von Brigitta Hochuli, 06.06.2011
Hans Baumgartners Steckborn neu fotografiert

Der Thurgau feiert Hans Baumgartner. Drei jüngere Fotografen sehen seinen Wirkungsort neu. Am Dienstag wurde für die Ausstellung das Gemeindehaus inspiziert.
Brigitta Hochuli
Ab 5. Juli wird die Ausstellung „Thurgauer Fotografie heute“ die seit Mai eingerichtete Baumgartner-Schau im Turmhof Steckborn ergänzen. Der in Kradolf und Sulgen aufgewachsene Fotograf Roland Iselin und der Weinfelder Martin Gasser, Konservator der Fotostiftung Schweiz, haben die Ausstellungsräume im Gemeindehaus aber bereits besichtigt. Der neue Stadtammann sei sehr nett und unkompliziert. Erste Gespräche mit Mitgliedern der IG Handel, Gewerbe, Tourismus an der Seestrasse haben ebenfalls schon stattgefunden. Denn an deren Schaufenstern sollen die Bilder von Iselin sowie der Thurgauerin Judith Stadler und des Winterthurers Christian Schwager bis im Herbst zu sehen sein.
„Nöd nur hinderschi“
Lebte Hans Baumgartner noch, könnte er im September den 100. Geburtstag feiern. Gestorben ist er 1996. Doch auch das 21. Jahrhundert sollte im Baumgartner-Gedenkjahr zu seinem Recht kommen. Die Fotostiftung Schweiz, die seit 1992 Baumgartners Archiv betreut, hat deshalb die Idee von Projektkoordinator Alex Bänninger aufgenommen. Es sollte zur Ausstellungsreihe mit Baumgartner-Bildern „ein Anlass hinzukommen, der mit heute zu tun hat“. Einer, der „vorus luegt und nöd nur hinderschi“.
Zur laufenden Ausstellung im Turmhof wolle man auf der Strasse und im Gemeindhaus einen Gegenpol schaffen. Eine direkte Auseinandersetzung mit Hans Baumgartner als Foto-Pionier oder Vorbild sei die Arbeit der Jüngeren aber nicht. „Wir sehen das nicht so eng.“ Es gehe um eine Auseinandersetzung mit dem Raum Steckborn, erklärt Martin Gasser. In diesem Sinn habe sich die Fotostiftung mit den Künstlern abgesprochen.
Keine Kopie
Roland Iselin hat im Kindergartenzentrum Hub und in der Sekundarschule je ein kleines Studio eingerichtet und rund 70 Schüler während je rund fünf Minuten fotografiert. Der rote Faden zum Sekundarlehrer Baumgartner habe ihn interessiert. Es sei aber nicht darum gegangen, ihn zu kopieren. Denn Baumgartner, ein Dokumentarist der ersten Stunde, habe seine Schüler ja im Schulalltag fotografiert. Für Iselin ist der Auftrag eine Fortsetzung seiner Arbeit „Members“ (2002 - 03), die in der Zürcher edition fink 2007 als Serie unter dem Titel „My Territory“ in einer Art Klappschachtel publiziert worden ist. Die Serie zeigt Schweizerinnen und Schweizer als Mitglieder in den verschiedensten Vereinen. „Jeder Protagonist konnte innerhalb des Settings seine Ideen und seine Persönlichkeit ins Bild einbringen. Zugleich war die Situation eine absolut inszenierte“, schreibt Iselin auf seiner Homepage.
Faden weitergesponnen
Ganz besonderes Interesse wecken bei Roland Iselin die Schnittstellen am Dokumentarischen in der inszenierten Fotografie und am Inszenierten in der dokumentarischen Fotografie. Da die Fotografie per Definition mit realen Objekten arbeite, sei der Aspekt des Dokumentarischen in jeder Fotografie enthalten, möge sie noch so eindeutig inszeniert sein. Auf der anderen Seite operierten zum Beispiel Street Photographers mit dem Ausschnitt, liessen gezielt Aspekte weg und schlössen andere ein. „Sie warten dabei auf den entscheidenden - ob auf den richtigen oder lieber auf den falschen - Augenblick und inszenieren somit in einem gewissen Sinn."
Für die Arbeit in Steckborn hat Iselin den Faden aus der Arbeit "members" wieder aufgenommen und weitergesponnen. Die kommende Ausstellung sei der Ausgangspunkt dafür, wobei er hier den eher dokumentarischen Zugang gewählt habe in dem Sinne, dass er nicht eine narrative Szene inszeniert habe, wie in seinen explizit inszenierten Fotografien.
Zur Besichtigung der Ausstellungsflächen im Steckborner Gemeindehaus konnten die Fotografin Judith Stadler und Christian Schwager nicht anwesend sein. Judith Stadler hat Steckborner Schüler in ihrer Freizeit fotografiert. Christian Schwager hat sich unter anderem das Museum im Turmhof vorgenommen und einzelne Objekte fotografisch aus ihrer Umgebung herausgehoben.
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Ausstellung im Foyer des Gemeindehauses: 5. Juli bis 16. Oktober; Vernissage: 5. Juli, 17 Uhr; ab 5. Juli Ausstellung auch in den Schaufenstern der Mitglieder der IG Handel, Gewerbe, Tourismus an der Seestrasse. Weitere Baumgartner-Ausstellungen im Thurgau auf www.baumgartner-feiern.ch
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Judith Stadler
Geboren 1969 in Münsterlingen. Matura B 1988. Fotoklasse an der Ecole d‘Arts Appliqués in Vevey 1992 – 1996. Seit 1998 selbstständige Fotografin in Zürich. Schwerpunkt der Arbeit: Gesellschaftsreportage, Porträt. Prix Schmid 1996; VfG Nachwuchspreis 1998; Projektunterstützung durch die Thurgauer Kulturstiftung 2006. Ausstellungen (Auswahl): Photoforum PasquArt, Biel 1993 («L‘étrange – Das Fremde»); Renc‘art, Vevey 1994 («Ljubljana»); Concours Michel Jordi, Genf 1997; Traffic Art Gallery, Zürich 2002 («Annual Art»); EWZ-Unterwerk Selnau, Zürich 2003 («The Selection 2002. Werkschau der Schweizer Fotografie», Wanderausstellung); 10. Bieler Fototage, Biel 2006. www.dasbild.ch
Roland Iselin
Geboren 1958 in Kreuzlingen. Höhere Schule für soziokulturelle Animation 1987 – 1990. School of Visual Arts New York 1993. Fotofachklasse an der Schule für Gestaltung Zürich 1991 – 1994. Master of Fine Arts an der School of Visual Arts New York 1999 – 2001. Eidg. Preis für Gestaltung 1996, 1998; Kunststipendium des Kantons Zürich 1998; Werkbeitrag der Kulturstiftung des Kantons Thurgau 1998, 2000, 2007; Werkbeitrag des Bundesamts für Kultur 1999, 2001, 2006; Fine Arts Award der School of Visual Arts 2001; Montana Artist Refuge 2001. Ausstellungen (Auswahl): Kunstraum, Kreuzlingen 1999 («Human Resources»), 2007 («Route One»); Zwischenraum Scalo/Schweizerische Stiftung für die Photographie, Zürich 2001; Les Complices, Zürich 2003; White Space, Zürich 2006 («Waiting»). www.rolandiselin.net
Christian Schwager
Geboren 1966 in Zürich. Primar- und Sekundarschule in Uster 1973 – 1982. Berufslehre als Fernseh- und Radioelektroniker 1982 – 1986. Elektroniker, Alphirt, Landschaftsgärtner 1986 – 1994. Fotografenausbildung bei der Gruppe Autodidaktischer FotografInnen GAF in Zürich 1992 – 1994. Fotoklasse an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich HGKZ 1994 – 1999. Freischaffender Fotograf. Arbeitsbereiche: Landschaft, Wald, Architektur. Nachwuchsförderpreis vfg 2000; Werkstipendium des Kantons Zürich 2002; Kulturpreis der Kulturstiftung Winterthur 2004. Ausstellungen (Auswahl): CoalMine Fotogalerie, Winterthur 2001 («Landschaften»); Museum im Bellpark, Kriens 2004 («Falsche Chalets. Die getarnten Bunker der Schweiz»); Kunstraum, Kreuzlingen 2004 («Beton&Maschendraht»); Museum für Gestaltung, Zürich 2004 («Falsche Chalets»); Künstlerhaus S11, Solothurn 2005 («My Lovely Bosnia»); Galerie Luciano Fasciati, Chur 2005 («Falsche Chalets»). www.christianschwager.ch

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