Seite vorlesen

von , 21.10.2015

James Bond im Tanga

James Bond im Tanga
Der Wechsel vom Objekt zum Subjekt, mal Pfeifen statt angepfiffen zu werden. Ob das als emanzipatorische Geste, als sexistisch oder gar als sex­positiv betrachtet werden soll – darüber kann man sich gewiss streiten. | © David Nägeli

Chippendales-Hysterie in Frauenfeld. Mittendrin sein ist wie eine Menage­ à­ trois der Kultsendung «Herzblatt», dem Online-Affärenportal Ashley Madison und zwei Flaschen Champagner auf ex.

David Nägeli

«What happens at Chippendales, stays at Chippendales, right? Ladies, this is your night!» Das klingt erstmal ziemlich verrucht. Man stellt sich die Show der Strip­Stars auch ziemlich verrucht vor: Männer mit Actionfilm­-Körpern ziehen sich aus, greifen sich an die Genitalien und verführen das Publikum reihenweise.

Gekreischt wird tatsächlich viel und wahrscheinlich steht auch Mal eine Dame aus dem Publikum auf der Bühne. Aber: Häufig sind die Chippendales in etwa so erotisch wie die mittlerweile eingestampfte ARD-­Flirtsendung «Herzblatt» mit Rudi Carrell. Und das trotz viel mehr Sex in der Show.

Anziehen und Ausziehen im Affentempo

Die Show der Chippendales läuft ziemlich einfach ab: Einige Dutzend Male ziehen sich Männer hinter dem Vorhang Kostüme an und ziehen sie mit Broadway­-Tanz und Trockensex begleitet auf der Bühne wieder aus.

Sobald das letzte Stück Stoff fällt, wird ausgeblendet. Bedient wird eine Vielfalt an Fantasien: Die Men in Black, der Cowboy, Christian Grey, (Bob) der Baumeister, die Jungs von Uptown Funk und selbst ein Affe und Tarzan schwingen ihr gut gebautes Füdli auf der Bühne. Nichts mit Romantik oder Kerzenschein: Hier geht's ausschliesslich um Körperkult.

Nach den ersten Minuten reagierten die show­eigenen Security schlecht auf Fotos... aber wir haben uns da was anderes ausgedacht zur Illustration (siehe weiter unten). (Fotos: David Nägeli)

 

Jährlich sehen sich bis zu zwei Millionen Besucher die Chippendales an. Beinahe ausschliesslich Frauen. Die Show ist in einem eigenen Theater in Las Vegas zuhause und reist mit grosser Produktion durch die Hallen der Welt. Das Publikum ist bunt gemischt,von jung bis alt. Auffallend viele Frauen um die 20 sind in kleineren Gruppen hier, viele ziemlich herausgeputzt. Man verschwestert sich auf der umgenutzten Herrentoilette über Generationen hinweg im Gespräch darüber, welcher Tänzer der heisseste ist.

Herzblatt mit Lapdance

Einer der herausragenden Momente des Abends ist eine interaktive Datingshow. Man kann sich das als ein Date des Online-­Affärenportal Ashley Madison, zwei Flaschen Champagner und – ja, tatsächlich – der ARD­-Flirtshow «Herzblatt» vorstellen. Ein kurzer Dreier mitten in der Chippendales­Show, der die restliche Show auf den Kopf stellt, aber doch ganz gut beschreibt, was den Abend so einzigartig macht.

 

 

 

Das «Herzblatt»: Tänzer sucht Frau, beinahe wie bei den Chippendales.

 

Drei Zuschauerinnen werden auf die Bühne gebeten, ein Chippendale moderiert die Show, ein anderer sitzt als Preis hinter einer Schattenwand. So weit geht das noch ziemlich ähnlich zu und her, wie beim «Herzblatt». Nur sind die Kandidaten ein wenig... sagen wir: ehrlicher.

«Eigentlich will ich nur eine wilde Frau für ins Bett. Also Ladies, zeigt uns allen doch eure Lieblingsstellung zu diesem 90er-Club­-Beat!» Und dann wird getanzt.

 

90s-Dance-Moves, wie erträumt von den Chippendales höchstpersönlich.

 

Brunfttanz nach Broadway­Stil

Während hier die Frau zum Objekt wird, ist die ganze Show über das umgekehrte der Fall: Die chauvinistische Objektifizierung von Frauen, die sich immer noch von Kommerzkultur bis Haushalt durch die Gesellschaft zieht, wird auf den Kopf gestellt. Die Chippendales schaffen einen geschützten Rahmen für das Gegenteil, gepaart mit Brunfttanz und Broadway-­Lichtern.

Man betritt eine Welt, in der James Bond als Product­-Placement keine Uhren, sondern Tangas trägt. Einerseits kann die Umdrehung des gängigen sexistischen Geschlechterverhältnis ein gutes Ventil bieten: Der Wechsel vom Objekt zum Subjekt, mal Pfeifen statt angepfiffen zu werden. Ob das als emanzipatorische Geste, als sexistisch oder gar als sex­positiv betrachtet werden soll – darüber kann man sich gewiss streiten.

 

Vielleicht ist das Chippendales­-Erlebnis auch ein Ding der Gruppendynamik.

 

Was jedoch klar ist: Wirklich erotisch wird es an der Show nicht. Die Show besitzt in etwa die Tiefe eines durchschnittlichen Pornos. Viel Schweiss, Körper und Klischées. Bemerkenswert ist viel eher die Atmosphäre des Abends: An kaum einem (Kultur­)Anlass treffen so viele Frauen aufeinander. (In Frauenfeld waren höchstens zehn männliche Gäste anwesend.) Fern von männlichen Blicken die weibliche Lust zu zelebrieren – das mag reizvoll sein. Welche Muskelpakete denn genau auf der Bühne stehen, ist angesichts des gemeinsamen Feierns gar nicht mehr so relevant.

«What happens at Chippendales, stays at Chippendales...»

...hat wenig zu bedeuten. Die Typen sind schliesslich Profis, stehen nach der Show vor der Sponsorenwand für Fotos bereit und sobald das letzte Stück Stoff über dem Penis fällt, werden auf die Milisekunde genau die Lichter gelöscht. So wie beim «Herzblatt» geht es hier eher drum, aus der Ferne zu geniessen. Auch wenn vielleicht mal der eine oder andere Griff an den Hintern drinliegt.

Was aber übrigbleibt, ist die Frage, ob wir eher erleben, dass Batman so freizügig auftritt wie Catwoman, oder ob die Sexualisierung aus der Pop­Kultur verschwindet. Oder alles bleibt beim alten. Aber wenn der «Playboy» auf Nacktheit verzichtet, scheint zumindest etwas möglich.

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Bühne

Kommt vor in diesen Interessen

  • Reportage
  • Show

Werbung

Der Kulturpool: Highlights aus den Regionen

Kuratierte Agenda-Tipps aus dem Kulturpool Schweiz.

«Kultur trifft Politik» N°2

„Die Zukunft bauen – wie Stadt-/Gemeindeentwicklung und Kultur voneinander profitieren können.“ Eine Veranstaltung zur Förderung des kulturpolitischen Diskurses. Di. 13.5.2025, Apollo Kreuzlingen. Jetzt anmelden!

Offene Stelle Kult-X Kreuzlingen

Das Kult-X Kreuzlingen sucht ab sofort ein Teammitglied (30-40%) für den Admin/Koordinationssupport. Zum Stellenbeschrieb geht es hier:

Ähnliche Beiträge

Bühne

Ein Wochenende für die Kultur

Die Frauenfelder Kulturtage vom 22. bis zum 24. September setzen auf ein breites Gratis-Angebot. Jeder und jede soll die Möglichkeit haben zu erforschen, was alles in der der Stadt los ist. mehr

Bühne

Abschied von einer grossen Spassmacherin

Als Clownin Illi wurde sie international berühmt, an der Seite von Olli Hauenstein tourte sie durch die Welt. Jetzt ist Ilona Szekeres im Alter von 69 Jahren verstorben. mehr

Bühne

Wie das Rössli Hü auf die Bühne kommt

Als Zuschauer:in sieht man meist nur das Ergebnis eines Theaterstücks auf der Bühne. Wie viel Arbeit dahinter steckt, ahnt man kaum. Einblicke in den Maschinenraum des Theaters. mehr