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«Ich bin nicht so der Smalltalk-Typ»

«Ich bin nicht so der Smalltalk-Typ»
«Ich mach gern Witze über Sachen, die uns Angst machen und die eigentlich traurig sind.» Der Kabarettist Josef Hader im grossen Interview mit thurgaukultur.ch | © Lukas Partl

Josef Hader ist seit Jahren der beste deutschsprachige Kabarettist. Vor seinem Auftritt in Kreuzlingen am 29. Oktober haben wir mit ihm gesprochen. Über Corona, Humor in Zeiten der Pandemie und eine Gesellschaft im Dauer-Krisenmodus. UPDATE: Der Auftritt in Kreuzlingen wurde aufgrund der neuen Corona-Regeln des Bundesrats abgesagt.

Herr Hader, wie geht es Ihnen? Irgendwelche Anzeichen von Husten, Heiserkeit, Schnupfen gerade?

Nein, nichts davon. Ich fühle mich gut. Auch weil ich alle zwei Tage einen Corona-Test bekomme. Ich teste mich gerade quasi durch die deutschen Bundesländer. Aus Wien habe ich einen Test für Stuttgart, einen Stuttgarter Test für Berlin, in Berlin wäre jetzt ein Test gewesen für Bayern, aber der Auftritt dort fällt leider aus. Nächste Woche starte ich dann in Wien wieder mit der Testung. Ich hatte noch nie eine so starke Gewissheit gesund zu sein, wie in diesen Tagen.

Ernsthaft? Sie müssen vor jedem neuen Auftritt einen neuen Test vorweisen?

Nein, das müsste ich nicht. Es war eher eine grundsätzliche Entscheidung. Ich finde es als herumreisender Kabarettist auch eine gute Idee, sich regelmässig testen zu lassen. Damit alle, die in diesen Zeiten ins Kabarett kommen eine Sicherheit haben, dass der da oben auf der Bühne, der zwei Stunden vor sich hinsprudelt, gesund ist. Das ist so ein bisschen Dienst am Kunden.

Nächsten Donnerstag sollen Sie in Kreuzlingen auf der Bühne stehen. Bleibt’s dabei?

Stand jetzt: Ja. Ich darf mit einem Test aus Wien nach Deutschland einreisen, wenn der nicht älter als 48 Stunden ist und ich darf auch in die Schweiz einreisen, wenn ich getestet bin. Aber man weiss das ja nie so genau in diesen Tagen. Wir werden sehen.

„Ich werde nicht hysterisch. Ich bin gemässigter Hypochonder.“

Josef Hader, Schauspieler (Bild: www.lukasbeck.com)

Sie gelten als Hypochonder, wie lebt es sich damit mitten in der zweiten Corona-Welle?

Ach, ich bin ja kein krankhafter Hypochonder, sondern einer der bloss ein bisschen schaut, wenn irgendwas nicht passt im Körper, was es dazu im Internet gibt. Ich werde nicht hysterisch. Ich bin gemässigter Hypochonder: Ich schaue schon ein bisschen mehr, wie meine Lunge beisammen ist und ob ich immer noch alles riechen kann. Das überprüfe ich dann schon ständig. Aber sonst passiert nichts Grossartiges.

Nimmt die Hypochondie mit dem Alter ab?

Eigentlich nicht. Es hatte bei mir immer auch ein Stück weit mit meinem Interesse an Medizin zu tun. Ich hätte mir nie zugetraut das zu studieren, aber ich hatte immer ein Interesse daran, wie der menschliche Körper funktioniert.

Wien ist seit Wochen Corona-Hotspot. Wie ist das Leben in der Stadt gerade?

Die ehrliche Antwort wäre: Ich weiss es gar nicht. Ich bin seit Wochen kaum in der Stadt, weil ich für meine Auftritte herumreise. Und wenn ich mal heimkomme, bin ich froh daheim zu sein. Für mich hat sich aber auch sonst nicht besonders viel verändert, weil ich nicht der Typ bin, der viel auf Partys geht und auf Vernissagen rumsteht und Smalltalk mit vielen Menschen macht. Ich bin auch aus dem Alter draussen, wo ich die Clubs durchstreife in der Nacht.

Wie verbringen Sie dann Ihre Zeit?

Ich bin viel Zuhause, ich koche sehr gerne. Ich gehe gerne ins Kino, das ist hier immer noch sehr gut möglich, weil die Kinos offen sind und nicht gut besucht. Das ist sehr ungefährlich. Sie sehen also: Mein persönliches Leben hat sich eigentlich gar nicht so sehr verändert.

„Der grosse Unterschied zwischen Wissenschaft und Religion ist: In der Wissenschaft kann man zwei Monate später klüger sein.“

Josef Hader, Philosoph (Bild: www.lukasbeck.com)

Manche Leute saugen ja obsessiv alles zum Thema Corona auf, was sie finden können, andere wenden sich eher ab. Was für ein Typ sind Sie?

Ich bin ein Informations-Junkie. Ich will immer alles wissen. Das Gute ist: Wenn man sich damit beschäftigt und alles wissen will, dann muss man die einzelne Information auch nicht so ernst nehmen, weil man weiss, dass es einen Fluss von Informationen gibt. Gerade in der Pandemie zeigt sich, dass die Informationen in einem Moment wahr sein können und trotzdem zwei Wochen später schon wieder falsch. Das ist ja der grosse Unterschied zwischen Wissenschaft und Religion: Dass man in der Wissenschaft zwei Monate später klüger sein kann. Das ist keine Schwäche, wie manche glauben, sondern das ist die Stärke von Wissenschaft. In der Religion bleibt immer alles gleich, da muss nie irgendwer einen Fehler zugeben. Aber das ist ja vielleicht auch nicht so optimal, wenn man sich mal die Geschichte der Kirche anschaut.

Sie haben im Lockdown im Frühjahr auch eigene Videos gedreht und auf den sozialen Medien geteilt.

Ach, die Sache. Sagen wir mal so: Ich habe gemerkt, dass ich für Kabarett im Internet nervlich nicht so gut geeignet bin.

Warum nicht?

Ich halte diese Beschimpfungen, die immer, wirklich immer kommen, nicht so gut aus. Total egal, was man macht, es gibt immer Leute, die darauf warten einem zu sagen, dass man gerade ganz furchtbare Fehler begeht. Es ist wie Tucholsky geschrieben hat: Wenn jemand Satire macht, sitzt immer irgendwo jemand auf dem Sofa und ist beleidigt. Für mein Nervenkostüm ist die Form, dass die Leute zu mir kommen, die das gerne haben, was ich mache auf Dauer die für mich befriedigendere Form.

Video: Josef Hader als Verschwörungstheoretiker

Sie wollen geliebt werden!

Naja. Ich möchte mich vor allem nicht beschimpfen lassen und ständig für irgendwas rechtfertigen müssen. Ich habe eine Nummer über das Saufen im Lockdown gemacht, da haben viele geschrieben, ich verharmlose Alkohol. Ganz schlimm war es bei einem Video, in dem ich mich über Esoterik lustig gemacht habe. Da habe ich teilweise noch ärgere Reaktionen als auf mein Verschwörungstheoretiker-Video. Es ist auch deshalb so müssig, weil ich natürlich weiss, dass das eine sehr engagierte Minderheit ist, die sich damit die Zeit vertreibt und Kommentare auf Facebook schreibt. Das heisst, ich krieg eigentlich eine Reaktion, die ich einerseits nicht so gut ignorieren kann, die aber gleichzeitig keine repräsentative Reaktion ist. Insofern ist das nicht die Form mit der ich alt werden möchte.

„Tucholsky hatte recht: Wenn jemand Satire macht, sitzt immer irgendwo jemand auf dem Sofa und ist beleidigt.“

Josef Hader, Satiriker (Bild: www.lukasbeck.com)

Wir leben in merkwürdigen Zeiten. Es gibt fast täglich Anpassungen, neue Regeln und neue Informations-Lagen. Beschäftigt Sie diese ständige Unsicherheit?

Ich bin eher dafür berüchtigt, dass ich zu wenig plane. Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass ich nicht genau weiss, ob nächste Woche alles wie geplant stattfinden kann. Ich lasse das auf mich zukommen. Das Leben ist ohnehin eine einzige unwägbare Kalkulation, das spürt man in solchen Zeiten halt ein bisschen mehr. Man spürt vielleicht auch ein bisschen mehr, dass das Leben nicht grundsätzlich auf Sicherheit angelegt ist.

Wie geht man damit am besten um?

Schauen Sie, das Gute ist: Es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass spätestens nächstes Jahr im Sommer der ganze Spuk dank einer Impfung vorbei ist. Was ich an dieser Katastrophe tröstlich finde: Sie hat sehr voraussichtlich ein Ablaufdatum. Da sind wir viel besser dran als andere Generationen, die Katastrophen erlebt haben von denen sie nicht gewusst haben, wie lange sie dauern werden. Im Ersten oder Zweiten Weltkrieg wären alle sehr froh gewesen, wenn sie mit einer ähnlichen hohen Wahrscheinlichkeit gewusst hätten, dass das Ding ein klares Ende hat.

Hilft Humor dabei, die Situation zu ertragen?

Humor hilft immer. Ohne Humor würden sich vielmehr Leute gegenseitig umbringen. Vielleicht auch sich selber umbringen. Humor ist immer eine Möglichkeit, sich zu distanzieren von der Not. Deshalb versuche ich auch Witze zu machen über traurige Dinge. Witze über lustige Dinge zu machen, finde ich nicht so hilfreich. Ich mach gern Witze über Sachen, die uns Angst machen und die eigentlich traurig sind, da hat der Humor eine angenehm tröstliche Funktion.

Ist eine Pandemie in dem Sinne auch kabaretttauglich?

Klar. So eine Pandemie bringt alles im Menschen zum Vorschein, was er an Gutem und Schlechtem in sich trägt. Wir sehen auf der einen Seite die Blockwarte, die jeden zusammenschnauzen, der kurz mal vergessen hat, die Maske aufzusetzen und wir sehen die andere Kehrseite der Medaille, die Leute, die wie im Mittelalter irgendwelchen Heilern oder Propheten nachlaufen. Die Pandemie legt offen, dass sich der Mensch seit vielen Jahrhunderten einfach nicht sonderlich weiter entwickelt hat. Das ist für einen Satiriker natürlich eine spannende Zeit. Die grössten Satiren sind ja nicht entstanden als es den Leuten gut ging.

„Im Ersten oder Zweiten Weltkrieg wären alle sehr froh gewesen, wenn sie gewusst hätten, dass das Ding ein klares Ende hat.“

Josef Hader, Gesellschaftskritiker (Bild: Lukas Partl)

Tatsächlich scheint die Gesellschaft gerade einigermassen gespalten in Coronaleugner und Übervorsichtige. Wenn das alles irgendwann mal vorbei ist: Wie finden wir dann wieder zusammen?

Ich glaube, wir müssen begreifen, dass das was wir in den letzten Jahrzehnten als grossen Zusammenhalt erlebt haben, vielleicht nicht die Normalität ist. Das war eher einer Nachkriegszeit geschuldet, nach zwei ganz grossen katastrophalen Kriegen. Die gesellschaftliche Normalität ist wahrscheinlich eher so, dass wir insgesamt wohl ein bisschen gespaltener sind als wir es waren. Wir werden uns daran gewöhnen müssen. Die Frage ist dann immer: Wie trägt man solche Konflikte aus?

Wie denn?

Da gibt es mehrere Modelle auf der Welt, die in Konkurrenz stehen. Das eine ist die Diktatur, das kann man in China oder Nordkorea beobachten. Das andere ist die liberale Demokratie und das dritte ist das populistische System, das sich zunehmend etabliert hat. In den USA, in Russland, aber auch in Staaten der Europäischen Union. Nun ist die Erfolgsbilanz des populistischen Systems nicht berauschend und ich hoffe, dass die Leute das auch sehen. Gerade in Pandemie-Zeiten kann man wunderschön beobachten, dass Populismus nicht der grosse Problemlöser ist. Das müsste eine grosse Mehrheit eigentlich erkennen, egal welche politische Haltung man hat.

Video: Seminarstunde mit Josef Hader an der Uni Graz

Welches der drei Modelle wird am Ende siegen?

Das ist die bange Frage, die wir uns alle stellen. Das weiss ich nicht. Es wird niemand siegen, es geht ja immer alles weiter. Es gibt nie einen Sieger in der Weltgeschichte, das ist ja vielleicht auch ganz tröstlich. Es gibt nur so Entwicklungen in die eine Richtung und dann schlägt das Pendel wieder in eine andere Richtung aus. Da wird niemand gewinnen.

Wenn wir bei Corona bleiben, dann sieht China gerade wie ein Gewinner aus.

Nur unter dem Corona-Blick betrachtet sieht die Diktatur derzeit wie ein riesiger Sieger aus. In einem Land wie China gelingt es natürlich viel einfacher alles so einzuschränken, dass sich das Virus nicht mehr verbreiten kann. Aber ich glaube, das ist nur eine Augenblicksaufnahme. Ich glaube schon daran, dass über viele Jahre betrachtet, ein System, in dem Kritik erlaubt ist und dadurch immer wieder Auswüchse unterbinden kann, dem System überlegen sein müsste, wo eine solche Kritik nicht möglich ist. Ein Alleinherrschafts-System ist auf Dauer immer dem Untergang geweiht. Auch das lehrt einen ja die Geschichte. Kein Weltreich, das vollkommen auf einen Herrscher zugeschnitten war, hat überlebt. Die Frage ist nur, ob die liberale Demokratie ein System ist, das weniger anfällig ist zusammenzufallen als jede autoritäre Herrschaft.

„Gerade in Pandemie-Zeiten kann man wunderschön beobachten, dass Populismus nicht der grosse Problemlöser ist.“

Josef Hader, Kabarettist (Bild: www.lukasbeck.com)

Haben Sie darauf eine Antwort?

Naja. Man muss sich die Frage stellen, ob so ein System wie die Demokratie nicht ein wesentlicher Fortschritt ist. Ein System, in dem sich eine Mehrheit darauf verständigt, wie sie miteinander leben will. In den nächsten Generationen werden wir vielleicht noch erleben, ob sich das Modell durchsetzt.

Sie haben die Hoffnung darauf noch nicht aufgegeben?

Nein. Es ist doch ein grosser Fortschritt, dass das System wie Gesellschaften regiert werden, sich auf eine Mehrheit von Menschen stützt, die sich dazu bekennen. Nicht, dass die Mehrheit immer recht hat, aber ich glaube insgesamt, dass, über viele Jahrzehnte gesehen, die Mehrheit ein gutes Korrektiv ist für gesellschaftliches Miteinander.

Video: Ausschnitt aus «Hader spielt Hader»

Video: Trailer zum Film «Wilde Maus»

 

Das ist Josef Hader

Zur Person: Josef Hader (58) ist seit den 1980er Jahren einer der bekanntesten und populärsten Kabarettisten im deutschsprachigen Raum. Er ist auch als Hauptdarsteller und Drehbuchautor für einige der erfolgreichsten österreichischen Filmproduktionen mitverantwortlich. Legendär vor allem seine Darstellungen des abgehalfterten Kommissars Simon Brenner in den Wolf-Haas-Verfilmungen. 2017 gab er mit Wilde Maus sein Debüt als Filmregisseur. Er hat quasi alle renommierten Preise im Kabarett gewonnen, auch für seine schauspielerischen Leistungen wurder er vielfach ausgezeichnet. Zuletzt mit dem Österreichischen Filmpreis für  Kategorie Beste männliche Nebenrolle für «Nevrland». Mehr zu Josef Hader gibt es auf seiner Internetseite www.hader.at

 

 

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