von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 16.10.2023
Der kometenhafte Aufstieg des Hans K.
Fast 30 Jahre nach seinem Tod wirft das Kunstmuseum Thurgau einen neuen Blick auf das Werk des Aussenseiterkünstlers Hans Krüsi. Und rüttelt damit auch an Konventionen des Kunstbetriebs. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)
Spätestens als am 18. Juli 1981 das Magazin des Zürcher Tagesanzeiger mit einem grossen Foto von ihm auf der Titelseite erscheint, ist klar - das bislang eher randständige Leben von Hans Krüsi (1920-1995) wird sich dramatisch ändern. Aus dem maximal freundlich belächelten „Blumenmannli“ vom Zürcher Bahnhof wird ein viel beachteter Kunststar.
Die Redaktion des Tagi Mag bemüht sich freilich auch um eine entsprechende Inszenierung. Krüsi blickt den Leser:innen vom Titel als beinahe prototypischer Künstler entgegen: Fester Blick, kariertes Sakko zu kariertem Hemd, eine Medaille am Revers, im Mund eine Zigarre, auf dem Kopf sein ikonischer Hut - umrandet von Krepppapier und Stoffblumen. Ein Foto wie gemacht für den Eintrag „Verschrobener Künstler“ im Lexikon des populären Allgemeinwissens.
Dazu die Titelzeile „Wie man einen Künstler macht“. Für Journalist:innen ist das im Grunde eine Geschichte, die sich fast von selbst schreibt. Weil sie vieles von dem bestätigt, was man ohnehin bereits zu wissen glaubte.
Wie das Kunstmuseum an den Nachlass kam
Genau dieses Titelfoto ist nun auch Teil einer neuen Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau über Leben und Wirken des Künstlers Hans Krüsi. Fast 30 Jahre nach dessen Tod erinnert das Thurgauer Museum also an jenen Mann, dessen Nachlass es pflegt. Markus Landert, scheidender Direktor des Kunstmuseums in der Kartause Ittingen, war 1995, als Krüsi starb, noch recht jung im Amt und erinnert sich trotzdem noch heute an den Anruf, den er nach Krüsis Tod erhielt. Ob das Museum nicht den Nachlass von Hans Krüsi übernehmen wolle?
„Wenn man einen Nachlass übernimmt, dann ist das auch eine Verantwortung und es bedeutet eine Menge Arbeit“, sagt Landert denn auch an der Medienkonferenz zur neuen Ausstellung. Letztlich habe sich das Museums dafür entschieden. Auch weil auf Krüsis Konto die notwendigen Mittel lagen, um eine wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung des Nachlasses finanzieren zu können. 2001 folgte die erste Einzelausstellung aus diesem Nachlass, in den folgenden Jahren zwei Gruppenausstellungen mit ausgewählten Arbeiten von Krüsi und nun eine neue Retrospektive, die, so Markus Landert, „nochmal einen neuen Zugriff auf Krüsis Werk“ erlaube.
30 verschiedene Wohnadressen in 75 Lebensjahren
Hans Krüsi also. Ein Mann, der lange ein bescheiden-beschwerliches Leben führte. Geboren als uneheliches Kind, seinen Vater lernt er nie kennen, bei seiner Mutter verbringt er nur seine ersten beiden Lebensjahre, danach wächst er erst bei Pflegeelten, später im Waisenhaus auf. Er arbeitet als Knecht auf einem Thurgauer Bauernhof, später auch als Gärtnergehilfe. Das Einwohnermeldeamt verzeichnet am Ende seines Lebens 30 verschiedenen Wohnadressen unter „Krüsi, Hans“. Auch ein Zeichen der steten Unruhe in seinem Leben. Der 2004 erschienene Film von Andreas Baumberger setzt diesem Leben ein beeindruckendes Denkmal.
Video: Andreas Baumbergers Film in voller Länge ansehen
„Jeder kann nicht machen was er will“ heisst der Titel der im Oktober im Thurgauer Kunstmuseum eröffneten Schau, die Markus Landert gemeinsam mit Geraldine Wullschleger kuratiert hat. Wullschleger schreibt ihre Dissertationsarbeit über Hans Krüsi an der Universität Zürich. Die Titelzeile stammt von Krüsi selbst, er hatte sie auf eine seiner Postkarten notiert. Der Satz zeigt exemplarisch Krüsis Gedankenwelt. Während gemeinhin eher formuliert würde: „Nicht jeder kann machen, was er will.“ wählt Krüsi einen anderen Zugang. Das ist nicht nur sprachwissenschaftlich interessant.
Die Ausstellung selbst ist nicht streng chronologisch gegliedert, aber sie startet zumindest mit Krüsis frühen Werken. Die älteste Datierung stammt von 1975. Etwa um diese Zeit herum beginnt er auch neben seinen Blumen selbst gemalte Postkarten am Zürcher Bahnhof zu verkaufen. Krüsi signiert seine Arbeiten, er scheint also mit den Codes des Kunstbetriebs vertraut.
Wie Krüsi sich selbst ins Gespräch brachte
Ein erster Zeitungsartikel über ihn erscheint 1978, das Bildermachen fasziniert ihn zu diesem Zeitpunkt einfach. Der Legende nach sucht Krüsi selbst Galerien auf und sagt, dass das was er mache, besser sei als das, was sie bei sich ausstellen. Die Methode hat überraschend Erfolg: Die renommierte St. Galler Galerie Buchmann, spezialisiert auf zeitgenössische Kunst, stellt Arbeiten von Krüsi im Januar 1981 aus.
Der Aufstieg beginnt und fast zeitgleich damit auch die Diskussion darüber, ob der Kunstmarkt gut sei für jemanden wie Hans Krüsi. „Wo liegen Haken, wir fair ist das Spiel?“, fragt die „Zytglogge Zytig“ unter dem Titel „Art brutal“ und spekuliert darüber, wie fiese Galeristen den minderbemittelten Hans Krüsi übers Ohr hauen.
Auch dieses Zeitdokument ist in der Ittinger Ausstellung zu sehen. Es ändert nichts am Erfolg von Hans Krüsi, seine Werke weisen in den folgenden Jahren einen immensen Wertanstieg auf. Krüsi produziert immer weiter, wird aber offenbar misstrauischer. „Der Erfolg hat ihm sicher gefallen, aber irgendwann wird es ihm auch zu viel“, sagt Markus Landert.
Werke zeigen eine hohe bildnerische Intelligenz
Die Arbeiten, die in dieser Zeit entstehen, sind aussergewöhnlich. Hans Krüsi entwickelt nicht nur einen eigenen Stil, sondern auch berührende Kunst, die seinen Kampf mit seiner neuen Rolle im Kunstbetrieb illustrieren. Ein Werk aus dem Jahr 1985 zeigt das besonders. Darauf zu sehen eine menschlich wirkende Figur in einem Zimmer sitzend. Ein angedeuteter Schreibtisch, ein Fenster raus ins Grüne.
Dahinter zwei Vögel und eine Kuh. Auf dem Knie der Figur sitzt ein weiterer Vogel. In der Hülle der schwarz und grau gezeichneten Figur, befindet sich eine weitere Figur - ein verschreckt, traurig dreinblickender gelb- und ockerfarbener (Koala?)-Bär, der in der dunklen Hülle gefangen zu sein scheint. Ist das ein Selbstporträt eines Mannes, der nicht sein kann, wie er gerne wäre?
Zugegeben - das ist natürlich spekulativ. Aber es spricht doch mindestens dafür, dass Hans Krüsi eine hohe bildnerische Intelligenz hatte und wusste, wie man ein spannendes Bild aufs Papier bringt.
Video: Hans Krüsi im TV (Schweiz aktuell vom 23.8.1990)
Der Kurator scheut den Vergleich mit Andy Warhol nicht
Das gilt auch für seine Serviettenkunst. In Restaurant oder auf Zugfahrten bemalte Krüsi mehrlagige Papierservietten. Ausgangspunkt war die zusammengefaltete Serviette. Dort begann Krüsi mit Filzstift zu malen, später faltete er das Papier auseinander und arbeitete mit den jeweils durchgedrückten Farbstrichen weiter. Was ist das Original? Was ist die Kopie? Und wie oft man man ein und dasselbe Motiv neu interpretieren? Hans Krüsi spielt hier mit Themen, die auch andere Künstler:innen seiner Zeit beschäftigten. Markus Landert wirft an der Medienkonferenz den Namen Andy Warhol in den Raum, der genau mit diesem Prinzip sehr erfolgreich war.
Anders als Warhol jedoch, scherte sich Hans Krüsi nie um um das Material auf dem er seine Kunst schuf. Er bemalte nicht nur Servietten, sondern auch Kartons, Packpapier und Platzsets in Restaurants und Kneipen. Bei der Wahl seiner Instrumente war er ebenfalls nicht zimperlich. Zur Not malte er eben auch mit dem Filzstift. Im Grunde brauchte er sämtliche Techniken, die in der Kunst eigentlich verpönt waren. Auch hier zeigte er sich als Aussenseiter. Diese Regeln des Kunstbetriebs waren ihm egal, wenn ihn die Dringlichkeit der Kunstproduktion übermannte. Das rüttelt auch an Selbstgewissheiten des Kunstbetriebs: Vielleicht ist das Material ja gar nicht so wichtig, wenn man wirklich grosse Kunst schaffen will?
Der ständige Künstler, oder: Ein Leben als Performance
Hans Krüsi also. Ein Mann, der sein Leben lang vielen Aussenstehenden bestenfalls als Freak galt und den manche in der Kunstszene mit einer eher voyeuristischen Neugier betrachteten. Mit seiner vermüllten Wohnung, seiner manchmal merkwürdigen Liebe zu Tieren, seinen modischen Auffälligkeiten.
Dass Hans Krüsi ein Mensch war, der von Konventionen nicht viel hielt, war auch schon vor der Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau bekannt. „Sein Leben gerät zur Performance“, sagt Markus Landert beim Gang durch die Ausstellung. Kunst und Leben wird zur Einheit, Hans Krüsi tritt in der Öffentlichkeit als ständiger Künstler auf.
Das grösste Verdienst von „Jeder kann nicht machen was er will“ ist deshalb, dass es der Ausstellung gelingt, den Künstler aus dem Freak herauszuschälen. Dass sie zeigt, wie man auch als Bastler zum Künstler werden kann. Wenn man so will, dann ist die Ausstellung auch ein Plädoyer für das Machen jenseits des Theoretisierens in der Kunst. Denn das ist das, was Hans Krüsi von anderen Künstler:innen seiner Zeit unterscheidet: Er machte einfach, frei von konzeptuellen Zwängen. Was dabei entstand, ist unbedingt sehenswert.
Termine: Die Ausstellung «Jeder kann nicht machen was er will» ist bis zum 9. Juni 2024 im Kunstmuseum Thurgau zu sehen. Mehr zum Rahmenprogramm gibt es hier.
Video: Maler Hans Krüsi im Portrait (Tagesschau vom 14. April 2020)
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