von Brigitta Hochuli, 25.05.2011
Was der VW-Käfer mit dem Thurgau zu tun hat

Der deutsch jüdische Ingenieur Josef Ganz (1898-1967) hat mit dem „Maikäfer“ den Prototyp des Volkswagens entwickelt. Alt Denkmalpfleger Jürg Ganz ist sein Nachkomme.
Brigitta Hochuli
„Zu diesem Buch kam ich über einen Verwandten der Hauptfigur, den langjährigen Denkmalpfleger des Kantons Thurgau, Jürg Ganz“, sagt der Frauenfelder Huber-Verleger Hansrudolf Frey. „Sozusagen ein halbes Thurgovianum.“ Das Buch handelt von der „wahren Geschichte des VW-Käfers“ und „wie die Nazis Josef Ganz die VW-Patente stahlen.“
Es ist die Geschichte eines unbequemen Erfinders und Chefredaktors, einer Flucht in die Schweiz und einer Auswanderung nach Australien. Erfunden hat Josef Ganz unter dem Namen Maikäfer den von einem Heckmotor angetriebenen Kleinwagen, der später als Volkswagen-Käfer einer der populärsten Schlager in der Geschichte der Auto-Industrie wurde.
Präsentation vor Hitler
Glück brachte die Erfindung dem in Budapest geborenen jüdischen Ingenieur aber nicht. Zeitlebens kämpfte er um seine Patente. Denn den Auftrag für den Bau des Käfers hatte Porsche bekommen. Autor Paul Schilperood zeichnet seinen Weg nach „von den kühnen Ideen bis zur Präsentation des Prototyps vor Adolf Hitler, von den ersten Stürmen der Begeisterung bis zu den Intrigen und Verfolgungen durch Nazis“. So lautet die Ankündigung im Huber-Prospekt, der auch eine Fernseh-Verfilmung verspricht. Vernissage für das Buch war am 15. Mai im Verkehrshaus Luzern.
Tipp vom Denkmalpfleger
Alt Denkmalpfleger Jürg Ganz ist zurzeit in den Ferien und konnte nicht befragt werden. Das junge Familienmitglied Lorenz Schmid aus Muri bei Bern schickte aber stellvertretend einen Stammbaum. Daraus wird ersichtlich: Der Bruder des Vaters von Josef Ganz ist der Grossvater von Jürg Ganz und Lorenz Schmids Urgrossvater.
Als Chefredaktor eines Modellauto-Fachmagazins hat Schmid Ende 2007 seine Verwandtschaft um Hilfe bei den Recherchen zu Josef Ganz aufgerufen. Auf Josef Ganz und dessen Biografen Paul Schilperood war er in einer Reportage des Tages-Anzeigers gestossen. Als in Holland das Buch herauskam und ein deutscher Verlag gesucht wurde, sei ein Tipp von Jürg Ganz und an Hansrudolf Frey vom Huber Verlag gerade recht gekommen.
Der Seppl - Spinner oder Genie?
In der Familie sei über Josef Ganz lange nicht gesprochen worden und wenn, dann habe man nicht genau gewusst, ob dieser Seppl ein "Spinner" oder ein Genie gewesen sei, erzählt Lorenz Schmid. „Man wusste einfach auch zu wenig über ihn. Und in der Zeit, als er noch lebte, war er der umtriebige Verwandte, der seine Projekte im Automobilmarkt verfolgte - immer beschäftigt und unterwegs. Man hatte nicht viel Kontakt mit ihm.“ Heute wüssten noch einige weibliche Familienmitglieder von Josef Ganz zu erzählen - vor allem in Bezug auf seine langjährige Freundin, mit der er gelebt habe.
„Seppl wurde verfolgt“, schrieb Lorenz Schmid an seine Familie. „Die Gestapo hatte auch Kontakte in die Schweiz, wo die Gerichtsverhandlungen Aktenschränke füllten und die Zeitungen von Volkswagen-Ganz berichteten, der in Deutschland als Chefredakteur der Motor-Kritik die Automobil-Industrie aufgewirbelt hatte.“ Josef Ganz habe für Daimler-Benz und BMW gearbeitet, betont Schmid. „Er war seiner Zeit voraus.“ Die Nazis hätten versucht, ihn umzubringen. „Nur Glück rettete ihn vor den langen Hebeln der Gestapo.“
Porsche nicht der geistige Vater
Der Maikäfer von Josef Ganz war 1933 als Standard-Superior auf den Markt gekommen und auf der Internationalen Automobil- und Motorradausstellung in Berlin präsentiert worden. Bald danach wurde Ganz verhaftet. Der VW-Käfer ging dann 1938 bei Ferdinand Porsche in Produktion. Ganz war 1934 nach Liechtenstein und später in die Schweiz geflohen. Er strengte zahlreiche Prozesse an, galt als notorischer Querulant und wanderte 1951 nach Australien aus, wo er 1967 starb.
„Es bleibt eine unumstössliche Tatsache, dass Ferdinand Porsche und sein Ingenieursteam mit dem VW Käfer ein für die damalige Zeit unvorstellbar solides Auto gebaut haben - aber er war nicht der geistige Vater dieses Konzeptes“, schreibt Paul Schilperoord im Vorwort zu seinem Buch. Es sei sicher: „Ohne Josef Ganz hätte es den so unheimlich populären VW Käfer niemals gegeben.“
*****
Paul Schilperoord, „Die wahre Geschichte des VW-Käfers. Wie die Nazis Josef Gnaz die VW-Patente staheln“, aus dem Niederländischen von Paul van Ooijen und Peter Wydler, 304 Seiten, 39.90 Franken, Verlag Huber Frauenfeld, 2011

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