von Andrin Uetz, 19.08.2019
Daniel Karrer mit «Shrubbery» in der Kunsthalle Arbon
Mit einer Hecken-Installation und Hinterglasmalerie auf der Suche nach dem Heiligen Gral.
“I want a Shrubbery” (ich will eine Hecke), verkündet das Oberhaupt der “Knights who say Nee”, welche König Arthur und seinen Gefolgen auf der Suche nach dem Heiligen Gral den Weg durch einen Wald versperren. In “The Monty Python and the Holy Grail” von 1975 vermischen die Britischen Komiker in ihrer charakteristischen und aberwitzigen Weise verschiedene Narrationen und Zeitebenen, um damit nicht zuletzt auf die Absurditäten der Gegenwart zu verweisen. Dass die Gesandten dann ganz zufällig einen “Shrubber” antreffen, dessen Geschäft Gestaltung und Verkauf von Hecken ist, und die Knights who say Nee darauf also vor einer Hecke mitsamt Gartenzaun im Wald stehen, nur um nochmals eine zweite Hecke zu fordern mit dem Zusatzaufgabe einen Baum mit einem Hering zu fällen, ist im Kontext von Monty Python nahezu folgerichtig.
Filmszene aus "The Monty Python and the Holy Grail" von 1975.
Was sich hinter den Hecken abspielt
Shrubbery, also Gebüsche und Hecken, sind in Daniel Karrers Malerei schon länger ein Thema. Wer auf seiner Homepage www.danielkarrer.ch/works seinen Werkkatalog durchforscht, findet das Motiv des Gebüschs und der Hecke in vielen seiner Gemälde. Zumeist mit Ölfarbe auf Holz oder Leinwand entfalten diese Shrubberies eine skulpturale Präsenz, die oft etwas surreal anmutet. Die Hecke als alltägliches Mittel zur dekorativen Camouflage, ein grüner Grenzzaun zwischen der Villa mit Swimmingpool und der öffentlichen Strasse. In der Gärtnerei des Barocks verkörperten Hecken den Triumph der Geometrie über die Willkür der Natur. Und noch heute ist die Hecke eine Pflanze, die sich grösster Beliebtheit erfreut, weil sie sich leicht zurechtstutzen lässt. Die Hecke kann auch für suburbane Räume, geschlossene Gesellschaften und Isolation stehen. Sie ist im Ensemble von Rasen, Lattenzäunen, Garagentoren, Strassen und Einfamilienhäusern das Element, welches zwar freundlicher als eine Beton-, Holz- oder Stahlmauer, aber nicht weniger entschieden den privaten Raum von den neugierigen Blicken der Passanten abschottet. Verglichen mit blühenden Sträuchern, mit sich verästelnden Bäumen oder Blumenwiesen sind Hecken auf den ersten Blick genauso anonym und generisch wie Englische Rasen und tapezierte Hausfassaden.
Eine riesige Hecke aus Moos
Obwohl Daniel Karrer in erster Linie eine malerische Position vertritt, fährt er in der Kunsthalle mit einer künstlichen Hecke als einer mit bemoosten Gittern verkleidetem Holzgerüst auf. Während dem er die Moosflächen mit Wasser besprüht, erzählt er von seiner Faszination: “Hecken haben eine interessante Oberflächenstruktur, die Form gibt und ein schönes Spiel von Licht und Schatten zulässt. Gewiss hat die Hecke auch gesellschaftliche oder soziale Implikationen, sie kann etwas im Betrachter auslösen, aber sie muss nicht. Das gefällt mir daran. Es ist nicht so, dass ich die Aussage kontrollieren will. Ich beginne zwar meist mit einem Konzept, aber schlussendlich ist mir die künstlerische Intuition wichtiger.” Die grosse Hecke im Zentrum ist dann eigentlich auch eher als Kontrast zu den im Verhältnis sehr kleine, ultramarin blauen Hinterglasmalereien gedacht, welche Karrer eigens für die Ausstellung in Arbon gemalt hat. Diese treten mit der Heckenskulptur in einen Dialog, spiegeln beim betrachten den Raum. Umhüllt wird dieser von einem Klangteppich aus dem Vokal “E”, welcher mit einem Vocoder zum retrofuturistischen Elektrodreiklang verfremdet wird. Diese begleitende Klanginstallation ist in Zusammenarbeit mit dem Bruder und Videokünstler Stefan Karrer entstanden. In der Mitte dieses 20 Minütigen Loops sorgt ein Fieldrecording von einem heranfahrenden Auto, aus welchem ein lauter Reggaetonbeat dröhnt, für eine kleine Irritation. Eine Tür wird geöffnet, die Musik ist kurz sehr laut und nah, ein Mann sagt “ok”, die Türe wird wieder geschlossen und das Auto fährt davon. Ist das die Strasse, die hier akustisch in den privaten Raum hinter der Hecke dringt? Und wähnen wir uns nicht selbst, als Gäste dieser Vernissage, in einem etwas abgehobenen, abgeschirmten und künstlichen Raum fernab von Chaos und den Unliebsamkeiten der Natur?
Was sich wohl dahinter verbirgt? Hecken schotten den privaten Raum von neugierigen Blicken der Passanten ab. Bild: zVg
Die verführerische Doppelseitigkeit der Hinterglasmalerei
Seit einiger Zeit nutzt Daniel Karrer die Möglichkeiten der Hinterglasmalerei. Kuratorin Deborah Keller sagt dazu in ihrer Einführung: “Sie zeichnet sich aus durch einen verführerischen Oberflächenglanz, zeigt intensive Farben dahinter, und doch erinnert sie an die Touchscreens von Smartphones und Tablets. Traditionelle Malerei verbindet sich mit neuster Technologie.” Ein stetiges Wechselspiel zwischen digitalen und analogen Schaffensprozessen ist bei Daniel Karrer darüber hinaus ganz zentral. Er entwirft seine Gemälde zumeist zuerst als Collagen am Computer, um diese dann mit Pinsel und Ölfarben auf Glas, Holz oder Leinwand zu übertragen. Eine weitere Besonderheit der Hinterglasmalerei ist zudem die umgekehrte Reihenfolge der Farbsetzung. Die zuerst gemalte Schicht ist im Vordergrund, was später gemalt wird, dahinter. Vielleicht ist es gerade durch dieses stete umdenken und umformen, dass den Bildern zugleich Tiefe und Unmittelbarkeit verleiht.
Hinterglasmalerei: Traditionelle Malerei verbindet sich mit neuster Technologie; Bild: Andrin Uetz
Ein Gemälde von Karrer passt wohl ohne Ironie in eine Luxusloft hoch über den Wolken einer globalisierten Finanzmetropole. Es affirmiert das dekorative, sinnentleerte Moment der Hecke, um es umso plastischer, sinnlicher und wirksamer abzubilden. Könnte es nicht als eine schöne Hommage an Monty Python verstanden werden, wenn ein Künstler ein so biederes Element wie die Hecke ins Zentrum eines durch Exzentrik, Provokation und Superlativen überstrapazierten Kunstbetriebs stellt?
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