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von Barbara Camenzind, 03.12.2018

Aus der Neuen Welt 2.0

Aus der Neuen Welt 2.0
Neue Klänge aus der neuen Welt (von links): Oboist Cédric Chatelain, Cellist Eric Longsworth und Harfenistin Julie Campiche bei ihrem Konzert in der Alten Kirche Romanshorn. | © Hannah Camenzind

Die Konzertreihe «Klangreich Romanshorn» macht ihrem Namen alle Ehre: Als Einstimmung auf die „stille Zeit“ mit ihrem Trubel lud sie am Sonntagabend den amerikanischen Cellisten Eric Longsworth ein. Zusammen mit dem Oboisten Cédric Chatelain und der Harfenistin Julie Campiche zauberte er wunderschöne, trancehafte Sets in die Alte Kirche. Das Projekt „Un sacré imaginaire“ ist beste musikalische Tiefenentspannung.

Cello, Oboe, Englischhorn und Harfe. Drei Instrumentengruppen ergeben ein Klanguniversum. War das jetzt Jazz? Klassik? Improvisation? Weltmusiker Eric Longsworth liess diese Schubladen charmant im Bodensee untergehen. Aus zarten Fäden spann der Cellist kurze Patterns, die als Ostinato durch den wunderbaren mittelalterlichen Raum schwebten, Oboist Chatelain nahm den Faden auf und spann seine eleganten Tonlinien dazu. Eingefangen wurden die beiden von den Klangkaskaden der Harfenistin Campiche, die eindrucksvoll demonstrierte, dass dieses Instrument noch cooler klingen kann als bei Andreas Vollenweider. Die Konzertveranstalter warben mit „klischeefreier Adventsmusik“. Sie hatten nicht zu viel versprochen. Es war, als würde die Stille zum Klingen gebracht.

Harfenistin Julie Campiche hat den Jazz im Blut.
Harfenistin Julie Campiche hat den Jazz im Blut. Bild: Hannah Camenzind

 

Inspiration aus der Alten und Neuen Welt

Longsworth, der schon lange in Frankreich lebt, ist nicht nur ein formidabler Allrounder am Cello, sondern auch ein Schatzsucher in Sachen Töne. Inspiriert von den protestantischen Hymnen aus seiner amerikanischen Heimat, den Gesängen der Hugenotten und dem calvinistischen Genfer Psalter entwickelte er in „Un sacré imaginaire“ die schönen schlichten Melodien weiter. Manchmal erinnerte das Ganze in der Herangehensweise ein wenig an Michel Godard und seine „Castel del Monte“-Musik aus den 90ern. Melodisch und harmonisch blieben die drei Musiker aber ganz eigen und sehr originär.

Allerdings schien das Projekt einen Paten zu haben. Er versteckte sich in den Klängen des Englischhorns. Antonín Leopold Dvořák, der vor gut 120 Jahren Konservatoriumdirektor in New York wurde, ging auch auf Melodien-Schatzsuche in Amerika. Entstanden ist dabei seine berühmte Symphonie „Aus der Neuen Welt“ mit dem wunderbaren Englischhorn-Solo im zweiten Satz. An diesem Sonntagabend erklang „Un sacré imaginaire“ fast als kleine Hommage an den grossen böhmischen Komponisten, der auf seine Art und Weise auch ein Weltmusiker war. Wäre Dvořák ein Kind unserer Zeit geworden, hätte er bestimmt gerne mit diesen klangreichen Künstlern zusammengearbeitet.
 
Weiterlesen: Eine Übersicht zur diesjährigen Klangreich-Reihe können Sie hier nachlesen. Das nächste Konzert in der Reihe findet am Samstag, 29.Dezember, 19 Uhr, statt. Dann heisst der Titel „Bach Meditation - eine Experiment mit Klang-Farben und Transparenz“ mit Maya Homburger (Barockvioline) und Barry Guy (Kontrabass).   

Video vom Konzert am 2. Dezember in Romanshorn

 

 

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