von Jeremias Heppeler, 07.07.2017
Formen in Formaldehyd
"Animalerisch" heisst eine neue Ausstellung im Kunstraum Kreuzlingen. Studenten der Universität Konstanz haben hier mit der Künstlerin Nikola Irmer zusammengearbeitet.
„Animalerisch“ - das klingt nach zügelosen Farbspritzern, die auf die Leinwand gepeitscht werden, wo sie sich vermischen und verquirlen mit allerlei Körperflüssigkeiten, die der längst wahnsinnig gewordene Künstler im komplett aus den Fugen geratenen Prozess in Richtung Leinwand spuckt und schwitzt und blutet. Doch „Animalerisch“, das zeigt sich schnell bei der aktuellen Ausstellung des Kunstraum Kreuzlingen, ist eine falsche Fährte, bewusst ausgelegt um zu verwirren und zu verwischen und um in der Sekunde der Erkenntnis eine fruchtbare Diskussion zu eröffnen.
Denn die Tiere, die uns aus den meisterhaft umgesetzten Bildern von Nikola Irmer anstarren haben ihren letzten animalischen Atemzug längst ausgehaucht. Sie sind aufgereihte, ausgestopfte und haltbar gemachte Lebewesen. Fein säuberlich in Formaldehyd-Einmachgläsern, staubigen Regalen und verspiegelten Vitrinen verstaute Präparate. Konservierte Kadaver, die jetzt, im Bild, insofern wiederbelebt werden, weil sie, die sie ja festgefroren sind im zeitlosen Frame des Gemäldes, ebenso lebendig oder tot wirken wie ihre noch so vitalen Artgenossen. „Ein Initialmoment für mich war, in so einem Raum zu stehen und diese Überfülle zu sehen und zu denken das wäre was, wo ich als Maler einharken könnte. Ein reiches Thema zu finden, wo ich vielleicht was machen kann, was meins sein könnte. Das aber auch die Besonderheiten von Malerei entgegenkommt mit all dem Gefieder und so. Und parallel ein intellektuelles Interesse, das läuft aber eher abends, im Sessel.“
Die Künstlerin fühlt sich angezogen von Formen und Farben
Es sind mehrere Ebenen die die Berliner Künstlerin an der Ausstellungssituation des Naturkundemuseums faszinieren. Die Theorie, natürlich, und all die herum geisternden Diskurse (vom „color field painting“, über den „animal turn“ und Damien Hirst bis hin zur unsäglichen US-Komödie „Nachts im Museum“), aber eben auch die schiere Praxis der malerischen Vorgänge – womit wir nun beim zweiten Teil des titelspendenden Wortspiels angekommen wären. Denn Irmer, deren angenehme und besonnene Art ihren spektakulären Lebenslauf überzeichnet (die Künstlerin studierte am San Francisco Art Institute, an der Glasgow School Of Art sowie am Hunter College in New York) fühlt sich insbesondere angezogen von Formen und Farben – letztere sollen am liebsten irgendwie erdig und gedämpft sein, Zwischen- und Mischtöne, abseits der meist dominierenden Primärfarben. Die vielfältig angeordneten Guckkästen und willkürlich zusammen gestellten naturkundlichen Archive offenbaren aberwitzige Bildkompositionen, denen sich Irmer als Autorfigur einschreibt, in dem sie all diese der Natur entrissenen Formen, aber auch Raumtiefen und zigfach gebrochene Spiegelungen in komplexen Bildwelten festhält.
Der beinahe schmerzhafte Prozess dieser Annäherung ist für die 1970 Geborene ebenfalls entscheidend. Bis zu sechs Monate arbeitet sie an ihren komplexeren Werken, ein langwieriger Dialog zwischen erschaffender Künstlerin und geschaffenem Werk. „Manchmal denke ich so in der Hälfte: Du spinnst! Es gibt da etwas diesen Schrank mit 79 Eulen. Du malst hier 79 Eulen? Aber wenn man angefangen hat, dann will man natürlich auch wissen, obs am Ende funktioniert.“ Zur Entspannung gibt es danach freiere Studien, Bilder, die an einem einzigen Tag entstehen. „Das ist dann wie Urlaub!“
Es wurde auch eine Ausstellung über das Ausstellen
Doch „Animalerisch“ besitzt noch eine weitere Ebene. Denn Kunstraum-Kurator Richard Tisserand fungierte dieses Mal als meist stiller Beobachter. Kuratiert wurde die Ausstellung vom Seminar „Ausstellen! Ein kuratorischer Dialog zwischen Kunstwissenschaft und Gegenwartsmalerei“ des Studiengangs "Literatur-Kunst-Medien" der Universität Konstanz. Angeleitet von Professorin Karin Leonhard und Kuratorin Sibylle Omlin nutzten die Studentinnen die Chance alle Schritte von der groben Idee, über die Künstler- und Bildauswahl bis zur komplexen Ausstellung nachzuverfolgen und in Eigenregie umzusetzen. So wurde "Animalerisch" zu einer Ausstellung über das Ausstellen, eine Art poetologischer bis kannibalistischer Kommentar ausgehend von Irmers Bildern und den sich dort aufdrängenden optischen Doppellungen und theoretischen Tripletten.
Haben die Ausstellung von Nikola Irmer im Kunstraum Kreuzlingen kuriert: Studentinnen der Universität Konstanz. Bild: Jeremias Heppeler
Tatsächlich sind Irmers Werke nicht nur naturgetreue Tierporträts, sondern auch abstrakte Studien der angesprochenen Ausstellungssituation. So heißt es im offiziellen Begrüssungstext der Studierenden: „In bewusster Spannung zwischen den Präsentationsformen der barocken Wunderkammer und des White Cube geht es in der Ausstellung „Animalerisch um die adäquate Dar- beziehungsweise Zurschaustellung der hochsensiblen Farb- und Tiermalerei Nikola Imers und zugleich um eine Reflexion über ihre Präsentations- und Rezeptionsbedingungen.“
Und richtig, die Wunderkammer: Mit dem Tiefenpaterre hat der Kunstraum naturgemäß einen doppelten Boden. Ebendieser wurde von den Studentinnen nun bewusst sichtbar gemacht. Im Keller findet sich parallel zur Ausstellung die angesprochene Wunderkammer, vollgestopft mit allerlei Raritäten und Kuriositäten und mit klarer Referenz zu Irmers Arbeiten. Dem Beobachter werden also verschiedene ästhetische Konzepte vor Augen geführt, die den Menschen mit dem explizit Anderen – dem Tierischen, der Wissenschaft und der Kunst – in direkte Verbindung bringen, ohne die sozioökokritischen bis öko-politischen Diskussionsstufen allzu offensichtlich zu Schau zu stellen.
Vernissage und Ausstellungsdauer
Die Ausstellung „Animalerisch – Neue Arbeiten von Nikola Irmer“ ist vom 7. bis zum 23 Juli im Kunstraum Kreuzlingen zu sehen. Die Vernissage findet am 7. Juli um 19 Uhr. Eröffnet wird die Ausstellung mit einem Expertengespräch mit der anwesenden Künstlerin, Robert Felfe (Universität Hamburg), Lisanne Weiler (Universität Leiden) und Nike Dreyer (Universität Konstanz). Mehr: http://www.kunstraum-kreuzlingen.ch/animalerisch/
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