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von Samantha Zaugg, 23.10.2020

Die Faszination des Kaputten

Die Faszination des Kaputten
Luftaufnahme der Ruine Neuburg bei Mammern. | © Samantha Zaugg

Ruinen ziehen Menschen seit jeher an. Auch im Thurgau gibt es einige dieser verlorenen Orte zu entdecken.

Lange Zeit galten Burg- und Schlossruinen nur als Schuttansammlungen. Wer wollte, konnte sich hier billiges Baumaterial besorgen. Geändert hat sich das erst durch die Romantiker im 19. Jahrhundert. Caspar David Friedrich malte immer wieder Burg- und Klosterruinen in seinen Werken. Plötzlich bekamen diese Orte etwas Mystisch-mythisches. Als BesucherIn konnte man Zeuge einer Zeit werden, die längst vergangen war.

Auch im Thurgau gibt es zahlreiche solcher Orte. Die mittelalterliche Ruine Neuburg oberhalb von Mammern zum Beispiel. Sie ist nicht nur die bedeutendste und grösste Burganlage am südlichen Unterseeufer, sie ist auch am besten erhalten. Dank der Grillstelle und Spielgelegenheiten ist sie auch bei Spaziergängern und Familien sehr beliebt. Hans-Jörg Brem, Leiter des kantonalen Amts für Archäologie, stellt im Video diese besondere Ruine vor.

Video: Hans-Jörg Brem über die Ruine Neuburg

Daneben gibt es aber weitere Ruinen im Kanton, die ebenfalls einen Besuch wert sind. In Zeiten des Social Distancing und der Corona-Kontaktbeschränkungen um so mehr: Hier gibt es Platz und Kinder können sich austoben.

Ruine Helfenberg

2019 zuletzt saniert, ist die Ruine Helfenberg in der Gemeinde Hüttwilen heute immer noch ein beliebtes Ausflugsziel. Ihre Geschichte weist weit zurück: Die mittelalterliche Burg Helfenberg wird erstmals zu Beginn des 14.Jahrhunderts in einer St.Galler Urkunde erwähnt. Bereits ab 1413 ist allerdings nur noch von einem Burgstall die Rede, was darauf schliessen lässt, dass die Anlage damals schon nicht mehr oder nur noch beschränkt bewohnbar war.

Das Amt für Archäologie des Kantons Thurgau führte 1980 eine kleine Grabung in der nordwestlichen Gebäudeecke durch. Unter einer mächtigen Brandschuttschicht fanden sich wenige Topfscherben sowie eine ovale Schnalle aus Bronze. Es ist interessant, dass einige dieser Funde bereits in die Zeit um 1200 datieren. Die Burg Helfenberg dürfte somit wohl bereits mehr als 100 Jahre vor der ersten schriftlichen Erwähnung im Jahre 1331 erbaut worden sein. 1981/82 sowie 2010/11 wurde die Ruine renoviert.

Die Anlage wurde 1978 für einen Franken an den Kanton Thurgau abgetreten und wird seither vom Amt für Archäologie betreut.

Ruine Altenburg

Wer die Altenburg bei Märstetten gebaut hat, wann genau sie entstanden ist, dazu fehlen urkundliche Berichte. Archäologische Funde deuten aber darauf hin, dass der Burghügel bereits im ausgehenden 8. oder im frühen 9. Jahrhundert genutzt wurde. Die Altenburg wurde bereits von 1901 bis 1910 teilweise ausgegraben, dann zerfielen die noch aus dem Boden ragenden Mauerteile zusehends.

Inzwischen sind Teile der Mauern vom Amt für Archäologie saniert und rekonstruiert worden. Am 28. Mai 2016 wurde die Altenburg mit einem Fest für die Bevölkerung feierlich eingeweiht.

Archäologen haben bei Grabungen auf dem Gelände nur wenige Funde sicher gestellt: Vergoldete Bronzeappliken eines Kästchens, farbige Gläser oder bemalte Verputzreste. Allesamt sprechen für eine gewisse Bedeutung der Burgbesitzer.

Die Ruine ist nur zu Fuss erreichbar. Einen Vorschlag für eine kurze Wanderung findet ihr hier.

Ruine Chastel

Ruine Chastel bei Tägerwilen. Bild: Von Tschubby - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=72409670

 

120 Meter lang, 30 Meter breit - die Festung „Castello“ auf einem Hügel des Seerückens bei Tägerwilen gehörte zu den grössten mittelalterlichen Wehranlagen im Bodenseeraum.

Ihre Geschichte hat es in sich: Der Konstanzer Bischof Ulrich I. (1111-1127) hatte die Burg Chastel mit grossem Aufwand als möglichen Zufluchtsort erstellen lassen. Schon kurz nach dessen Tod wurde sie von seinem Nachfolger Ulrich II. wieder abgetragen, weil er fürchtete, dass die Burg als Stützpunkt gegen die Stadt Konstanz genutzt werden könnte. In der Mitte des 12. Jahrhunderts tauchen die Herren von Chastel auf, die in verschiedenen Funktionen im Konstanzer Bistum bis ans Ende des 14. Jahrhunderts eine Rolle spielen.

Im frühen 13. Jahrhundert wurde die Burg wieder errichtet, ab etwa 1300 nutzten die späteren Bischöfe sie als einen ihrer Wohnsitze. Ihr Ende findet die Bischofsburg am 11. März 1499 im Schwabenkrieg: sie wird von den Eidgenossen abgebrannt und nie wieder aufgebaut.

Grosse Teile der einstigen Ringmauer sind heute noch sichtbar, ebenso jeweils ein Turm im Westen und einer im Osten. In den Jahren 2007 und 2008 haben die Gemeinde Tägerwilen und das kantonale Amt für Archäologie den Westturm saniert und eine Aussichtsplattform eingebaut. Gleichzeitig wurde die Südmauer gesichert.

Ruine Anwil

Die Ruine Anwil. Bild: Von Berger, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4349509

 

Es lebte sich gut auf der Burg Anwil im 13. Jahrhundert: Birkhuhn wurde serviert, auf dem Tisch standen kostbare Trinkgläser und Kachelöfen sorgten für wohlige Wärme in den Räumen. Archäologische Untersuchungen aus den vergangenen Jahren haben diesen gehobenen Lebensstandard der Burgbewohner bezeugt.

Die Anlage bestand aus einem zwei- bis dreigeschossigen Wohnturm. 1984 entdeckte man im Turminneren eine Zisterne. Die Geschichte der Burg ist eher wechselhaft: Über die Jahre wurde sie immer wieder zerstört und neu aufgebaut. Im 17. Jahrhundert fanden verschiedene Besitzerwechsel statt. Die Burg war nicht mehr Wohnsitz und sie zerfiel zusehends. Heute ist von der erstmals 1385 erwähnten Burg nur noch ein Teil zu sehen. 2016 wurde die Ruine zuletzt restauriert.

Sie liegt am beliebten Ruinenweg Kradolf-Schönenberg, der die drei Ruinen Anwil, Last und Heubärg verbindet.

Ruine Last

Bereits 1159 wird das „castro Sconeberc“ in Urkunden erwähnt, hier hielten sich Dienstleute des Bischofs von Konstanz auf. Die Herren von Schönenberg konnten die Burg bis Mitte des 14. Jahrhunderts halten. Aus finanziellen Gründen mussten sie diese aber an den Bischof zurückgeben. Nicht mehr bewohnt zerfiel die Burg zusehends.

Die Ruine Last liegt auf einer markanten Kuppe. Einzig der 12 Meter hohe Rumpf des viereckigen Wohnturms ist heute noch zu sehen. Das oberste Stockwerk, ein auskragender Holzbau, ist nicht erhalten geblieben. Die fast zwei Meter dicken Mauern setzen sich aus Findlingen und Geröllen sowie einzelnen Tuffquadern zusammen. Interessant: Im Mittelalter war an der Nordwand ein Hocheingang zum Wohnturm angebracht, wo sich auch zwei Fensteraussparungen befinden. Im Turminnern sieht man noch die Balkenlöcher für einen hölzernen Zwischenboden.

2004 ist mit Unterstützung des Kantons Thurgau, der Gemeinde Kradolf-Schönenberg und der „Genossenschaft zur Erhaltung der Ruine Last und Heuberg“ die Krone der Ruine gefestigt und vom Pflanzenwuchs befreit worden.

Ruine Tanegg

Ruine Tanegg. Bild: Von Paebi - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2157158

 

Archäologen vermuten, dass auf dem Tanegger Grat bei Mischungen nicht nur eine Burg-, sondern eine ganze Stadtanlage im Mittelalter erbaut wurde. Die Anlage ist ansonsten archäologisch kaum erforscht, das meiste, was man heute über sie weiss, stammt aus schriftlich überlieferten Quellen. So gilt es als ziemlich sicher, dass der Konstanzer Bischof Heinrich I. von Tann (von 1233 bis 1248 im Amt) die Burg als Zentrum einer zum Bistum Konstanz gehörenden Herrschaft ausbaute.

Die Ausmasse der Anlage nennen Archäologen heute noch „imposant“. Sie ziehen Vergleiche zu Türmen wie sie etwa in Frauenfeld, Arbon, Hegi bei Winterthur oder Egg noch in ganzer Grösse erhalten sind. Demnach war der Turm auf dem Tanegg rechteckig und mass aussen etwa 15,2 x 11,6 Meter. Die Bauweise passe gut ins 13.Jahrhundert, also in die Amtszeit von Bischof Heinrich I. von Konstanz, schreiben die Wissenschaftler.

Obwohl die Anlage ursprünglich als Machtzentrum des Konstanzer Bischofs im Hinterthurgau geplant war, kam das vom übrigen Herrschaftsgebiet des Bistums entfernte Tanneggeramt bald in andere Abhängigkeit und wurde 1693 schliesslich vollständig ans Kloster Fischingen verkauft. Von der Festung stand bis 1837 noch der Hauptturm aufrecht. Dann wurde auch dieser abgetragen und die Steine wurden für einen Brückenbau verwendet.

Heute ist der Mauerstumpf des Hauptturmes deutlich sichtbar, die südliche Mauerflucht aus grossen Findlingen lag stets frei.

Weitere Infos zu diesen und weiteren Ruinen im Kanton gibt es auch auf der Internetseite des Amts für Archäologie.

Transparenz-Hinweis: Der Video-Beitrag ist in Kooperation mit Thurgau Tourismus entstanden. Was genau bedeutet das? Vor allem eines: Thurgau Tourismus beteiligt sich zu zwei Dritteln an den Produktionskosten des Videobeitrags, darf diesen dafür auch auf seinen Kanälen verwenden. Die Auswahl der Protagonisten des Videos erfolgte auf Vorschlag von thurgaukultur.ch, in Absprache zwischen thurgaukultur.ch und Thurgau Tourismus. Die Auswahl und das Verfassen des Textbeitrags lag alleinig bei der Redaktion von thurgaukultur.ch. Wenn ihr weitere Fragen zu der Kooperation zwischen uns und Thurgau Tourismus habt, schreibt uns gerne eine E-Mail: redaktion@thurgaukultur.ch

 

 

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