Seite vorlesen

von Judith Schuck, 09.09.2021

Abstimmungskampf spitzt sich zu

Abstimmungskampf spitzt sich zu
Plakate des Pro-Komitees am Kreuzlinger Boulevard: Glücksfall für Kreuzlingen. | © Judith Schuck

Ein Kulturzentrum, das mit vielfältigem Programm zu erschwinglichen Preisen ein breites Publikum anzieht. So sieht ein zehn Jahre alter Traum der Stadt Kreuzlingen aus, der mit dem Kult-X immer mehr Realität geworden ist. Eine Volksabstimmung könnte nun das Aus bedeuten.

Es gibt die Gesellschaft für Musik und Literatur für Klassikfans, das Theater an der Grenze für Liebhaberinnen von Comedy, das Kultling und den Horst Klub für Rock- und Indie-Freundinnen und -Freunde. Dazu kommen viele hochkarätige Jazzmusikerinnen und -musiker, Theaterschaffende, Perfomerinnen und Performer, die alle keine eigene Bühne haben und ein Kulturzentrum brauchen, damit sie ihre Kreativität dem Publikum präsentieren können. Ausserdem hat der Tanz – von Tango über Breakdance bis zur Improvisation – im Schiesser-Areal in Kreuzlingen ein neues Zuhause gefunden. In dem Fabrikgebäude an der Hafenstrasse 8 in Kreuzlingen, wo früher der Fabrikverkauf und das Lager des gleichnamigen Schweizer Unterwäscheherstellers war.

 

Beim Tanzbattle The Funk is Back! kamen nicht nur Breakdancer sondern auch Rapperinnen und Sprayerinnen und Sprayer ins Kult-X. | Bild: zVg

 

Und nicht zu vergessen das Kino. Nachdem des Konstanzer Scala Kino einem Drogerie-Markt weichen musste – die Schliessung schlug hohe Wellen und inspirierte den Dokumentarfilmer Douglas Wolfensberger zum Film «Scala Adieu – von Windeln verweht» – starteten einige Mitglieder der Initiative «Rettet das Scala» das Filmforum Kreuzlingen und Konstanz (KuK). Sie gingen dafür ins Kult-X, wie die Räume seit 2018 heissen. Als erster Verein bespielte das Filmforum den noch völlig rohen Bau des Kulturzentrums mit erlesenen Arthousefilmen und gesellschaftsrelevanten Dokumentarfilmen und zog so bald ein Stammpublikum an.

Tür an Tür, im selben Gebäudekomplex, ist der Kunstraum Kreuzlingen der Thurgauer Kunstgesellschaft beheimatet und zeigt seit 2005 ausgewählte zeitgenössische Kunst.

Die Traumblase könnte bald platzen

Die Geschichte des Kult-X ist bereits lang und erfolgreich. Gelang es den Macherinnen und Machern doch ganz viele Kulturschaffenden und Kulturinstitutionen unter diesem Dach zu vereinen.

Im Herbst 2017 startete Simon Hungerbühler vom Theater an der Grenze als Projektleiter, 2019 übernahm Christine Forster, Musikdozentin in Kreuzlingen. Sie war von Anfang an vertraut mit dem Vorhaben, hier ein kulturelles Zentrum zu erschaffen.

Video-Portrait des Kult-X

 

Der Umbau schritt voran, zusätzliche Räume wurden frei und umgebaut. Im Raum S für Spiel zügelte die Ludothek. Im Raum T finden in erster Linie Tanz-, Theater- und Performance-Veranstaltungen statt. Der Raum K ist zum Kino geworden mit selbst gezimmerter Tribüne. Er wird auch für Konzerte genutzt. Die Gesellschaft für Musik- und Literatur ist inzwischen mit ihren Konzerten im Multifunktionsraum M angesiedelt, B steht für Bewegungsraum. Hier wird getanzt, Qigong oder Yoga gemacht.

„In drei Jahren ist so die Vision von einem Ort für ein breitgefächertes Kulturangebot wahr geworden. Doch könnte die Traumblase bald platzen.“

Judith Schuck

Auch das See-Burgtheater hat hier seinen Fundus und probte für das diesjährige Stück «Die Schweizermacher» im Kult-X. In drei Jahren ist so die Vision von einem Ort für ein breitgefächertes Kulturangebot wahr geworden. Doch könnte die Traumblase bald platzen.

 

Auch das See-Burgtheater ist Teil des Kult-X und probt hier. | Bild: zVg

 

SVP möchte Kultur nicht noch mehr subventionieren

Vor gut einem Jahr rumorte es im Kreuzlinger Gemeinderat. Das Unbehagen gegenüber dem Geschehen im Schiesser-Areal ging von der SVP-Fraktion aus. Das Kult-X schlucke Steuergelder, die nicht offengelegt würden. Es sei ein Projekt der Stadt, die dazu niemals Gemeinderat oder Volk befragt habe. Eine schriftliche Anfrage von SVP-Gemeinderätin Barbara Hummel setzte die Räder in Gang, die zur Volksabstimmung am 26. September führen. Die Bevölkerung solle sehen, was das Kulturzentrum tatsächlich koste.

Hintergrund ist: 2008 kaufte die Stadt Kreuzlingen für 2.1 Millionen das Schiesser-Areal, mit der Absicht, hier ein Zentrum für Gewerbe und Kultur aufzubauen. 2012 gab es bereits das dreimonatige Pilotprojekt «Kultur im Shop». Kulturstadträtin Dorena Raggenbass hatte dafür eine Arbeitsgruppe einberufen. Auf keinen Fall solle dieses Pilotprojekt im Sand verlaufen, sagte sie nach diesem Erfolg, von dem viele noch heute schwärmen.

 

Konzert der beiden Musiker Fabrizio Mocata und Modestino Musico aus Florenz – zu Ehren des Argentiniers Astor Piazzolla. | Bild: zVg

Stadt erlässt Raummiete

Ab 2017 begann allmählich der Aufbau des Kulturzentrums, da Räumlichkeiten frei wurden. Die Stadt unterstützte das Pilotprojekt Kulturzentrum Kreuzlingen seit 2019 mit einem festen Betriebsbeitrag und subventionierter Miete. Ab 2022 soll die Stadt für die Weiterentwicklung des Betriebs drei Jahre 250'000 Franken jährlich zur Verfügung stellen. Davon gehen 120'000 Franken an die Betriebskosten des Trägerverein Kult-X. Die übrigen 130'000 Franken sind die Miete, die sie dem Verein erlässt: Die Stadt stellt diese Räume kostenlos zur Verfügung, damit hier Kultur stattfinden kann.

Bei der Abstimmung am 26. September geht es zum einen um diesen städtischen Unterstützungsbeitrag. Zum anderen soll die Liegenschaft im Wert von 4.87 Millionen Franken von einem Landkreditkonto ins Verwaltungsvermögen der Stadt überschrieben werden. Ein rein buchhalterischer Akt, bei dem keine Gelder fliessen.

Im Shutdown Möglichkeiten für Veranstaltungen ausgelotet

Christine Forster, inzwischen Geschäftsleiterin des Kult-X, steckt gemeinsam mit den Vorständen und unzähligen Freiwilligen viel Zeit, Energie und Herzblut ins Kult-X.

Wichtig ist ihr Professionalität, denn diese ziehe letztlich auch Qualität an. Selbst 2020 hat sie trotz Lockdown 58 Veranstaltungen auf die Beine gestellt. «2021 haben wir während des Kultur-Shutdowns regelmässig das Familienkino ‹Bring Your Own Movie› veranstaltet und die Räumlichkeit für Künstler freigegeben. Wir hatten keinen einzigen Tag geschlossen», fasst sie zusammen. «Seit der Öffnung am 19. April 2021 haben wir circa 100 öffentliche Veranstaltungen durchgeführt, im Schnitt vier bis fünf pro Woche. Dazu kommen 25 Kurs- und Probefenster, die Öffnungszeiten der Ludothek, Wochenend- und Ferienbelegungen, Sitzungen und diverse geschlossene Veranstaltungen.» Sie und Stephan Militz, die den Bärenanteil leisten, sind allmählich müde. Sie haben alles gegeben, um zu zeigen, was möglich ist.

„2021 haben wir während des Kultur-Shutdowns regelmässig das Familienkino 'Bring Your Own Movie' veranstaltet und die Räumlichkeit für Künstler freigegeben. Wir hatten keinen einzigen Tag geschlossen.“

Christine Forster

Auch der Garten kann für Veranstaltungen genutzt werden. Das Comedy-Duo Pasta del Amore war eine Outdoor-Veranstaltung des Theater an der Grenze. | Bild: zVg

 

Jetzt, wo sich der Abstimmungskampf zuspitzt, erreichen vereinzelt Leserbriefe die Zeitungen, in denen sich Gegnerinnen und Gegner zu Wort melden. Darunter Marc Portmann, CVP-Gemeinderat, unter dem Titel «Kult-X taugt nix». Er findet, es sei eingeklemmt zwischen dem Kulturangebot in Weinfelden und Konstanz und damit überflüssig.

Notwendig oder nur «Nice to Have»?

Es gibt ein aktives Pro-Komitee mit 120 Mitgliedern, das sich aus fast allen Parteien und privaten Unterstützerinnen und Unterstützern für zweimal Ja bei der Abstimmung einsetzt.

 

Plakate des Pro-Komitees am Kreuzlinger Boulevard. | Bild: Judith Schuck

 

Auf die Frage, warum es kein offizielles Gegenkomitee gebe, antwortet Barbara Hummel: «Ich kann eigentlich nur für meine Fraktionskolleginnen und -kollegen und mich sprechen. Wir sind klar dagegen. Ich gehe jedoch davon aus, dass es bei den Gegnern vor allem weitsichtige Leute sind, die Notwendiges von ‹Nice to have› unterscheiden können, sich aber dem öffentlichen Druck und der zurzeit betriebenen Polemik – vor allem gegenüber der SVP – nicht aussetzen möchten.»

Ihre Fraktion ist der Ansicht, dass sich Kreuzlingen das Kult-X nicht leisten könne. Es stünden wichtige Bauprojekte an und durch Corona stiegen die Sozialausgaben. Sie glaubt ausserdem, das Kult-X sei ein Fass ohne Boden. «Der Aufbau des Kult-X hätte nie in Angriff genommen werden dürfen, ohne vorher die langfristige Finanzierung zu sichern. Das taktische Vorgehen des Stadtrates hat nun dazu geführt, dass der Aufbau bereits sehr fortgeschritten ist, viel Geld und Arbeit investiert wurde, mit dem Risiko, dass jetzt allenfalls alles für die Katz sein könnte.»

„Wir sind klar dagegen. Ich gehe jedoch davon aus, dass es bei den Gegnern vor allem weitsichtige Leute sind, die Notwendiges von ‹Nice to have› unterscheiden können, sich aber dem öffentlichen Druck und der zurzeit betriebenen Polemik – vor allem gegenüber der SVP – nicht aussetzen möchten.“

Barbara Hummel

Kultur für Alle braucht Subventionen

Hummel stört sich auch daran, dass für viele Veranstaltungen keine Eintrittsgelder verlangt werden: «Darf denn mit Kultur kein Geld verdient werden?» Christine Forster antwortet: «Ich bin schon der Meinung, dass man mit Kultur Geld verdienen könnte, zum Beispiel mit teuren Ticketpreisen oder mit Künstlergagen, die einem Trinkgeld gleichen. Aber dann ist das Kult-X nicht mehr für alle da.» Und sie ergänzt: «Ein Kulturprogramm kann sich in der Regel auch nur im Zusammenhang mit einer florierenden Gastronomie und ebendiesen hohen Ticketpreisen selbst tragen, zum Beispiel bei einem Festival. Ich kenne kein einziges Kulturzentrum, wo dies der Fall ist.»

Bisher könne das Kult-X nur ein Drittel der Kosten selbst tragen. Einige Veranstalter, allen voran das Kino, arbeiten mit Kollekten. So haben auch Menschen mit geringem Einkommen die Möglichkeit, so viel zu zahlen, wie sie können und wollen. Seit einiger Zeit macht man aber auch sehr gute Erfahrungen mit dem Ticketing. «Unsere Ticketpreise variieren je nach Veranstaltung und sind mittlerweile wichtiger Bestandteil der Einnahmen», so Forster.

 

Konzert des Jazz-Trios Mani Nude im Raum K. | Bild: zVg

 

Was passiert bei einem Nein?

Was passiert bei einem Nein? «Geplant ist bei einem doppelten Nein zur Volksbotschaft, dass der Pilotbetrieb um eine weiteres Jahr verlängert wird. In dieser Zeit wird die Stadt mit dem Trägerverein und den Kulturveranstaltern das Betriebskonzept überarbeiten, also ein neues Konzept und eine neue Betriebsstruktur ausarbeiten», so Dorena Raggenbass. Das neue Konzept würde erneut dem Volk oder Gemeinderat vorgelegt werden.

«Wenn der Gemeinderat diese Beiträge streicht, dann können wir den jetzigen Betrieb nicht in dieser Form weiterführen. Dann werden wir mit den Kulturveranstaltern, allen voran dem Theater an der Grenze, das jetzt schon eine eigene Spielstätte hatte, neue Lösungen suchen.»

Bei einem Nein an der Urne weiss Christine Forster noch nicht, wie es mit dem Kult-X weitergehen wird – und ob sie noch dabei sein wird. Es wäre sicher eine herbe Enttäuschung. Für ein Weiter gebe es allerdings verschiedene Möglichkeiten. «Die gilt es aber erst nach der Abstimmung auszuloten. Eine Möglichkeit ist aber tatsächlich, dass die Türen des Kult-X am 31. Dezember 2021 schliessen werden.»

 

Worum es bei der Abstimmung geht

Zwei Dinge stehen zur Abstimmung:

 

Einerseits: Die Erhöhung des Zuschusses an das Kulturzentrum für die nächsten drei Jahre auf jeweils 250’000 Franken. Insgesamt sollen also bis 2024 750’000 Franken in Entwicklung und Betrieb des Kulturzentrums investiert werden. Mehr als die Hälfte davon (130’000 Franken pro Jahr) geht für die Miete drauf.

 

Andererseits: Die Überführung des 2008 für 1,7 Millionen Franken von der Stadt gekauften Areals (heutiger Wert: 4,87 Millionen Franken) auf dem das Kult-X angesiedelt ist, vom Landkreditkonto in das Verwaltungsvermögen der Stadt. Wichtig hierbei: Die in der Botschaft stehende Summe von 4,87 Millionen ist kein Geld, das fliessen wird, es geht lediglich um eine verwaltungsinterne Umbuchung. Die genannten 4,87 Millionen Franken sind eine Einschätzung des heutigen Wertes des Areals von Experten.

 

Wir haben bereits im Juni die genauen Inhalte zur Abstimmung dargelegt sowie über die Vorgeschichte und Vision des Projektes Kult-X berichtet.

 

 

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Kulturpolitik

Kommt vor in diesen Interessen

  • Bericht
  • Kulturförderung
  • Kulturvermittlung

Ist Teil dieser Dossiers

Werbung

Hinter den Kulissen von thurgaukultur.ch

Redaktionsleiter Michael Lünstroth spricht im Startist-Podcast von Stephan Militz über seine Arbeit bei thurgaukultur.ch und die Lage der Kultur im Thurgau. Jetzt reinhören!

Austauschtreffen igKultur Ost

Für eine starke Kulturstimme im Kanton Thurgau! Dienstag, 11. Juni 2024, 18.00 Uhr, Kult-X Kreuzlingen.

Literaturpreis «Das zweite Buch» 2024

Die Marianne und Curt Dienemann Stiftung Luzern schreibt zum siebten Mal den Dienemann-Literaturpreis für deutschsprachige Autorinnen und Autoren in der Schweiz aus. Eingabefrist: 30. April 2024

Atelierstipendium Belgrad 2025/2026

Bewerbungsdauer: 1.-30. April 2024 über die digitale Gesuchsplattform der Kulturstiftung Thurgau.

Ähnliche Beiträge

Kulturpolitik

Wie wir die Museumskrise lösen können

Die Ausbaupläne bei den kantonalen Museen sind gescheitert. Wie geht es jetzt weiter? Eine klare Fokussierung wäre ein Anfang. Ein Aufruf zur Debatte von Kurt Schmid. mehr

Kulturpolitik

Wen wählen? Die Parteien im Kulturcheck

Finanzen, Museen, Lotteriefonds: So positionieren sich Thurgauer Politiker:innen vor den Grossratswahlen am 7. April zu den wichtigsten kulturpolitischen Fragen der nächsten Jahre. mehr

Kulturpolitik

„Neuer Standort für das Kunstmuseum in urbanem Raum“

Grossratswahl 2024: Die Parteien im Kulturcheck. Die SVP fordert mehr schweizerische Kultur in den Schulen und hält an der Planung für ein neues Museum in Arbon fest. mehr