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von Inka Grabowsky, 04.07.2018

Die offene Parabel

Die offene Parabel
So bunt kann ein Lehrstück aussehen. | © Mario Gaccioli

Das See-Burgtheater zeigt ab 12. Juli „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch als unterhaltsames Lehrstück. Auf eindeutige Feindbilder verzichtet Regisseur Leopold Huber bewusst.  

Dem Drama aus dem Jahr 1958 werden viele Wurzeln zugesprochen. Frisch habe sich gegen kommunistische Diktatoren oder gegen den Nationalsozialismus aussprechen wollen, heisst es. Leopold Huber, der Mit-Intendant des See-Burgtheaters sieht das anders. „Es geht im Stück um die allgemeine Verführbarkeit des Menschen“, erklärt er. „Es gibt einen Biedermann in uns allen. Deshalb kommen unsere Brandstifter auch nicht verkleidet als Flüchtlinge, IS-Kämpfer oder mit Donald-Trump-Maske.“ Aktuelle Bezüge zum Populisten im Weissen Haus sieht der Theatermacher aber trotzdem. Es gäbe zu viele Menschen, die glaubten, wenn man sich nicht mit Demagogen wie Trump anlegte, würde man verschont. „Gar nichts werden wir“, echauffiert er sich. „Hier ist Zivilcourage gefragt.“ Genau diese geht dem Ehepaar Biedermann ab. Beide stehen der Bedrohung durch die Brandstifter hilflos gegenüber und ziehen es vor, die Gefahr zu ignorieren oder sich sogar den Tätern anzubiedern.

Eigentlich spielt „Biedermann und die Brandstifter“ im Wohnzimmer des Titelhelden. Das See-Burgtheater hat die Handlung jedoch in den bürgerlichen Vorgarten verlegt, ordentlich eingerahmt von einem weissen Lattenzaun. „Biedermanns Haus soll eine Mischung aus Konservativismus und falsch verstandener Moderne sein, hat der Architekt Frisch gefordert“, begründet der Regisseur. Die Kulisse besteht deshalb aus einem Anwesen am See, das von Reichtum kündet, aber auch aus einer Festung, die von der Angst der Protagonisten zeugt. Die rosa Fassade hingegen belegt den Pragmatismus des See-Burgtheaters. Man wollte einfach einen möglichst grossen Kontrast zum Blau des Himmels und des Sees und gleichzeitig eine Farbe, die für ein Idyll steht. Sehr langlebig ist diese heile Welt allerdings nicht: Sie fliegt bei der Aufführung spektakulär in die Luft. Die Zuschauer dürfen sich auf pyrotechnische Spezialeffekte freuen. Dafür gibt es für einmal keine Musik auf der Freilichtbühne. Es habe einfach nicht zum Stück gepasst, so Huber.

Leopold Huber erklärt das Stück.
Leopold Huber erklärt das Stück an der Medienkonferenz. Bild: Inka Grabowsky

 

Ein Chor hilft einsortieren

Frisch hat den Zuschauern einen Chor wie in der griechischen Tragödie zur Seite gestellt. Eine Gruppe Feuerwehrleute kommentiert unisono das Geschehen, beschreibt es und übersetzt die Geschehnisse, damit sie jeder versteht. Chorführer ist Erich Hufschmid, der mit seinem Einatmen seinen fünf Mitstreitern jeweils das Zeichen für den Einsatz gibt. „Seit Wochen lebe ich nur noch im Kollektiv“, sagt er grinsend. „Das ist auch mal eine Erfahrung.“ Leopold Huber erklärt, der Chor habe eine verfremdende, distanzierende Wirkung. „Man hat Gelegenheit, die Handlung zu reflektieren. Ausserdem kommt hier Frischs Ironie besonders gut zur Geltung. Die Sprache ist wunderbar präzise.“

Max Frisch selbst hat das Stück einmal im Interview als Fingerübung und gelungene Handwerksarbeit bezeichnet. Insofern ist es kein Wunder, dass es in der Schule immer wieder gelesen wird. Die Kreuzlinger Sekundarschule Remisberg hat die Aufführung ebenfalls zum Anlass genommen, das Thema durchzunehmen. Die gesamte Oberstufe sieht sich nun eine Probe an. „Das freut mich ungemein“, sagt Leopold Huber. „Ich hoffe, alle Schüler merken, dass Theater nicht nur für alte Leute spannend ist.“ Der Stoff jedenfalls ist vielversprechend: „Frisch gehört zu den grössten deutschsprachigen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts“, so der Künstler. „Sich seine Stücke anzusehen, tut jedem gut. Wer es in der Schule gelesen hat, kann bei uns sein Urteil überprüfen. Er wird feststellen, dass das Drama überhaupt nicht verstaubt ist.“ „Ausserdem macht es Spass“, ergänzt Adrian Furrer, der Darsteller von Gottlieb Biedermann. „Es gibt einen hohen Humoranteil. Frisch will die Leute unterhalten, und auch wir Schauspieler wollen den Zuschauern gefallen.“
 
Termin: „Biedermann und die Brandstifter“ läuft vom 12. Juli bis zum 9. August um 20.30 Uhr. Das Stück dauert rund 95 Minuten, es gibt eine Pause. Karten kosten 54 Franken, ermässigt 20 Franken. Bestellung unter info@see-burgtheater.ch Die Zuschauertribüne ist gedeckt. Nur bei sehr schlechtem Wetter wird das Stück abgesagt.

Freuen sich auf die Premiere am 12. Juli (von links) Hans-Caspar Gattiker, Astrid Keller, Adrian Furrer und Andrej Reimann.
Freuen sich auf die Premiere am 12. Juli (von links): Die Schauspieler Hans-Caspar Gattiker, Astrid Keller, Adrian Furrer und Andrej Reimann. Bild: Mario Gaccioli

 

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