von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 30.11.2021
Überwältigt und unterinformiert
Illustrationen sind heute längst eine eigene Kunstform. Eine Ausstellung in Konstanz versammelt grosse Namen der Sparte, vergisst dabei aber das Publikum. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Als die Stadt Konstanz 2019 ihren „Turm zur Katz“ im hintersten Winkel der Konstanzer Altstadt eröffnete und ihn als „neuen Ort für zeitgenössische Gestaltung und aktuelle Ausstellungskultur“ etablieren wollte, da gab es einige Skepsis, ob das in diesem versteckten und zudem schwer zugänglichen Gebäude wohl gelingen könnte. Ja, zugegeben, auch der Autor dieser Zeilen war nicht richtig überzeugt vom Konzept. Und lag falsch.
Denn jetzt, fast drei Jahre später, muss man festhalten - der Ort ist etabliert. Mehr noch: Die spannendsten Ausstellungen der Stadt sind genau dort zu sehen.
Das gilt vor allem für die grossartigen Kooperationsausstellungen der beiden Konstanzer Hochschulen, HTWG und Universität, die sich zuletzt unter anderem mit den Themen Künstliche Intelligenz und Pandemie auf so eine kluge wie eindrückliche Weise befassten, wie man das in Konstanz zuvor nicht gesehen hatte. Und das gilt mit einigen Abstrichen auch für die noch bis zum 20. Februar zu sehende Illustrations-Ausstellung „Illokonstanz, Vol 02“.
Christoph Niemann ist der Star, Netflix widmete ihm sogar eine Doku
Hier trifft sich ein kleines Who is Who der Szene. Auf Einladung des Konstanzer Illustrations-Professors Thilo Rothacker und seinem Illustratorenkollegen Thomas Fuchs zeigen Monika Aichele, Marcos Chin, Brian Rea und Christoph Niemann, weltweit der gerade vielleicht angesagteste Illustrator, ausgewählte Werke auf vier Etagen.
Niemanns Cover für das Magazin „New Yorker“ gelten als legendär (einige davon zeigt die Ausstellung), Netflix widmete ihm gar einen Teil seiner Dokumentationsserie „Abstract: The Art of Design“.
Christoph Niemann stammt aus dem schwäbischen Waiblingen und hat tatsächlich eine Weltkarriere hingelegt. Seit 1998 hat er mehr als 20 Cover für den „New Yorker“ gestaltet, seine Illustrationen erscheinen in verschiedenen Zeitschriften. 2010 wurde er in die Art Directors Club Hall of Fame aufgenommen.
Aber auch Aichele, Chin und Rea zählen zu den angesehensten Vertreter:innen ihrer Zunft. Alle gestalten für renommierte Zeitungen und Magazine, alle verzeichnen auf ihren Websites lange Listen mit bekannten Auftraggeber:innen.
Die grosse Kraft der Illustration
Die Bandbreite der gezeigten Arbeiten ist inhaltlich wie handwerklich enorm. Sie reicht von plakativen, mit Werbeästhetik spielenden Formaten wie einer innigen Umarmung zwischen Zahnbürste und Zahnpasta auf blauem Untergrund bis hin zu hintersinnigen Wort-Text-Kompositions-Formen einerseits. Aber auch von schnörkellos-klaren Schwarz-Weiss-Zeichnungen bis zu sehr detailreichen Farbexplosionen andererseits. Thematisch ist kein rahmender Bogen auszumachen, aber etliche Arbeiten befassen sich in der einen oder anderen Form mit der Pandemie.
Das grosse Verdienst der Ausstellung ist es, dass sie die grosse Wirkkraft von Illustrationen zeigt und dabei gleichzeitig auch die unterschiedlichen Veranschaulichungs-Schulen demonstriert.
Interessant dabei ist, dass einen die wuchtigen Farb-Stadtsilhouetten von Christoph Niemann ebenso berühren können, wie die einfache Zeichnung zweier Kinder, die auf Schaukeln sitzen, einander anschauen, aber doch auf Distanz bleiben müssen: Sie schaukeln nicht mehr nebeneinander, sondern auf Entfernung. Und mit Maske im Gesicht.
Die Ausstellung hat ein grosses Vermittlungsproblem
Die Ausstellung zeigt weitere herausragende Arbeiten: Ein Frosch der von Käfern durchkrabbelt wird, ein Einhorn am Fenster eines kleinen Kindes, ein Vogel, der scheinbar aus dem letzten Loch pfeift, ein verschwommenes New Yorker Taxi hinter einer mit Regentropfen besetzten Scheibe, die abstrakte, aber doch treffende Darstellung des Lebens zwischen dem, was man hat und dem was man will und immer wieder diese farbprallen und beinahe comichaften Stadtansichten, die einen überwältigen und nicht wieder loslassen.
So klug und kreativ die meisten Werke sind, so enttäuschend ist deren Vermittlung. Das Problem der Ausstellung beginnt nämlich, wenn man nach der ersten Überwältigung durch die Motive gerne mehr über Künstler:in und Kontext der jeweiligen Arbeit erfahren möchte. Da lassen einen die Initiator:innen der Schau ziemlich alleine: Es gibt keine Textinfos, keine Erläuterungen kaum Hinweise darauf, wer was für wen und warum gezeichnet hat.
Niemanns Arbeiten erkennt man teilweise an seinen hinterlassenen Initialen CN, aber alles andere bleibt ungewiss. Dass der Käferfrosch von Marcos Chin, das Einhorn von Monika Aichele und das New Yorker Taxi von Christoph Niemann stammt, muss man sich selber ergoogeln.
Ohne Informationen entsteht kein Dialog
Und das ist für eine Ausstellung, die von sich selbst behauptet, „einen Raum für Dialog zu gestalterischen Praktiken bieten“ zu wollen, dann doch ein bisschen zu wenig. Zumindest dann, wenn die Ausstellung mehr sein soll als ein munteres Klassentreffen von Eingeweihten aus der eigenen Bubble.
Wie soll Dialog entstehen, wenn man nicht mal grundlegende Informationen liefert? Da versiegt das Gespräch noch ehe es begonnen hat. Das ist umso bedauerlicher als die Arbeiten ganz viele Anknüpfungspunkte offen legen. Sie müssten von den Kurator:innen nur besser verbunden werden. Wenn den Initiator:innen des Projekts das Publikum nicht vollkommen egal ist, dann sollten sie für eine mögliche dritte Ausgabe der „Illokonstanz“ diesen Gesprächsfaden neu spinnen.
Termine: Die Ausstellung „illokonstanz Vol 02“ wurde verlängert und ist nun bis zum 20. Februar 2022 zu sehen. Die Öffnungszeiten: Di -Fr 10 bis 18 Uhr; Sa, So, Feiertag: 10 bis 17 Uhr; Eintritt: 3 Euro. In Konstanz gelten derzeit 2G-Regeln sowie Maskenpflicht in den Ausstellungsräumen. Zugelassen werden nur Geimpfte und Genesene. Die für den 19. Dezember geplante Silent Auction mit Verkauf ausgewählter Werke findet nicht statt. Aktuelle Informationen auf der Website: https://turmzurkatz.de/
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