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Bauten haben Werdegänge

Bauten haben Werdegänge
Doris Warger mit der Schablone eines Deckenornamentes | © Kathrin Zellweger

Eine rückwärtsgewandte Person sei sie nicht, sagt Doris Warger. „Auch als Konservatorin/Restauratorin schaffe ich kulturelle Neuwerte, indem ich etwas Altes in ein neues Licht stelle; es geht mir aber nie um eine historisierende Interpretation.“ Bauten hätten Werdegänge wie Menschen Biografien, sagt die Frau, die uns neulich als Mitautorin des Thurgauer Buchbeitrags zum Konziljubiläum, „Rom am Bodensee“, aufgefallen ist. Dort erläutert sie die Restaurierungen in der Arboner Johanneskapelle „Kappeli“.

Kathrin Zellweger

Sie kommt mit klapperndem Schlüsselbund und etwas atemlos in ihr Büro in Frauenfeld. Viel lieber als jetzt im Eisenwerk zu sitzen und Red und Antwort zu stehen, wäre sie auf einer Baustelle. Im Büro ist sie bloss, um ihre Dokumentationsberichte zu schreiben und Kleinobjekte zu bearbeiten. Sie lässt sich auf einen Stuhl fallen, greift sich mit beiden Händen in die Haare und seufzt: „Was mich als Konservatorin/Restauratorin beschäftigt, ist so schwierig zu erklären.“ Viel leichter fällt es ihr zu begründen, warum sie ihre Arbeit so mag: „Ich will Sorge tragen zu dem, was im weiten Sinn des Wortes zu meiner Heimat gehört. Heimat ist dort, wo mein Interesse sein Zuhause hat.“ Was früher da war, gehe sie auch heute etwas an. Das müsse nicht im Widerspruch zum Zeitgeist von heute stehen, der sie und ihr Handeln ebenfalls beeinflusse. „Bauten haben Werdegänge wie Menschen eine Biografie. Und so respektvoll wie man unter Menschen miteinander umgeht, soll man es auch mit Bauten tun.“

Statt Holzskulpturen schnitzen Wandmalereien restaurieren


Wäre Doris Wargers Vater nicht Schreiner gewesen, hätte sie möglicherweise viele Umwege machen müssen, bis sie das geworden wäre, wofür sie heute überall in der Schweiz bekannt und gesucht ist: eine Fachfrau und Expertin für Konservierung/Restaurierung. Vater Wargers Werkstatt war ihr Reich. Der Schritt nach dem Vorkurs an der Kunstgewerbeschule St. Gallen zur Holzbildhauerlehre lag daher nah. Berufsbegleitend besuchte sie weiterhin die Kunstgewerbeschule. Und als die Wandmalereien in der Kirche Hagenwil restauriert wurden, war sie so fasziniert von diesem Berufszweig, dass sie mit dem dort arbeitenden Team weiterzog. Von da an wusste sie, dass sie nicht neue Holzskulpturen schaffen, sondern Denkmäler restaurieren wollte. Eine eigentliche schulische Ausbildung für diesen Berufszweig gab es damals noch nicht. Sie erwarb sich ihr Wissen, indem sie in dafür spezialisierten Werkstätten mitarbeitete. Alles Neue sog sie wie ein trockener Schwamm auf mit der Konsequenz, dass sich über die Jahre ihre Leidenschaft für die Restaurierung von Malereien auf Putz und Holz noch grösser wurde.

Und was sie selbst noch herausfindet

Bevor sie auch nur ihre Mappe mit der Lupe, dem Skalpell und dem kleinen Meissel öffnet und ihren Koffer mit den Chemikalien aus dem Auto nimmt, liest sie, was andere über das Objekt und seine Zeit schon geschrieben haben, „und freue mich im Stillen, wie viel Neues ich selbst noch herausfinden werde“. Dann beginnt sie mit der Arbeit, legt von der Oberfläche Schicht um Schicht frei, fotografiert und hält die Materialien- und Farbenfolgen fest, schreibt auf, wie die Oberflächen beschaffen sind, notiert, was einem früheren Eingriff unwiederbringlich zum Opfer gefallen sein könnte.

Restaurierung = Interpretation

Aufgrund dieser Bestandsaufnahme kann sie abschätzen, wie viele Restaurierungsphasen es bereits gab und welche denkmalpflegerischen Anschauungen dahintersteckten. „Restaurieren ist immer interpretieren. Das Älteste ist bei weitem nicht immer das Wertvollste. Für mich sind nicht etwa die grössten und prunkvollsten Bauten die schönsten; mir sind die schwierigsten am liebsten; wie beispielsweise die Heiligkreuz-Kapelle im Kloster Müstair.“ Gut vorbereitet findet sie jetzt auch die Antworten auf folgende Fragen: Welches sind bei diesem Sakral- oder jenem Profanbau die möglichen Varianten, wie die Restaurierung angegangen werden kann? Welche Neunutzung oder Teilveränderung ist vertretbar? „Da gehen die Meinungen zwischen Baukommission, Nutzern, Denkmalpflege und anderen Experten bisweilen auseinander.“ Sie schmunzelt. „In der Regel kann ich die Leute gut von meinem jeweiligen Vorschlag überzeugen.“


Die 55-Jährige hält nichts von Rekonstruktionen um ihrer selbst willen. Mit einer Wiederherstellung oder Nachbildung gewinne man die historische Substanz nicht zurück. Sie zieht dort, wo es Lücken hat, eine zurückhaltende Oberflächenbearbeitung vor, die ganz ohne Komplettierungen auskommt. Das sei ehrlicher.

Mit Fehlern umgehen, die früher gemacht wurden

Obwohl Doris Warger mit ihrer Firma, zu der drei feste und zwei freie Mitarbeitende sowie im Sommer zwei Studierende gehören, für ihre Kompetenz bekannt ist, bespricht sie sich gern mit Experten verwandter Fachrichtungen, beispielsweise mit Kunsthistorikern und Archäologen. „Gerade wegen meiner Leidenschaft für die Entstehungsgeschichte bemühe ich mich, nicht nur mein Gebiet zu sehen, sondern den Blick frei zu haben für die neuralgischen Stellen, die es in der Praxis auf jeder Baustelle gibt. Das heisst auch, mit Fehlern umzugehen, die früher gemacht wurden.“ Die schlimmsten Feinde von Altbauten seien im Übrigen nicht etwa Feuchtigkeit und Temperaturschwankungen. Es seien oft die falschen Materialien, die in jüngerer Zeit verwendet wurden, welche Bestehendes nicht nur beschädigen, sondern für immer zerstören können.


Auch Zeitgenössisches mit konserviert und renoviert werden

Es ist ein verbreiteter Trugschluss anzunehmen, bloss mindestens hundertjährige Gebäude müssten restauriert werden. Auch zeitgenössische Wandmalereien oder eine Corbusier-Kirche müssten renoviert und konserviert werden. Vor der Restaurierung kommt die Prävention, was nichts anderes ist als die kontinuierliche und regelmässige Pflege und Wartung. Das ist das, was Doris Warger mit der Liebe zur Heimat auch gemeint hat.

 

Zur Person

Doris Warger, geboren 1959, ist seit 28 Jahren freischaffende Restauratorin. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit sind: Untersuchungen, Konservierungen, Restaurierungen und Dokumentation im Bereich Baudenkmalpflege. Ihr bevorzugtes Gebiet sind Malereien auf Putz und Holz. Eine Auswahl an Restaurierungsobjekten (Kathedrale Chur, Kloster Fischingen, Kloster Müstair, Klosterkirche Paradies/Schlatt, Stadtbibliothek Schaffhausen) zeigt, wie gefragt sie als Fachfrau ist. Ihr Wissen stellt sie Denkmalpflegern, Architekten, Berufskollegen und Privaten zur Verfügung. – Doris Warger ist u.a. Bundesexpertin beim Bundesamt für Kultur im Fachbereich Verputzkonservierung und –restaurierung. Sie lebt in Frauenfeld. Im Thurgauer Buchbeitrag zum Konziljubiläum „Rom am Bodensee“ ist Doris Wagner Mitautorin. Mehr dazu hier. (kze)

 

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