Seite vorlesen

von Brigitte Elsner-Heller, 27.03.2013

Das Theater Konstanz und wir

Das Theater Konstanz und wir
„Generell beobachten wir eine Zunahme des Anteils von Schweizer Bürgern unter unseren Zuschauern“, sagt Christoph Nix, Intendant des Theaters Konstanz. | © Brigitte Elsner-Heller

Christoph Nix, Intendant des Theaters Konstanz und Jurist, äussert sich zur laufenden Spielzeit, die die Schweiz und Deutschland als Nachbarn unter die Lupe nimmt. Generell beobachtet er eine Zunahme des Anteils von Schweizer Bürgern unter den Zuschauern. „Wir haben sogar Signale erhalten, die auf eine Anhebung der Zuschüsse des Kantons Thurgau deuten.“

Interview: Brigitte Elsner-Heller

Herr Nix, die laufende Spielzeit des Konstanzer Stadttheaters steht unter dem Motto „Borderline – Deutsche Heimat, Schweizer Berge“. Nachdem Sie in Ihrer Intendanz bereits einen Schwerpunkt auf Russland gelegt hatten und jüngst den afrikanischen Kontinent thematisierten, interessiert Sie nun das Verhältnis zwischen zwei Nachbarn, die sich mitunter misstrauisch beäugen. Muss man erst in die Welt ziehen, bevor man vor der eigenen Türe kehren kann? Und nicht zu vergessen: „Borderline“ steht ja auch für eine Erkrankung, die es den betroffenen Menschen selbst und ihrer Umgebung oft nicht leicht macht. Was will oder kann Theater hier ausrichten?

Christoph Nix: Manchmal muss man tatsächlich erst in die Ferne schweifen, um anders auf das Vertraute schauen zu können. Tatsächlich entstand die Afrika-Spielzeit ja aus der mehrjährigen, intensiven Beschäftigung mit dem „schwarzen Kontinent“ und damit auch mit all den Ungerechtigkeiten, die die Diskrepanz zwischen Nord und Süd, zwischen erster und dritter Welt ausmacht. Nach Afrika wollten wir auf die direkte Umgebung schauen, auf die Heimat, auf die unmittelbare, uns umgebende Region am Bodensee. Und da ist zunächst mal die Grenze, die „Borderline“. Dies war der Impuls, eine Spielzeit zusammenzustellen, die deutsche und schweizerische Autoren gegenüberstellt, vergessene und mit der Region verknüpfte Autoren wie Hermann Kurz und Wilhelm von Scholz, aber eben auch grosse Gesellschaftsentwürfe wie „Dantons Tod“ und „Don Karlos“ sowie „Der Besuch der alten Dame“ und „Biedermann und die Brandstifter“. Viele der Themen reissen Wunden auf, deuten mit dem Finger auf Probleme unserer Gesellschaft, auch das sind Grenzlinien, Extreme, die überschritten werden.

Haben Sie Reaktionen auf die Inszenierungen erhalten, die ganz direkt auf das Thema hin zugeschnitten waren? Ich denke an den Auftakt im Kreuzlinger Dreispitz mit Handkes „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“ oder „Der Bären wilde Wohnung“ von Lukas Linder, das ja in Schaffhausen und Konstanz gespielt wurde. Unterschieden sich die Reaktionen?

Christoph Nix: „Der Bären wilde Wohnung“ wurde in Schaffhausen anders aufgenommen als in Konstanz. Die Ebene des Humors, das Umgehen mit dem Motiv des Deutschen, der in die Schweiz zieht, rührte dort an etwas, führte zu direkteren Reaktionen als in Konstanz. Das war interessant zu beobachten. „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“ war für viele Zuschauer interessant, weil es eine andere Theaterform zeigte: das Tanztheater. Das hat uns ermuntert, weiter in diese Richtung zu denken. Generell beobachten wir eine Zunahme des Anteils von Schweizer Bürgern unter unseren Zuschauern. Und das freut uns sehr.

Es ist eine gute Tradition, dass der Kanton Thurgau in jeder Spielzeit eine Inszenierung des Konstanzer Theaters finanziell sponsert. Gibt es in diesem Fall Absprachen, werden Wünsche vorgetragen?

Christoph Nix: Der Kanton Thurgau fördert das Theater augenblicklich mit 100‘000 Franken. Das Verhältnis zum Kanton und zur Stadt Kreuzlingen ist sehr gut. Wir haben sogar Signale erhalten, die auf eine Anhebung der Zuschüsse des Kantons Thurgau deuten. Diese mögliche Erhöhung freut uns ebenfalls sehr.

Sie hatten unter anderem vor, Tanztheater und Puppenspiel am Konstanzer Theater zu etablieren. Zurzeit gibt es mit „Sultan und Kotzbröckli“ der beiden Thurgauer Rahel Wohlgensinger und Simon Engeli wieder eine Produktion, die auch von Schweizer Seite aus unterstützt wird – unter anderem von der Kulturstiftung des Kantons Thurgau. Wie sehen Sie die Entwicklung? Hat sich das Puppentheater aus dem „Erwachsenenbereich“ schon wieder zurückgezogen?

Christoph Nix: Mit Rahel Wohlgensinger und Simon Engeli verbindet uns eine langjährige Zusammenarbeit, die wir auch fortführen wollen. Auch darüber hinaus ist das Puppenspiel im künstlerischen Denken sehr präsent. Auch für meine Inszenierung von „Schaf ahoi!“ möchte ich eine Puppenspielerin oder einen Puppenspieler engagieren. Und auch im Abendspielplan ist das Puppenspiel vertreten – denken Sie zum Beispiel an die „Rote Antilope“ zurück, in der unser Oberspielleiter Mario Portmann sogar eine Hauptfigur mit einem Puppenspieler besetzt hat. Das Tanztheater ist ein anderes Thema. Mir schwebt seit langem vor, ein eigenes Tanztheater in der Region aufzubauen. Das ist teuer und braucht finanzielle Unterstützung über das normale Budget hinaus. Ich möchte dazu verschiedene Gespräche führen – gerne auch mit Dorena Raggenbass – ob es vielleicht auf Schweizer Seite Interesse an Tanztheater gibt.

Zurück zu „Borderline“, der laufenden Spielzeit: Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ war beeindruckend, mit Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“ steht im Mai ein weiteres literarisches Schwergewicht der Schweiz auf dem Spielplan. Haben diese Stücke überhaupt Schweizer Anklänge, oder geht es hier universeller zu?

Christoph Nix: Die Stücke wurden in der Schweiz geschrieben und zwar in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Das war natürlich eine Verarbeitung von gesellschaftlichen Themen, die aus einem konkreten Schweizer Umfeld entstanden sind. Heute hat sich der Rahmen gewandelt – in der Schweiz und bei uns. So, dass die Regisseure heute suchen müssen nach dem Aspekt, der für sie in den Vordergrund rückt. Mario Portmann hat das sehr überzeugend getan in der „Alten Dame“. Auf die Sichtweise von Sascha Bunge freue ich mich sehr.

Und wie werden Sie mit „Der Jude von Konstanz“ umgehen aus der Feder des umstrittenen Deutschen Wilhelm von Scholz? Bei der Vorstellung der Spielzeit gaben Sie sich damals kämpferisch, mit Lust auf die Auseinandersetzung.

Christoph Nix: Die Auseinandersetzung wird in der Stadt passieren – und wir sind ein wichtiger Teil davon. Durch zwei Publikationen – eine von Sigmund Kopitzki und eine von Hendrik Riemer – wird ein sehr disparates Bild von Wilhelm von Scholz gezeigt. Der Mann ist kontrovers und ich sehe in seinem Stück sehr wohl christlich-antisemitische Haltungen. Aber man kann ihn weder entlasten, noch aus dem Gedächtnis der Stadt Konstanz tilgen. Deshalb muss man sich mit ihm beschäftigen. Wir bieten neben der Inszenierung Diskussionsveranstaltungen an – eine zum Beispiel in Zusammenarbeit mit dem Hermann Hesse-Museum auf der Höri. Natürlich machen wir auch Nachgespräche nach den Vorstellungen und sind gespannt auf die Auseinandersetzungen.

Hat diese Spielzeit das Theater der Schweiz näher gebracht? Oder den Thurgau näher an die deutsche Grenzregion gerückt? Was nehmen Sie an Erfahrungen mit?

Christoph Nix: Wir arbeiten seit einigen Jahren nun schon immer intensiver mit der Schweiz und den benachbarten Partnertheatern zusammen. Die Kooperation mit dem Theater St.Gallen ist durch den gemeinsamen AUTORENWETTBEWERB gewachsen und reicht mittlerweile weit darüber hinaus. Die Technik beider Theater hilft sich gegenseitig. Die Gastspiele funktionieren reibungslos, ein enger Austausch der Ensembles hat sich eingestellt. Auch mit dem Theater an der Winkelwiese gibt es ähnlich feste Bande. Und gleiches gilt für die Gastspielhäuser in Baden bei Zürich, in Winterthur und in Schaffhausen. Die Grenzen werden immer durchlässiger, ist unser Eindruck, und das ist nach so vielen Jahrhunderten, die durch Grenzen dominiert wurden, doch wunderbar.

***

Die neue Spielzeit um die dunklen Dinge

Die Spielzeit 2013/14 widmet sich unter dem Titel „Damit ich dich besser fressen kann“ Märchen, Mythen und Europa. Das Theater Konstanz verlässt vertraute Pfade und begibt sich auf Spurensuche in zeit- und ortlose Innenwelten: „Rühren wir an den dunklen Dingen, an den verborgenen Wünschen und an den Ängsten“, sagt Christoph Nix dazu.

● Märchen für Erwachsene

Den Auftakt macht im September „Parsival“ von Tankred Dorst, dann folgen so bekannte Stoffe wie „Pinocchio“, „Alice im Wunderland“ oder „Der gestiefelte Kater“ im Grossen Haus – bis auf das Weihnachtsstück „Pinoccio“ alles für erwachsenes Publikum aufbereitet. Mit Jo Fabian, Martin Nimz und Andrej Woron kommen Regisseure ans Haus zurück, die in den vergangenen Spielzeiten jeweils durch aussergewöhnliche und charakteristische Handschriften aufgefallen sind. Oberspielleiter Mario Portmann wird sich wiederum mit einer Dramatisierung eines Romans beschäftigen, diesmal setzt er „Das Märchen vom letzten Gedanken“ von Edgar Hilsenrath für die Bühne um. Aber auch Shakespeare ist zu sehen („Der Sturm“), Olli Hauenstein arbeitet an F.K. Wächters Kinderstück „Ixypsilonzett“, und Intendant Christoph Nix selbst setzt mit Sartes „Das Spiel ist aus“ ein geradezu jenseitiges Zeichen.

●Theater um Europa

Europa ist gleich eine ganze Reihe gewidmet, die auf der Werkstattbühne präsentiert wird. Hier wird es auch Gastspiele von Theatern aus Portugal und Italien geben. Eigens zum Konziljubiläum, das ab 2014 in Konstanz Themen setzen soll, ist bei Theresia Walser und Karl-Heinz Ott ein Werk in Auftrag gegeben worden. „Ich hoffe auf das Beste“, sagt Christoph Nix, denn das Autorenduo ist offenbar in Verzug.

● Musik- und Tanztheater wieder dabei

Gute Erfahrungen habe man mit den Fächern Musik- und Tanztheater gemacht, heisst es von Seiten des Theaters. Daher geht es auch hier weiter mit Telemanns Oper „Pimpinone“ und der Choreografie „Spiegel im Spiegel“ nach Musik von Arno Pärt und Almut Lustig. Im Sommertheater Überlingen wird endlich sommernächtlich geträumt mit Shakespeare.

● Spielzeit ist ein Laboratorium

Sechs Inszenierungen weniger wird es gegenüber der laufenden Spielzeit geben – ein Zugeständnis daran, dass das Theater in der Vergangenheit oft am Anschlag gearbeitet hat. „Die Spielzeit wird auch als Laboratorium begriffen“, meint der Intendant dazu. Als Abgesang auf das politische Theater, auf utopische Konzepte, sieht er das Motto der Spielzeit nicht. „Die Machtfrage wird auch in Märchen und Mythen gestellt“. (beh)

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Bühne

Kommt vor in diesen Interessen

  • Interview
  • Schauspiel

Werbung

Der Kulturpool: Highlights aus den Regionen

Kuratierte Agenda-Tipps aus dem Kulturpool Schweiz.

«Kultur trifft Politik» #3

Gemeinsamkeiten, Klischees und Bedürfnisse von Kulturschaffenden und Politiker:innen im Dialog. Montag, 17. November 2025. Jetzt anmelden!

Ähnliche Beiträge

Bühne

Stell dir vor, es ist Krieg

Beklemmender Perspektivwechsel im Haus zur Glocke: Eva Kammigan macht mit ihrem Publikum ein Gedankenspiel, das uns in die Situation geflüchteter Menschen versetzt. mehr

Bühne

Wer denkt wird kopflos

Was, wenn wir den Kopf ausschalten, nur, um ihn behalten zu können? «Die Legende von Sleepy Hollow» zeigt, wie aus Angst Dummheit wird. Eine Horror-Komödie, die jetzt in St.Gallen Premiere hatte. mehr

Bühne

Wenn die gemeinsame Realität verloren geht

Ein Tanztheater nähert sich dem Zustand des Entrücktseins an. „Der Tag, an dem meine Mutter verrückt wurde“ ist die zweite Koproduktion von Choreografin Judith Geibel und Dramaturg Georg Kistner. mehr