvention bedacht, war dieses Jahr irgendwie anders. Vielleicht, weil Isabelle Faust und ihre Künstlerkolleg:innen den Saal abholten und mit – und trotz – ihrer ganzen Professionalität und Konzentration in der Remise auch eine Art Hauskonzert-Atmosphäre erschufen. „Die da oben auf dem Podium – wir da unten im Saal“: Diese „epische Grenze“ war durchlässig und ehrte die Komponisten, weil sie so aus dem Heiligenschrein, in den sie in grosser Verehrung verbannt wurden, heraustreten konnten – nahe zu den Menschen. 

In den Pausen wurde konstruktiv über Schönbergs Musik gestritten, ein Ritterschlag für den Komponisten, der 74 Jahre nach seinem Tod immer noch aneckt. 

Für Gekicher und gute Laune sorgte an diesem ersten Abend Schumanns „Spanisches Liederspiel“ mit Christina Landshamer, Sopran, Ema Nikolovska, Mezzosopran, Krešimir Stražanac, Bass, und Jan Petryka, Tenor, der für den gesundheitlich angeschlagenen Werner Güra einsprang. Robert Schumanns köstliche musikalische Vertonung der „Romanzen der Spanier im Versmass des Originals“ nach Emanuel Geibel, offenbarte den Biedermeier-Code – komponiert am Ende der Epoche – 1849. Die sinnliche Kraft der Klavierbegleitung Christoph Berners zeigte Schumanns Lust an der Verschmelzung von Kunstgesang, Lokalkolorit und einer gepfefferten Prise Humor. 

Das sogenannte „Kunstlied“ der damaligen Zeit war die Königin der Hauskonzerte. Die Konvention der damaligen Zeit verbat offensive Flirts und gerade Robert Schumann lebte lange den Beziehungsstatus „es ist kompliziert“ mit Clara Wieck, seiner späteren Frau. Wie gut, konnte da ein Lied aushelfen. Der subversive Charme und Schalk des Liederspiels stand den Sänger:innen ins Gesicht geschrieben, die Stimmen mischten sich perfekt. Eine gesungene Liebeserklärung, danke dafür. 

Kostbare Miniaturen und ein Waldhorn

Am Samstagabend standen drei zweistimmige Lieder Schumanns, die bewusst keine Duette sein wollen, auf dem Programm. Christina Landshamers und Ema Nikolovskas feinsinnige Interpretation von „Wenn ich ein Vöglein wär“, „Herbstlied“ und „Schön Blümelein“ schlich sich vom Ohr direkt in die Seele. Deutlich spürbar wurde hier die Verschränkung der Romantik mit dem Volkslied. Gute Musik ist gut, ob klein oder gross. 

Eliott Carters „Epigrams“ für Violine, Cello und Klavier, komponiert 2012, mit ihren raschen thematischen Wechseln und archaischen Anspielungen in einem Frage-Antwort-Spiel schienen wiederum an Schumanns Musik anzuknüpfen und diese spannungsvoll zu defragmentieren.

Krešimir Stražanac sang sich mit Liedern von Johannes Brahms in die Herzen des Publikums. „Wie Melodien zieht es mir leise durch den Sinn“ – dieser grosse Wurf des Schumann-Freundes Brahms war das schlicht und schön interpretierte Motto dieser Pfingstkonzerte, sozusagen. 

Pianist Florent Boffards Interpretation von Alban Bergs Klaviersonate, op. 1 offenbarte farbige Klangkaskaden und eine Art sortierte Ruhelosigkeit, die einem hellwach machte beim Zuhören. Dies nutzten Alexander Melnikov am Blüthner-Flügel, Isabelle Faust, Violine, und Konstantin Timokhine, Naturhorn, aus, um mit Johannes Brahms‘ Klaviertrio in dieser Besetzung ein klein wenig Geschichte zu schreiben. Das Horn – von Brahms „Waldhorn“ genannt – mischte sich wunderbar mit dem Geigenklang und dem Klavier. Dieses „Waldesgespräch mit Johannes“ hätte aufgenommen werden sollen. Es war das Highlight des Abends. 

Caspar David Friedrich: Der Greifswalder Hafen, 1808, Hamburger Kunsthalle. | Bild: Wikisource Commons

Stimmenfest in der Klosterkirche

Was ist schöner, als wenn eine Stimme singt? Wenn viele Stimmen vielstimmig singen! Robert Schumann beackerte das damals noch fast unbearbeitete Feld für gemischten Chor und schuf mit „An die Sterne“ und „Gute Nacht“ ein Klangerlebnis, als wäre ein Gemälde von Caspar David Friedrich zu Musik geworden. Dazu das zauberhafte Tongeflecht von Morton Feldmans „Voices and Cello“ (Jean Guihen Queyras) mit den irrlichternden Stimmen vom Christina Landshamer und und Ema Nikolovska. Selbst der Nachtwind durfte mitspielen sowie die katzenhaft wendige Klarinette von Sebastian Manz in Edison Denissows Solosonate. 

Auffällig gut vertrugen sich Schumanns Chorkompositionen mit den geistlichen Chorwerken von Heinrich Schütz, obwohl zweihundert Jahre zwischen ihnen liegen. Die harmonische Verbindung zwischen den Jahrhunderten liess Isabelle Faust in Nicola Matteis „Fantasia“ in a-Moll ertönen. Schumann arbeitete ähnlich strukturiert symmetrisch an seiner Klangarchitektur, wie Schütz das tat und dieser „Link“ war deutlich hörbar, dank der bestens einstudierten und auf grossem Atem singenden Zürcher Sing-Akademie unter der Leitung von Florian Helgath. Schumann kannte die alten Meister, das war gut zu hören. Schütz komponierte seine Motetten „Verleih uns Frieden“ und „Gib unseren Fürsten und aller Obrigkeit Fried und gut Regiment“ unter dem Eindruck des dreissigjährigen Krieges 1648. Schumann seine Chorkompositionen angesichts der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1848, die zumindest im allgemeinen Chorgesang eine friedliche Vollendung fand. 

Eine Friedensbotschaft in die wirre Gegenwart – in der Klosterkirche von Ittingen erklang sie dieses Wochenende. Dies und die liebevolle Umarmung der Romantik Robert Schumanns durch die Kompositionen der Moderne, des Frühbarocks und der Postmoderne, machten diese Ittinger Pfingstkonzerte zu einem intimen, charmanten und zauberhaften Konzerterlebnis. 

 

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