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von Brigitte Elsner-Heller, 13.08.2019

1:0 für Aschenputtel

1:0 für Aschenputtel
Schon fertig mit dem Sortieren? Die Stiefmutter (Mischa Löwenberg, links) kann und will es nicht glauben (mit Falk Döhler und Sarah Herrmann). | © Brigitte Elsner-Heller

Altes Märchen, der Zeit etwas angepasst: Aschenputtel ist bei den Schlossfestspielen Hagenwil kein Kind von Traurigkeit. Beherzt nimmt es sein Leben in die eigene Hand. Ganz klassisch gibt es jedoch als Belohnung dafür einen Prinzen.

Schneewittchen, Dornröschen, Rapunzel und wie sie alle bei den Brüdern Grimm und sonstwo heissen mögen: Die aus einer anderen – wenn auch nicht ganz anderen – Zeit überlieferten Märchen befördern den Traum einer Entwicklung zum Besseren hin. Was für Mädchen nur heissen konnte, einen finanziell abgesicherten, wenn möglich dabei auch noch verträglichen Mann zu finden. Aschenputtel ist dabei ein Paradebeispiel für eine Art Wiedergeburt aus der Asche.

Aschenputtel heute

Was nun aber anfangen mit der uralten Cinderella-Geschichte, dieser Pretty-Woman-Vorlage, wenn es um heutige Kinder (und nicht nur Mädchen) heutiger Eltern geht? Die Truppe, die die Schlossfestspiele Hagenwil ausrichtet, hat sich offenbar durchaus Gedanken darüber gemacht. Das, was sie am Sonntag erstmals vor ihr Publikum brachten, war nämlich keine ausschliesslich traurige und graue Angelegenheit bis zum guten Ende mit Prinz (Text und Regie: Rahel Roy und Florian Rexer).


Schloss Hagenwil als märchenhaftes Ambiente. Bild: Brigitte Elsner-Heller

Aschenputtel, quirlig gespielt von Sarah Herrmann, ist auf dieser klitzekleinen Bühne, die irgendwie dennoch Raum bietet, zu Haus, Wald und Schloss zu mutieren, ein beherztes junges Mädchen, das sich nicht so schnell unterkriegen lässt von den Bedingungen, denen es ausgesetzt ist. Als da wäre: eine böse, dabei in Hagenwil ziemlich der Lächerlichkeit preisgegebene Stiefmutter, die schon mal rosa Lockenwickler trägt (Mischa Löwenberg besetzt die komischen Rollen der Inszenierung) sowie eine dröge Stiefschwester ohne eigene Ambitionen (Falk Döhler, der dann auch das Zeug zum Prinzen hat). Gut, dass es da für das Mädchen noch Kasperle gibt, den freundlichen Stubentiger, sowie den guten Kontakt zu den Vögeln.

Auf in den Wald!

Auch wenn eine mitleidige Kinderseele bei der Premiere ein wenig zu weinen anfing und kundtat, traurig zu sein, hat die Inszenierung die Dramatik der Situation eines Waisenkindes trefflich umgemünzt. Schon allein der Wechsel von Rollen, Kostümen und Orten ist vergnüglich zu verfolgen und auch für kleinere Kinder gut nachzuvollziehen. Natürlich ist es mehr als gemein, wenn Stiefmutter und Stiefschwester sich aufmachen, um tolle Klamotten zu kaufen und Aschenputtel zu Hause bleiben muss – und das, obwohl sie mit Hilfe der Vögel die Linsen schon gut auseinander sortiert hatte („Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“).


„Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.“ So geht die Arbeit schneller von der Hand. Bild: Brigitte Elsner-Heller

Aschenputtel lässt sich dadurch in ihrem Unternehmergeist jedoch nicht aufhalten, setzt sich ein keckes Hütchen mit Feder auf und macht sich zur Jagd auf in den Wald. Eine Variante der klassischen Entwicklungsgeschichte, die Märchen allgemein nur für Jungs bereithalten.

Müssen Prinzen immer mutig sein?

Gar lustig ist die Jägerei! Kommen doch da gerade zufällig zwei Jägersleut' des Weges, die sich als Prinz und Diener herausstellen (Falk Döhler wurde schnell hinter der Bühne von der Stiefschwester zum Prinzen;, Mischa Löwenberg streift die Rolle der Glamour-verliebten Stiefmutter zugunsten der Dienerrolle ab). Und als ihnen plötzlich wie aus dem Nichts Tannenzapfen entgegen fliegen, ist es mit ihrem Mut nicht mehr weit her. Wie immer wieder einer den anderen vorschiebt (ohne Rücksicht darauf, wer hier eigentlich „der Chef“ sein sollte), bereitet nicht nur den Kindern sichtbar Vergnügen.


Gar lustig ist die Jägerei! Ein zufälliges Treffen im Wald. Bild: Brigitte Elsner-Heller

Des Rätsels Lösung ist natürlich Aschenputtel, die den Prinzen ordentlich neckt. Dass beide einander nicht vergessen, ist unausweichlich. Als das grosse Fest auf dem Schloss naht und sich Aschenputtel mit Hilfe der Vögel in eine schöne Frau mit noch schönerem Kleid verwandelt, sind die Kinder begeistert. Und es klappt auch wirklich gut, wie Sarah Herrmann nur ein, zwei Umdrehungen braucht, um in einem Ballkleid mit weit ausschwingendem Rock dazustehen. Welcher Prinz hätte da schon Nein sagen können?

Mit Herzblut auf die Bühne gebracht

Das berühmte „Rucke di guh, Blut ist im Schuh!“ der Tauben geht in Hagenwil nicht mehr damit einher, dass die Stiefschwester sich die grosse Zehe abhacken muss, um in betrügerischer Absicht bei der Schuhanprobe als richtige Tanzpartnerin dazustehen. Das bisschen rote Farbe rührt hier nur noch daher, dass die böse Stiefmutter ein wenig zu heftig versucht hat, Schuh und Fuss passend zu machen, wobei sie den Schuh vorne durchbohrt hat. Keine Panik also. Und dann ist es auch schon Aschenputtel selbst, die sich outet.

Das einzige originale Blut, das ins Spiel kommt, ist Herzblut. Das fliesst genauso von Falk Döhler, Sarah Herrmann und Mischa Löwenberg auf der Bühne sowie vom gesamten Team, das dahinter steht. Doch das ist sicher so etwas wie eine andere Familiengeschichte. Politisch und pädagogisch absolut nicht korrekt, aber zumindest für die Erwachsenen amüsant ist die Seitenbemerkung beim schnellen Schluss. Da wechselt nämlich die Stiefmutter schnell noch die Seiten, erklärt Aschenputtel zu ihrer Tochter und schickt ihre eigene in die Küche. Fast wie im richtigen Leben.

„Frida, ab in die Küche!“

Stiefmutter hat am Schluss schnell noch die Seiten gewechselt.


Das Märchen noch einmal zum Anfassen: Mischa Löwenberg, Sarah Herrmann und Falk Döhler bei der anschliessenden Autogrammstunde im Schlosspark. Bild: Brigitte Elsner-Heller

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