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von Bettina Schnerr, 16.09.2021

Am eigenen Baudenkmal Hand anlegen

Am eigenen Baudenkmal Hand anlegen
Die Villa ‚Mon Repos‘ in Aadorf wurde 1904/1905 vom Industriellen Adolf Griesser in Auftrag gegeben und gilt heute als wertvolles Baudenkmal. Die Villa im so genannten Heimatstil beherbergt ein kleines Bed and Breakfast. Sowohl Villa als auch Garten sind fast vollständig im Originalzustand erhalten. | © Foto: Bettina Schnerr

Dieses Jahr standen die Europäischen Tage des Denkmals unter dem Motto „Gewusst wie“. Ganz besonders gilt dieses Motto für Hauseigentümerinnen und -eigentümer, die sich selbst an der Sanierung ihrer Häuser beteiligen. Die Aadorfer Familie Gloor sammelt reiche Erfahrungen mit ihrer ehemaligen Fabrikantenvilla Mon Repos, in der dank ihres Erbauers Anton Griesser ein spezielles Sanierungs-„Problem“ auftauchte.

Manchmal stehen historische Kleinode relativ unauffällig in einer Häuserreihe. Schön anzuschauen, doch bauhistorische Spezialitäten bleiben beim Vorbeigehen verborgen. Ein solches Kleinod ist die Villa Mon Repos in Aadorf, erbaut in den Jahren 1904/1905. Seit Anfang der 1960er Jahre ist sie im Besitz der Familie Gloor und 2015 übernahm der Enkel des damaligen Käufers die Immobilie. Seither renovieren Andreas Gloor und seine Frau Susanne die Villa Stück für Stück und mit viel Eigenleistung.

 

Susanne und Andreas Gloor wohnen seit 2015 in der Villa Mon Repos und renovieren das Gebäude seither schrittweise mit viel Liebe zum Detail. Zwei Räume des Hauses vermieten sie als Gästezimmer ihres B’n’B, ein drittes wird vorbereitet. | Bild: Elsbeth Kessler, Hallau

 

Die Villa stand an den Denkmaltagen für Interessierte offen. Die Besitzerfamilie bot Hausführungen und Vorführungen unter dem Motto „Gewusst wie“ an und das Interesse war sehr gross. Die Familie Gloor weiss um den Charme der Bausubstanz der Villa: „Wir wollten die Räume zugänglicher machen und eröffneten 2017 ein Bed and Breakfast in der Villa Mon Repos,“ erzählt Susanne Gloor. „Zwei Gästezimmer gibt es bereits und ein drittes ist in Planung.“

Viel Liebe fürs Detail

Bei ihren Sanierungsentscheidungen bewies die Besitzerfamilie ein Händchen für die Details. Im gesamten Haus sind die Böden aus der Bauzeit erhalten. Meist ist es Fischgrätparkett, das geschliffen und versiegelt wurde. In Flur und Küche spielen die ursprünglichen Kacheln ihren Charme aus. Der handwerklich versierte Hausherr baute sogar historische Bilderhaken nach: Das waren breite Messingbänder, deren oberes Ende an umlaufenden Kranzleisten in den Zimmern eingehakt wurden; am unteren Ende wurde das Bild aufgehängt. Was früher ein reines Funktionsteil war, entpuppt sich in einem der Gästezimmer nun als wirkungsvolles Dekorationselement.

 

Im „gelben Zimmer“ beeindrucken die Bilderhaken, die Andreas Gloor nach einem noch erhaltenen Muster gefertigt hat. Die Tapete mit historischem Muster ergänzt das Gästezimmer, in dem noch das originale Lavabo erhalten ist. | Bild: Elsbeth Kessler, Hallau

 

Ein ungewöhnliches Schmankerl haben sich die Restaurateure im zweiten Gästezimmer erlaubt. „Die Elektrik ist komplett modernisiert, sieht aber aus wie früher,“ erklärt Susanne Gloor ihre Idee. Alle Leitungen liegen über Putz und sind in den originalen Rohren säuberlich auf der Wand verlegt. „Wir konnten sogar einen der originalen Lichtschalter erhalten,“ freut sie sich. Zugleich ist dies der einzige Raum, in dem die Tapete von 1905 erhalten werden konnte.

 

Elektrisches Zeitzeugnis: In einem der Zimmer hat Familie Gloor trotz Modernisierung aller Leitungen die frühere Verlegetechnik in kleinen Kabelführungen über Putz erhalten und das sorgt für ein besonderes Detail im Raum. | Bild: Bettina Schnerr

 

Historische Tapetensujets und natürlicher Kalkputz

Die meisten Tapeten im Haus stammen allerdings aus England. Dort wurden Gloors bei einem Anbieter fündig, der sich auf historische Motive spezialisiert hat und bei der Wahl von geeigneten Mustern und Farben freie Hand lässt. Alternativ setzte die Familie auf Kalkputz. Diese Lösung sorgt für ein angenehmes Raumklima, von dem vor allem die Badezimmer profitieren.

Die Farbauswahl im Haus mag kräftig erscheinen, doch dahinter steckt ein durchdachtes Konzept. „Früher war einiges farbiger, wie beispielsweise Tapeten,“ berichtet die Hausherrin. „Das wollten wir aufnehmen und haben gemeinsam mit einem Restaurator ein Farbkonzept aufgebaut.“ Die Strategie: Entweder lassen sich ursprüngliche Farben und Muster durch Abtrag der oberen Schichten rekonstruieren und wenn das nicht möglich ist, werfen Gloors einfach einen Blick vor die Tür. Vor dem Haupteingang liegen gut erhaltene, über 110 Jahre alte Bodenplatten, die das damalige Farbkonzept widerspiegeln.

 

Vor der Haustüre liegen farbige Platten von 1905, die heute bei den Restaurierungen die Basis für das Farbkonzept im Haus bilden. | Bild: Bettina Schnerr

 

Das Gästebadezimmer ist von der Kunst der Wiederverwendung geprägt. Die Sprossen-Glastür eines alten Schranks ziert nun einen geschmackvollen Einbauschrank, der Handtücher und Kosmetikprodukte beherbergt. Das Lavabo holten sich Gloors aus dem Bauteillager der Denkmal Stiftung Thurgau. Es stammt aus den 1920/30er Jahren und fügt sich stimmungsvoll in das Gebäude ein.

 

Das Gästebadezimmer folgt der Farbstrategie, die Familie Gloor und ein Restaurator mit Hilfe der Kacheln aus Eingangsbereich erarbeitet haben. Für den historischen Touch sorgt ein altes Lavabo, das Gloors im Bauteillager der Denkmal Stiftung Thurgau entdeckt haben. | Bild: Elsbeth Kessler, Hallau

 

Fenster wie anno dazumal

Der grosse Clou am Denkmaltag waren die Fenster von Mon Repos, denn sie sind bei Sanierungen ein kniffliger Fall. Den modernen Anforderungen an Dämmung und Lärmschutz genügen sie nicht, doch gehört ihre Optik zum Gesamtbild.

 

Die Villa und der Garten sind fast vollständig im Originalzustand erhalten. | Bild: Bettina Schnerr

 

Gloors griffen bei der Modernisierung auf die originalen Fensterrahmen zurück. Der auf Restaurierungen spezialisierte Schreiner Thomas Eigenmann sanierte also die alten Rahmen und passte sie behutsam an neue Anforderungen an, wie etwa andere Dichtungsgummis oder dickere Glaseinsätze.

Erst ab 1910 gab es Maschinen für flaches Fensterglas. Vorher war alles mundgeblasen und daher sind alte Fenster stets wellig, so auch in Mon Repos. Dieser spezielle Effekt sollte erhalten bleiben. Daher setze der Schreiner so genanntes Goetheglas ein. Eine besondere Produktionstechnik sorgt dafür, dass dieses ebenso wie seine alten Vorgänger wellig wird. Für eine gute Dämmwirkung kann Goetheglas wie jedes andere mit Isolierglas und einer Gasschicht dazwischen kombiniert werden.

 

Schreiner Thomas Eigenmann erklärt am Denkmaltag, wie die stilgerechte Sanierung alter Fenster funktioniert und welche Details geachtet werden muss. | Bild: Bettina Schnerr

 

Wie Anton Griesser die Sanierung prägt

Als Auftraggeber für den Bau der Villa stattete Anton Griesser sein Haus natürlich mit jenem Produkt aus, das er selbst erfunden und patentiert hatte: die aufrollbaren Fensterstoren. Griesser hatte ein System entwickelt, schmale, profilierte Holzlatten flexibel so miteinander zu verbinden, dass sie sich einerseits voneinander gelöst aufrollen lassen und andererseits blickdicht schliessen können.

 

Wie kann es anders sein: Die Griesser-Storen stammen selbstverständlich aus der Fabrik des ersten Hausbesitzers. Einige davon funktionieren vor allem durch unsachgemässe Reparaturen mit Hilfe von Gurtstücken nicht mehr so gut. | Bild: Bettina Schnerr

 

Einige der Storen waren sichtlich in die Jahre gekommen. Teils waren sie mit Gurten behelfsmässig repariert, was ihre Funktion beeinträchtigte. Wie aber saniert man Storen, für die selbst die Griesser AG, die aus der kleinen Werkstatt des früheren Villenbesitzers hervorging, längst keine Ersatzteile mehr hat?

Austauschen kam für Andreas Gloor nicht in Frage: „Moderne Storen wären ein Stilbruch und massgeschneiderte Lösungen sind kaum bezahlbar,“ bilanziert er. „Ich habe mir die originalen Storen genau angeschaut und überlegt, ob ich sie nicht selbst hinbekommen könnte.“

 

Andreas Gloor restauriert auch die Getriebe für die Griesser Storen selbst, um am Haus möglichst viel originalgetreu erhalten zu können. Im Keller der Villa nutzt er dafür unter anderem den noch erhaltenen Maschinenpark seine Grossvaters.

 

Lange Experimente und Versuche folgten, und der Hausherr musste einige Male umdenken. Mal hatte das gelieferte Holz zwar die richtige Sorte, aber zu viele Astlöcher. Oder es stellte sich heraus, dass sich Unterschiede in der Aufwicklung ergaben, je nachdem, ob die Storen in einem Aussen- oder einem Innenkasten aufgewickelt wurden. Doch dann konnte ein Prototyp im Erker montiert werden. „Es hat sich gelohnt,“ findet er. Der Prototyp funktioniert ausgezeichnet und steht dem Original in nichts nach.

 

Eine der Griesser-Storen wurde in detailreicher Handarbeit von Andreas Gloor ersetzt und funktioniert so gut wie das Original. Wer vom Austausch nicht weiss, wird es mit blossem Auge auch kaum erkennen. | Bild: Bettina Schnerr

 

Die anderen 29 Storen will er allerdings nicht in Angriff nehmen: „Ich müsste über 2‘200 Laufmeter Lättli fräsen und über 11‘000 Schräubchen eindrehen,“ hat er nachgerechnet. „Doch dank meiner Erfahrung weiss ich, wie ich selektiv reparieren kann, wenn es nötig ist.“ Das passende Werkzeug ist samt einem passenden Fräskopf ja vorhanden und dann geht es nach dem Motto des Denkmaltags ganz einfach: „Gewusst wie“ eben.

 

Die Villa Mon Repos hat insgesamt 30 klassische Griesser-Storen, die dem Stil des Hauses zuliebe erhalten werden. | Bild: Bettina Schnerr

 

Die Geschichte der Villa Mon Repos in Aadorf

Entworfen wurde die Villa in den Jahren 1904/1905 von den Zürcher Architekten Pfleghard und Häfeli und folgt dem Konzept des „Heimatstils“. Dabei wird bewusst ein Ort- und Landschaftsbezug geschaffen, zum Beispiel über traditionelle Bauformen, nationale Bezüge oder lokale Baustoffe. Baumeister war der Aadorfer Bauunternehmer Heinrich Bachmann.

 

Die Villa wurde vom Amt für Denkmalpflege des Kantons Thurgau als „wertvoll“ eingestuft, denn sowohl das Haus als auch der Garten sind weitestgehend im ursprünglichen Zustand erhalten. Das Haus ist ein teilweise verkleideter Verputzbau mit Krüppelwalmdach, einer kasssettierten Dachunterschicht und farblich abgesetzten Bügen sowie einem 1912 ergänzten Garagen- und Werkstattgebäude. Seit 2015 wird die Villa schrittweise mit saniert und renoviert.

 

Auftraggeber für den Bau der Villa war der Industrielle Anton Griesser. Griesser hatte 1882 eine Mühlebauwerkstatt in Aadorf gekauft und sich als selbständiger Handwerker niedergelassen. Er entwickelte ein System für aufrollbare Sonnenschutz-Storen. Die von ihm gegründete Firma, heute Griesser AG, hat nach wie vor ihren Sitz in Aadorf.

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