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von Bettina Schnerr, 22.11.2019

Warten, hoffen, bangen

Warten, hoffen, bangen
Wenn Mutter und Tochter im Buch Italienisch sprechen, arbeitet Sarbacher fliessend mit dem originalen Wortwechseln, die sie anschliessend übersetzt. | © Bettina Schnerr

Eine Lesung über ein Buch, das es noch gar nicht gibt? Das geht! Die Schauspielerin, Sprecherin und Schriftstellerin Ariela Sarbacher machte es im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Debuts“ mit einem Werkstattgespräch vor. Weil der Text noch nicht zwischen zwei Buchdeckeln käuflich ist, erzählte sie umso mehr zum Entstehungsprozess.

Die Veranstaltungsreihe „Debuts“ startet in diesem November, initiiert und moderiert von Judith Zwick. Vier Autoren und Autorinnen stellen ihre Erstlingswerke vor, die im Leben eines Schreibenden immer einen besonderen Stellenwert einnehmen. Der Roman „Der Sommer im Garten meiner Mutter“ nimmt nochmals einen Sonderplatz ein: Er kommt nämlich erst im Frühjahr des kommenden Jahres in den Handel.

Das Manuskript von Ariela Sarbacher zeigte sich im Kult X noch profan in Ringbindung. Was man dem Papierbündel nicht ansieht: Darin stecken fast fünf Jahre Arbeit. Seit 2014 trug sie die grundlegenden Ideen bis zu einem Schlüsselmoment mit sich herum. „Ausgerechnet der Buchtitel war der Zündfunke. Als mir diese Wortfolge einfiel, wusste ich: Dieses Buch will ich schreiben. Das ist keine Geschichte, die ich für mich behalten will.“ Bis heute blieb der Titel unverändert und Sarbacher sagte selbstbewusst: „Der bleibt auch so.“

Wie wird Stückwerk zum Roman aus einem Guss?

Per Hand geschrieben sammelten sich Fragmente an, denn chronologisch konnte und wollte sie die Geschichte nicht erfassen. In Gespächen mit anderen Autoren erhielt Ariela Sarbacher Rückmeldungen zu ihrem Text und Stück für Stück wuchs auf diese Weise der Roman. In einer Diskussion mit einem Lektor erkannte sie zum Beispiel, wie sie die Perspektive gestalten sollte, damit der Roman rund erzählt werden kann. Doch nie erwischte sie den einen Punkt, mit dem sie zufrieden war.

Der Durchbruch kam in einem zweijährigen Kurs für literarisches Schreiben, den sie parallel zu ihrer Arbeit absolvierte. „Wir bekamen neun Monate Zeit für eine Abschlussarbeit,“ berichtete sie. „Dieser Rahmen brachte mir endlich den Fokus und den Flow, um aus all dem Material einen flüssigen Roman zu machen.“

„Ich dachte dann schon, das wird wohl nichts.“

Ariela Sarbacher, Autorin, über die Ängste in der Manuskript-Phase eines Romans (Bild: Bettina Schnerr)

Einen Verlag allerdings hatte sie damit noch nicht. Viele ihrer Erlebnisse auf der Verlagssuche ähneln denen, die man auch von anderen Autoren hört. Gerade Literaturagenten, die Manuskripte an Verlage vermitteln, wünschen sich ein spezifisches Genre für die Vermarktung. „Mein Roman bietet das nicht,“ sagte Sarbacher, „und deshalb sagten einige Agenturen ab.“

Auch merke man an den Gesprächen schnell, ob man zu einer Agentur überhaupt passe. Eine wollte den Stil so anpassen, dass sich Sarbachers Text wie der anderer bekannter Schweizer Starautoren läse. „Ich erinnere mich auch an jemanden, den das Mädchen in der Anfangsszene fürchterlich nervte.“ Sarbacher lachte: „Die Agentur flog sofort aus dem Rennen. Die Zusammenarbeit hätte nicht funktioniert.“

Was lange währt ...

Schlussendlich bleibt der Roman der Zürcherin in Zürich. Der Verleger Ricco Bilger bekam das Manuskript angeboten. Sechs Monate dauerte es, bis Sarbacher von ihm eine Antwort bekam. „Ich habe in der gesamten Wartezeit gerade noch einmal 40 Seiten geschrieben, weil ich es nicht ausgehalten habe,“ erzählte Sarbacher. „Ich dachte dann schon, das wird wohl nichts.“ Aber in der Buchbranche, das weiss sie heute, gilt diese Wartezeit geradezu als atemberaubend kurz. Und das Gute daran: Bilger war Feuer und Flamme für den Roman. Ariela Sarbacher erinnerte sich, wie sehr der Gedankenaustausch zu ihrem Text auf einer Wellenlänge stattfand.

Doch bis das Buch in den Läden liegt, passiert trotzdem noch eine Menge. Derzeit prüft eine Lektorin, was Sarbacher geschrieben hat und sie konnte die Lektorin bereits zu einem persönlichen Gespräch treffen: „Wir sprachen über Ideen und Absichten und ich habe das gute Gefühl, mein Buch ist in diesem Verlag wirklich angekommen.“

Ariela Sarbacher (links) und Judith Zwick (rechts) stellen bei der Lesungsreihe „Debuts“ einen Roman vor, den es noch gar nicht im Handel gibt. Änderungen an der Textfassung, die Sarbacher vorträgt, sind zu diesem Zeitpunkt noch möglich. Bild: Bettina Schnerr

Die Arbeit ist noch nicht zu Ende

Die Lektorin überarbeitet das Manuskript. Ihr kritischer Blick soll zum Beispiel Übergänge prüfen; er darf kürzen oder Erweiterungen einfordern und auch die Wortwahl hinterfragen. Nur ist das dann noch der eigene Text, wenn jemand bisweilen intensiv mitmischt? Sarbacher zeigte sich unerschrocken, denn aus ihrer Arbeit als Schauspielerin ist sie Rückmeldungen zur eigenen Arbeit gewohnt. „Man muss lernen, bei sich zu bleiben“, meinte sie. „Findet man sich im Text nach Veränderungen noch wieder? Es gibt solche, die den Text anheben und andere, nach denen der Text sich einfach fremd anfühlt. Darauf muss man hören.“

Ariela Sarbacher geht selbstbewusst und glücklich in die letzten Schritte der Buchentstehung. Zweifel an der Arbeit, die sie während der Jahre gelegentlich begleiteten, sind passé. Es gab auch Momente, in denen sie sich vor dem Schreiben einzelner Szenen richtiggehend gefürchtet hatte. Aber nun, wo sie alle auf Papier stehen, ist sie ausgeglichen. Demnächst erfährt sie von der Lektorin, wie sich aus einigen Passagen vielleicht etwas mehr herausholen lässt. Das heisst Warten. Das kann Sarbacher jetzt.

«Man muss lernen, bei sich zu bleiben.»

Ariela Sarbacher, über den Umgang mit Rückmeldungen auf ihre Arbeit 

Das Buch

„Der Sommer im Garten meiner Mutter“ erzählt die Geschichte von Francesca, die sich in Rückblicken und kleinen Szenen an ihre Mutter erinnert. Diese, geboren in Ligurien und geprägt von ihrer Kindheit im Krieg und vielen Entbehrungen, erkrankt an Krebs. Für Francesca ist der Umgang ihrer Mutter mit der Krankheit Anlass, ihr Verhältnis zu reflektieren.
 
„Durch Zeitsprünge und Ortswechsel entfaltet sich die Mutter-Tochter-Beziehung in vielschichtigen Erinnerungen.“ (Judith Zwick)
 
Das Buch erscheint im Frühjahr 2020 im Bilger Verlag. Ariela Sarbacher und Judith Zwick werden das fertige Buch kurz darauf im Kult X vorstellen. Thurgaukultur gibt den Termin rechtzeitig bekannt.

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