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Artgerecht

Artgerecht
Initiative aus Österreich: Die IG Kultur Österreich, ein Dachverband von mehr als 700 autonomen Kulturinitiativen, macht sich für bessere Bezahlung von Künstlerinnen und Künstlern stark. Auch ein Beispiel für den Thurgau? | © Michael Lünstroth

Wer als Künstler nicht zu den Superstars seiner Szene gehört, muss sein Honorar immer wieder neu verhandeln. Das führt zu Unsicherheit und Ungerechtigkeit. Ein Label für faire Bezahlung in der Kultur könnte das ändern.

Für Künstlerinnen und Künstler jeder Sparte gilt dasselbe: Gehören sie nicht zu den Superstars ihrer Zunft, müssen sie ihre Gagen für Ausstellungen, Aufführungen, Konzerte, Lesungen und alle möglichen anderen denkbaren Formate, jedes Mal aufs Neue verhandeln. Verbindliche Regeln gibt es nicht, Mindesthonorare existieren in der Welt der Kunst nicht, der Markt bestimmt den Preis. In den meisten Fällen sind dieser Markt: Galerien, Museen, Konzerthäuser und andere Veranstaltungsmanager. Das führt zu zwei Problemen.

Erstens: Die Künstlerinnen und Künstler müssen ihre meist ohnehin nicht üppig angesetzten Honorare mühsam verteidigen gegen Akteure, die im Zweifel am längeren Hebel sitzen. Zweitens: Der Marktmechanismus setzt auch jene Veranstalter unter Druck, die ihren Künstlern eigentlich faire Löhne bezahlen wollen. Im Wettbewerb mit ihren Gagen drückenden Kollegen drohen sie ins Hintertreffen zu  geraten. Das Ergebnis: Die Künstlerinnen und Künstler sind am Ende immer die Dummen. 

Es gab schon Initiativen, aber keine löste die Probleme

Das Thema ist nicht neu und ist in der Vergangenheit immer wieder diskutiert worden. Die europäische Paying-Artist-Kampagne und weitere Fair-Pay-Initiativen sind Resultate solcher Debatten. Grundsätzlich geändert haben sie aber bislang noch nichts. Der belgische Tanz-Dramaturg Guy Cools hat es im April diesen Jahres auf der Tagung „Freie Szene, Freie Kunst. Soziale Gerechtigkeit. Fair Pay. Konkrete Strukturen und Ideen für Wien“ ganz treffend beschrieben: „Würden zwei Lehrer, die denselben Abschluss haben, gleich erfahren sind und die gleichen Fächer unterrichten, es akzeptieren unterschiedlich bezahlt zu werden nur aufgrund der Frage, wie alt das Gebäude ist, in dem sie unterrichten? Ich habe das Gefühl, dass die Ungerechtigkeiten in der Kunst auf solch zufälligen Prinzipien beruhen.“

Cools hatte in seinem Abschlussbericht freilich auch auf innere Probleme der Kunstszene hingewiesen: Die vielen unterschiedlichen Ungerechtigkeiten, die existierten, führten dazu, dass jeder vor allem seine eigene Betroffenheit sehe und der gemeinsame Kampf für bessere Gagen darunter leide. Als Beispiele nannte er die ungleiche Bezahlung zwischen Männern und Frauen, fest angestellten Künstlern und frei arbeitenden Künstlern, sowie jener zwischen Kulturschaffenden in der Hochkultur und Künstlerinnen und Künstlern in der freien Szene. 

„Ich habe das Gefühl, dass die Ungerechtigkeiten in der Kunst auf zufälligen Prinzipien beruhen.“

Guy Cools, Tanz-Dramaturg

Auf der Ebene der Künstlerinnen und Künstler liesse sich dem noch relativ leicht mit etwas mehr gegenseitiger Solidarität begegnen. Auf der Ebene der Institutionen und Veranstalter wird es da schon schwieriger. Wenn Tarife versagen, was sehr oft in der Kultur der Fall ist, dann kann die Politik auf staatliche Kunsthäuser, Theater und Opernhäuser noch einwirken und faire Bezahlung für Künstlerinnen und Künstler als Bedingung für finanzielle Förderung festlegen. Das ist zum Beispiel der Ansatz der Paying-Artist-Campaign, der sich übrigens auch der Schweizer Künstlerverband visarte angeschlossen hatte. 

Private Kulturveranstalter könnte man hingegen höchstens über einen gesetzlich vereinbarten Mindestlohn dazu zwingen, anständige Gagen zu bezahlen. Dass das kommt, ist allerdings sehr unwahrscheinlich. Vielleicht könnte man stattdessen diejenigen Veranstalter belohnen, die ihre Künstler fair bezahlen. Zum Beispiel in Form eines offiziellen Labels, nennen wir es mal „artgerecht“, dass sich Veranstalter ans Revers heften können. 

Warum nicht ein Label namens „artgerecht“ einführen?

Die Idee dazu stammt von Christian Brühwiler. Er ist Musiker und Konzertveranstalter der renommierten Reihe „Klangreich“ in Romanshorn und kennt insofern beide Seiten. „Von einem solchen Label könnten alle profitieren: Künstler, Veranstalter und auch das Publikum“, findet Brühwiler. Schliesslich würde ein solches Label mehr Transparenz schaffen und die Zuschauer könnten selbst entscheiden, ob sie ein Ticket bei einem Gagen drückenden Veranstalter lösen oder eines bei einem, der den auftretenden Künstlerinnen und Künstlern ein faires Auskommen bietet.

Zugegeben: Die Idee hat ihren Reiz. Ein solches Label müsste aber klar konturiert sein, die Anforderungen dafür deutlich formuliert sein, und es müsste jemanden geben, der diese Standards überwacht und letztlich das Label auch vergeben (und auch wieder aberkennen) kann. Hier kämen in der Schweiz vor allem Verbände wie Suisseculture oder Visarte ins Spiel.

Für Christian Brühwiler wäre es einen Versuch wert: Was bei der Ernährung geht, sollte doch auch im Kulturbereich möglich sein, findet der Romanshorner Musiker und Veranstalter.  

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