Seite vorlesen

Der Film war ein Geschenk

Der Film war ein Geschenk
"Ich kann die Gegensätze des Lebens, das Schöne und Schwere besser annehmen": Renate Flury über das, was die Arbeit an dem Film mit ihr gemacht hat. | © Kathrin Zellweger

Renate Flury ist eine der fünf Personen im Dokumentarfilm "Gute Tage" von Urs Graf, dessen Thema die künstlerische Schaffenskraft ist, die sich einer körperlichen Behinderung nicht beugen will. Die filmische Begleitung, die fast vier Jahre gedauert hat, hat die Thurgauer Künstlerin gestärkt, obwohl sie heute körperlich noch versehrter ist als zu Beginn des Drehs.

Von Kathrin Zellweger

Wie war sie aufgeregt, als sie nach Zürich fuhr, um sich den fertig geschnittenen und vertonten Film "Gute Tage" zum ersten Mal anzusehen! Nach 99 Minuten die letzte Einstellung, der Abspann. Renate Flury, allein mit sich im dunklen Kinosaal, fühlt sich leicht und glücklich. Schöne und traurige Bilder hat sie an sich vorbeiziehen lassen, hat sich zugesehen, sich gefragt, sich gewundert, sich gefreut. Gefühle sind hoch gekommen – die guten stärken sie bis heute. "Ich, die ich auf den Rollstuhl angewiesen bin, habe mich stehend malen gesehen. Das ist Glück. Dieser Film hat mich im doppelten Wortsinn aufgestellt." Ob es mit den Dreharbeiten, den Diskussionen mit dem Regisseur oder den Begegnungen mit den anderen vier körperlich behinderten Kunstschaffenden zusammenhängt, dass sie sich heute kraftvoller wahrnimmt, obwohl sie, medizinisch gesehen, heute versehrter ist als früher, kann die Malerin und Bildhauerin nicht sagen. "Es gibt eine Kraft, die sich nicht sichtbar materialisieren muss und dennoch ist sie da und wirkt sich positiv auf das Leben aus."

Die heute 64-jährige Frau, die auf den Rollstuhl angewiesen ist, stützt den Kopf in die Hand und versucht zu erklären, worin dieses neu entdeckte Glück besteht. "Ich kann die Gegensätze des Lebens, das Schöne und Schwere besser annehmen; ich kann das unkontrolliert Kreatürliche und das Gezähmte oder bewusst Gesetzte besser vereinen und für mich nutzen. Diese Archaik hat viel mit Kunst zu tun." Alle fünf Kunstschaffenden, zwei Frauen, drei Männer, gehen ganz unterschiedlich mit ihrem Schicksal um, was sich in ihrer Kunst beziehungsweise im Umgang mit Kunst manifestiert. Insofern weist "Gute Tage" weit über Renate Flury hinaus, weil stimmt, was auf dem Filmplakat steht: "Leben heisst, immer wieder anfangen auf neue Ziele zugehen, nicht aufgeben."

Ihre Hoffnung? Dass der Film sein Publikum finden möge

Für Renate Flury war es eine glückliche Fügung, dass der Dokumentarfilmer Urs Graf sie vor gut vier Jahren anfragte, ob sie als Künstlerin mit einer körperlichen Behinderung – "2001 bin ich an Multipler Sklerose erkrankt" – mitmachen wolle. Damals lautete der Arbeitstitel "Unstillbares Feuer". Damit war es ihr nicht ganz wohl. Zu aufgeplustert, zu gross kam er ihr vor, auch wenn er ausdrückte, was sie als Künstlerin immer schon in sich gespürt hatte: dieses Drängen, sich künstlerisch ausdrücken zu wollen und zu müssen. "Das muss der Film vermitteln und braucht nicht im Titel angekündigt zu werden." Die Hoffnung, die Renate Flury mit dem Film, an den der Kanton Thurgau 30'000 Franken bezahlt hat, verbindet, ist klein und gross zugleich: dass er sein Publikum finde, dass die Menschen danach genährt nach Hause gehen. Welche Hoffnung verbindet sie mit dem Film für sich? "Ich weiss nicht, ob ich auf etwas hoffe; ich bin offen. Eines weiss ich sicher: Der Film war ein Geschenk."

Weiterlesen:

Unsere Autorin Kathrin Zellweger hat bereits 2013 über die Filmpläne berichtet. Den Artikel "Leidenschaft unter besonderen Umständen" finden Sie hier: http://www.thurgaukultur.ch/magazin/1123/ 

Mehr zum Film und seinen weiteren Protagonisten gibt es hier: https://der-andere-film.ch/filme/filme/titel/ghi/gute-tage 

 

Der Trailer zum Film

 

Vorpremiere Kino Arthouse Movie / Piccadilly, Zürich, in Anwesenheit von Regisseur Urs Graf und Protagonisten Moderation Filmgespräch: Sabine Gisiger: 21. Juni, 18.00 Uhr

Weitere Termine:

Frauenfeld, Cinema Luna, 25.6., 11 Uhr, in Anwesenheit von Urs Graf und Renate Flury

St. Gallen, kinok, 22.6. 19.45 Uhr, in Anwesenheit von Urs Graf

Wettingen, Kino Orient, 15. und 21. Juni

Zürich, Arthouse-Kino Movie, ab 29. Juni

Bern, Kino Rex. am 29.6., 18 Uhr, in Anwesenheit von Urs Graf

Solothurn, Kino im Uferbau, 2. - 5. Juli, am 2.7., 18 Uhr, in Anwesenheit von Urs Graf und Schang Hutter

Winterthur, Kino Cameo, 1.7., 20.15 Uhr, in Anwesenheit von Urs Graf und Renate Flury

www.renateflury.ch

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Film

Kommt vor in diesen Interessen

  • Porträt
  • Vorschau

Werbung

15 Jahre Kulturkompass

Jubiläumsstimmen und Informationen rund um unseren Geburtstag.

Kunstwettbewerb: Skulptur für SOPHIA-Garten

Die Spitalstiftung Konstanz und die Werner-Schupp-Stiftung Konstanz schreiben einen Kunstwettbewerb aus. Vorschläge für den SOPHIA-Garten können bis zum 30. Oktober 2024 eingereicht werden.

igKultur Ost aktuell (Herbst'24)

Aktuelle Infos aus dem Ostschweizer Kulturuniversum: Stärkung der igKultur Ost – Sektion Thurgau, Kultur und Tourismus, Kulturstammtisch, ...

"Movie Day": jetzt für 2025 bewerben!

Filme für das 12. Jugendfilm Festival können ab sofort angemeldet werden. Einsendeschluss der Kurzfilme für beide Kategorien ist der 31.01.2025

Ähnliche Beiträge

Film

„Produzieren ist wahnsinnig viel Psychologie“

Unsichtbar (4): Die Filmproduzentin Katrin Renz arbeitet in Zürich, 2018 wurde sie in Cannes als „Producer on the Move“ ausgezeichnet. Sie erklärt, was ihren Job ausmacht. mehr

Film

Vom Glück, Letzter zu sein

Der im toggenburgischen Nesslau aufgewachsene Jann Anderegg erzählt von den Herausforderungen als Editor für Kinofilme und sein aktuelles Dokumentarfilmprojekt „Traces of responsability“. mehr

Film

Geschichte auf und abseits der Leinwand

Vom 2. bis am 9. August findet im Hof des Staatsarchiv das 34. Open Air Kino Frauenfeld statt. Der Verein Frauenfelder FilmfreundInnen hat das Freilichtkino gegründet. mehr