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von János Stefan Buchwardt, 28.09.2012

Übermacht einer Sexgöttin

Übermacht einer Sexgöttin
Hanna Scheuring spielt die Schizophrene Sara spielt Marilyn Monroe. | © pd

Aus Marilyn Monroe eine gute Leistung herauszuholen, sei so schwer wie Zähne ziehen. So der Regisseur Billy Wilder nach den Dreharbeiten von «Some Like It Hot». Dem Regisseur Jean Grädel sei, schweren Herzens, in den Mund gelegt: Hanna Scheuring zu einer Glanzleistung zu verhelfen, ist für dieses Mal nicht weniger leicht.

50 Jahre nach Marilyns Tod zeichnet eine ambitionierte Theaterfrau Stationen aus dem Leben der Hollywood-Ikone nach. «Love, Marilyn» – die Bemühung ist ehrenwert, vielversprechend, auch wenn sie sich in ein grosses Arsenal an Stoffbearbeitungen einreiht. Philipp Wacker, Leiter des Phönix-Theaters 81 in Steckborn, rapportiert vor Vorstellungsbeginn, die Initialidee zur Programmierung des Stückes gehe vom Thurgauer Theatermacher und Kulturpreisträger Jean Grädel aus. Der Funke sei übergesprungen. Er fällt auf längst fruchtbaren Boden: Die Schauspielerin Hanna Scheuring, versiert auf Bühnen, im Film- und Fernsehumfeld, wird zur Autorin. Mit grossem Engagement fertigt sie ein Theaterstück, das sich aus einem reichen Materialfundus an Tagebucheintragungen, gesammelten Briefen und aus dem Roman einer US-amerikanischen Schriftstellerin speist. Und Scheuring wird zur Hauptdarstellerin. Warum geht, trotz allen Aufwands, eine gemütsarme, mitunter lasche biografische Fühlungnahme über die Unterseebühne?

Fragwürdige Kunstgriffe

Wer eine Person mit derartigem Kultstatus auf die Bühne stellt, auch nur indirekt, betritt verminte Böden. Im Vorfeld konstatiert Hanna Scheuring, damit umgehen und sich davor schützen zu können – sie und Jean Grädel unterschätzen die Übermacht der Sexgöttin gewaltig. Der an sich überzeugende Kunstgriff, eine Psychiatriepatientin namens Sarah vorzuschieben, verkommt beiden, leichten Sinnes, zum versuchten Unschuldsbeweis. Zusehends und verhängnisvoll verfällt Scheuring dem Dilemma, über die schizophrene Sarah in eine um keinen Preis gewollte konkrete Darstellung der Monroe eintauchen zu müssen. Im Zwiespalt zwischen dem Kampf um eine kontrolliert hergestellte Distanz und einer naturgemäss hohen Publikumserwartung an die Monroe-Interpretation wird das Spiel leblos und schablonenhaft.

Wer sich im hautengen dunklen oder goldfarbenen Cocktailkleid neben einem schwarz lackierten Flügel auf einem Barhocker räkelt, in dem wollen wir das Sexsymbol Marilyn unabdingbar entdecken. Gerade auch bei Sarahs Liedauslegungen, selbst da, wo sie nur bruchstückhaft zitiert werden, drängt sich, geradezu zwangsweise, der Vergleich mit dem Original auf. Scheuring muss fatalerweise den Kürzeren ziehen. Es sei gemutmasst, dass man dem hätte entgehen können, wäre der Fokus stärker auf das Schicksal der Sarah gelenkt worden. Ihr Los bleibt zweitrangig und unbearbeitet, obwohl es erklärtermassen im Vordergrund stehen will. Die Patientin wird zum Vehikel für eine Rollenspiel-Collage. Tragik und Anteilnahme kommen so nicht zum Tragen, bedauerlicherweise weder bei Marilyn noch bei Sarah.

Buntes Beziehungskaleidoskop

Trotz allem, der Abend ist alles andere als nicht sehenswert. Die eineinviertel Stunden lange Darbietung ist, abgesehen von der Grundproblematik, aufschluss- und immer wieder auch geistreich. Jean Grädel schafft ästhetisch faszinierende Momente: Sarah, die sich anfangs, auf einem nüchternen Metallkrankenbett kauernd, in private Zeilen der Monroe vertieft, während ein handschriftlicher Originalbrief Marilyns auf einen davor hängenden Gazevorhang projiziert wird. Der ausgezeichnete Musiker und Pianist Daniel Fueter, der, in die weisse Arbeitskluft eines Psychiatriepflegers gewandet, mehrfach im Laufe des Abends die Bühnendiagonale abgeht, um die Patientin einsilbig auf realen Boden zurückzuholen, und mit stoischem Sinn für die tatsächliche Lage auf seine Einsätze wartet.

Während ein Tablett mit Champagner und Pillendosen auf Fueters Flügel ebenso geduldig den Untergang und das mysteriöse Ende der Norma Jeane Mortenson heraufbeschwört, wird ein buntes Beziehungskaleidoskop aufgeblättert, das sich in weiten Teilen auf den Roman «Blond» von Joyce Carol Oates abstützt. Der Schauspiellehrer Lee Strasberg, Marilyns Mutter Gladys Pearl Mortenson, die drei Ehemänner (James Dougherty, der Baseballstar Joe DiMaggio und der Dramatiker Arthur Miller) und die Kennedy-Brüder dürfen an diesem Abend natürlich nicht fehlen. Bis zur Zürcher Premiere am 26. September 2012 besteht noch Gelegenheit, am Auskosten der Rollen zu arbeiten. Das Marilyn lebendiger ist, als die Thurgauer Premiere uns weismachen will, bleibt unbestritten.

***

Premierenbesprechung in der "Thurgauer Zeitung" hier.

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