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von Veronika Fischer, 21.02.2019

Alex geht in den Knast

Alex geht in den Knast
Das Team hinter dem Projekt: Puppe Alex, Magdalene Schäfer, Albert Bahmann und Denis Ponomarenko an der Gefängnismauer in Konstanz. | © (Veronika Fischer

Das Konstanzer Theater startet ein neues Projekt in drei Justizvollzugsanstalten. In Workshops sollen Inhaftierte mit theaterpädagogischen Methoden ihrem kahlen Alltag entkommen und so neue Potentiale entdecken können. Das Projekt „Theater hinter Gittern VI“ wird mit 195.000 Euro gefördert, die Laufzeit allerdings ist ungewiss. Auch in der Ostschweiz soll es Interesse an dem Projekt geben.

Alex ist ein junger Mann mit markanten Gesichtszügen. Sein Alter ist schwer zu erraten, er hüllt sich in einen schwarzen Kapuzenpullover, hält den Blick gesenkt. Ein harter Typ. Beginnt er aber über seine Erfahrung mit dem Theater zu sprechen, so kommt Leben in ihn: „Theater ist wie ein Medikament. Theater verändert den Körper, die Seele und den Geist. Die Nebenwirkung ist: es macht glücklich.“ Alex erzählt weiter von den jungen Männern, mit denen er in den Gefängnissen arbeitet: „Die Jungs haben Lust zu spielen. Sie haben echt viel Fantasie und sie sind ehrlich.“

Alex ist kein Theaterpädagoge. Alex ist eine Puppe. Mit der Hand lässt sich sein Mund bewegen. Er stammt ursprünglich aus der Produktion von „Clockwork Orange“ am Stadttheater Konstanz. Hier hat Magdalene Schäfer ihre Finger im Spiel. Sie ist studierte Puppenspielerin und derzeit im Stück „Geron“ auf der Werkstattbühne zu sehen. Seit einigen Wochen arbeitet sie mit Häftlingen in Konstanz, Adelsheim und Ravensburg. Ihre Puppen sind stets mit dabei, die jungen Männer in den Justizvollzugsanstalten spielen mit ihnen. „Es ermöglicht einen direkteren Kontakt, wenn man mit Puppen kommuniziert“, so Schäfer. „Man muss sich berühren, sich nahe kommen. Und es gibt einem eine Freiheit, da man ja jemand anderes ist.“ Zusammen mit dem Theaterpädagogen Denis Ponomarenko hat sie bereits 2014 ein Projekt in der Konstanzer Haftanstalt initiiert. Nun sind sie zu dritt. Albert Bahmann, Lehrer für Deutsch und Englisch, ist ebenfalls im Team des Projekts „Theater hinter Gittern VI“.

Bild von der Pressekonferenz (von links) Christoph Dahl, Nese Erikli, Christioph Nix, Albert Bahmann, Denis Ponomarenko und Magdalene Schäfer. Bild: Dieter Langhart 

 

«Gefängnisse gehören eigentlich abgeschafft.»

Christoph Nix, Intendant am Theater Konstanz  

Christoph Nix, Intendant im Theater Konstanz, hat schon seit 1993 Erfahrung mit Gefängnisprojekten. Als Strafverteidiger sind ihm die Räume hinter Gittern vertraut, als Mensch widerstreben sie seiner humanistischen Auffassung. „Gefängnisse gehören eigentlich abgeschafft“, so Nix, der in seiner Rede Beispiele nennt für Gesellschaften, in welchen die Isolation als Strafe nicht stattfindet. „Die Welt ist veränderbar“, so spricht er weiter, und verändern kann das Theater: „Hier lässt sich einüben, was Zivilgesellschaft sein könnte. Man stirbt auf der Bühne nicht wirklich, man wird nicht wirklich degradiert, man kann sich ausprobieren.“

Ihm steht die grüne Landtagsabgeordnete Nese Erikli zur Seite, die gemeinsam mit Denis Ponomarenko das Projekt ins Laufen brachte. Ihr sind die Zustände in den Gefängnissen ebenfalls vertraut. In Konstanz sind 85 Personen zugelassen, derzeit sitzen über 100 in den Zellen. Vier Männer in einem Raum, die Toilette mit drin, nur eine Trennwand, man hört jedes Geräusch. Die Fenster sind mit Milchglasscheiben ausgestattet. Kein Himmel. Kein Vogel. Kein Sonnenstrahl zu sehen, für Monate oder Jahre. „Das muss man erst mal aushalten“, so Erikli, „die Umstände sind hart.“

Auch aus der Schweiz soll es Interesse an dem Projekt geben

Auch Christoph Dahl, Geschäftsführer der Baden-Württemberg-Stiftung sieht die Notwendigkeit zur Veränderung: „Menschen in allen Lebenslagen sollten wir fördern und fordern. Wir dürfen keinen fallen lassen.“ Seine Stiftung hat seit der Gründung 24 Millionen Euro in Projekte wie diese fließen lassen. Hier sind es 195 000 Euro, die „Theater hinter Gittern VI“ eine Laufzeit von bis zu zwei Jahren sichern würden. Die Entscheidung zur vollen Laufzeit hängt jedoch von Karin Becker ab, die im August 2020 die Intendanz von Nix übernehmen wird.

Für das Projekt hat sich Guido Wolf, der baden-württembergische Minister für Justiz und Europa stark gemacht. Und auch über die Landesgrenzen hinaus schlägt das Projekt Wellen. So habe der St. Galler Regierungsrat Fredy Fässler im Gespräch mit Nix deutlich gemacht, dass an einer Realisierung von Theaterprogrammen für Gefängnisse im Kanton St. Gallen Interesse bestehe.

Aussenansicht vom Konstanzer Gefängnis. Bild: Elaine Fehrenbach

 

Rehabilitation beginnt im Knast

Wie relevant die Arbeit hinter Gittern ist, wird deutlich als Erikli die Zahlen der inhaftierten Wiederholungstäter nennt: 48 Prozent der jugendlichen Straftäter sind bereits zum zweiten Mal im Gefängnis. Eine Mitarbeiterin aus Adelsheim berichtet aus ihrer vierzigjährigen Erfahrung. „Wir brauchen die künstlerische Arbeit und qualifizierte Menschen, die diese vermitteln“, sagt sie. Es gibt neben dem Pflichtprogramm bestehend aus Schule, Arbeit und Therapie eine Reihe von freiwilligen Angeboten. Zum Beispiel Steinbildhauen, ein Chor oder Filmprojekte. Es gehe darum, die Insassen aus ihrer Welt heraus zu holen und Theater sei eine Möglichkeit, so erläutert die Mitarbeiterin weiter und zitiert Picasso: „Kunst wischt den Staub des Alltags von der Seele.“

Ponomarenko gibt diesem Zitat eine Bedeutung im Kontext des Theaters: „Gedanken werden zu etwas, das Zeit und Raum hat. Sie materialisieren sich“, sagt der Theaterpädagoge. Er ist sich bewusst, dass er es mit Straftätern zu tun hat. „Knast ist Knast und kein Mädchenheim. Und wir sind nicht die netten Tanten. In erster Linie sind wir Künstler und sehen vor uns Menschen“, so Ponomarenko,  der bereits auf gepackten Koffern sass und mit seiner Familie zurück in seine Heimat Petersburg ziehen wollte. Die Bewilligung des Projektes lässt ihn hier bleiben. Kurz stand alles auf der Kippe, als der Konstanzer Gemeinderat das Geld nur mit Abstimmung freigeben wollte, doch diese verlief positiv. Das Projekt kann starten. Vielleicht sind die Ergebnisse schon bald auch auf der Bühne des Theaters zu sehen, sofern die Männer aus der JVA für diesen Anlass Freigang gewährt bekommen.

Filmtipp zum Thema von Christoph Nix

 
 
 

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