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«Ich hätte das anders gemacht»

«Ich hätte das anders gemacht»
«Vor allem von Seiten der Stadt hätte man früher klarer sagen soll, was sie eigentlich wollen.»: Richard Tisserand, Kurator des Kunstraum Kreuzlingen, über das Kulturzentrum-Projekt der Stadt. | © Michael Lünstroth

Auf dem Schiesser-Areal in Kreuzlingen soll ein neues Kulturzentrum entstehen. Auch der Kunstraum sollte Teil werden. Aber Kurator Richard Tisserand ist skeptisch. Warum, erklärt er im zweiten Teil unseres grossen Interviews mit dem langjährigen Kurator des Kunstraums.

Herr Tisserand, seit ein paar Monaten gibt es das neue Kulturzentrum in Kreuzlingen. Ist das der richtige Weg?

Ganz ehrlich: Ich hätte es anders gemacht. Ich hätte erstmal überlegt, was ich genau brauche. Und ich hätte vom Raum her mehr aufgepasst, dass man Pufferzonen zwischen den einzelnen Nutzungen einrichtet. Dass das nicht bedacht wurde, regt mich am meisten auf. Das sind Problemherde wahrscheinlich auch in der Zukunft. Kino, Theater, Z88 und der Kunstraum das sind vier so verschiedene Sachen, die sich eigentlich zu nahe nicht vertragen. Der Kunstraum ist eher ein stiller Ort. Und ich hätte mir eigentlich gewünscht, dass man nicht so drauf losrennt, sondern erst das Konzept klar macht und nicht alles im Betrieb testet. Weil ich das Chaos schon mal gehabt habe, wollte ich nicht nochmal das gleiche. Aber es gab wohl den politischen Druck, dass jetzt zeitnah zu starten.

Darauf los rennen? Das Projekt wird doch seit mehr als 10 Jahren geplant.

Wenn Sie es so sehen, ist das natürlich ein langer Zeitraum. Aber das Problem in all den Jahren war, dass man immer wieder von vorne beginnen musste. Es gab nie eine kontinuierliche Entwicklung, die Politik hat das Projekt immer wieder ausgebremst, es gab immer wieder Unterbrechungen, die die ganze vorherige Aufbauarbeit stillgelegt haben. Das jetzige Projekt scheint mir hingegen etwas übers Knie gebrochen zu sein. Mehr Denkarbeit im Vorfeld wäre besser gewesen.

Gibt es zu viele unterschiedliche Nutzungen auf kleinem Raum?

Aus meiner Sicht ja. Es ist schwierig, ohne Pufferzone dies alles zusammenzubringen. Man hätte vielleicht erstmal die unterschiedlichen Bedürfnisse abklären sollen. Kunstraum in Kombination mit einem Theater oder Kino kann ich mir gut vorstellen. Aber da ist es auch wichtig, dass die Leute, die das machen ähnlich ticken und sich auf ein Programm verständigen können. Man sollte sich ja möglichst nicht gegenseitig stören. Auch die Öffnungszeiten sollten abgestimmt sein. Das heisst, wenn jemand eine Ausstellung im Kunstraum sieht, sollte er auch die Chance haben anschliessend noch ins Kino gehen zu können. Nur so machte das Sinn.

«Vereine sind die besten Fabriken, um Energien zu verbrennen. Was da an Gratis-Arbeit geleistet wird, ist schon Wahnsinn.»

Richard Tisserand, Kurator 

Was sind die Hauptprobleme des Projektes?

Vor allem von Seiten der Stadt hätte man früher klarer sagen soll, was sie eigentlich wollen, statt sich immer wieder hinter neuen Konzepten zu verstecken, die dann doch wieder in Schubladen verschwunden sind. Ich finde aber auch das gesamte Konstrukt in seiner semiprofessionellen Anlage mit viel ehrenamtlicher Arbeit schwierig. Meine Erfahrung ist: Vereine sind die besten Fabriken, um Energien zu verbrennen. Was Simon Hungerbühler und Valentin Huber zum Beispiel machen, würde ich nicht mehr machen. Denn was da an Gratis-Arbeit geleistet wird, ist schon Wahnsinn. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Es ist toll, dass es so viel Energie gibt, aber ich fürchte, dass sie sich vielleicht auch aufbrauchen und ihnen daran Lust vergehen kann. Aus meiner Sicht machen sie das doch für das städtische Kulturzentrum. Doch vielleicht ist da drin die Chance das eigentliche Projekt für Kreuzlingen zu entdecken – indem in verschiedenen Versuchsläufen herausgefunden wird, was die Kreuzlinger brauchen.

Hat das Projekt eine Chance auf Erfolg?

Dem Kino gebe ich eine sehr gute Chance. Das Theater braucht einen anständigen Raum. Meine Vermutung: Vieles wird wohl erst in einem möglichen Theater-Neu oder Umbaubau in etwa acht bis zehn Jahren realisierbar.

Und wie sieht der Kunstraum in 10 Jahren aus?

Ich hoffe, er ist nach wie vor ein so inspirierender Ort wie jetzt. Ob ich dann noch dabei bin, ist schwer zu sagen. Stand jetzt will ich es so lange machen, wie ich es mag. Für mich ist die Arbeit wie ein Jungbrunnen. Das ist alles immer noch wahnsinnig spannend für mich. Klar ist aber auch: Ich bin 70 und wir müssen mittelfristig einen Übergang planen. Und ich habe immer gesagt, dass bei einem Kuratorenwechsel der ganze Kunstraum im Grunde neu erfunden werden müsste, damit er oder sie ihn neu prägen können.

Kulturzentrum, Kunstraum und Kurator:

Das Kulturzentrum Kreuzlingen: Seit fast 10 Jahren denkt Kreuzlingen über die Schaffung eines Kulturzentrums nach. Das Gelände ist da, trotzdem stockt das Projekt immer wieder. Jetzt gibt es einen neuen Anlauf - und alte Zweifel: Einen ausführlichen Beitrag zum Projekt können Sie hier lesen:

https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3464 

 

Der Kunstraum:  Der Kunstraum Kreuzlingen definiert sich als Ort für den „Discours“ zeitgenössischer Kunst. Im Jahresverlauf werden fünf kuratierte Projekte entwickelt. Direkt unter dem Kunstraum gelegen, ist seit 2008 das Tiefparterre, Plattform für elektronische Künste und experimentelle Projekte.

Der Kurator: Richard Tisserand (geboren 1948 in Eschenz) leitet den Kunstraum Kreuzlingen & Tiefparterre seit 2005 als verantwortlicher Kurator. Er ist aber auch selbst tätig als Künstler und hatte schon zahlreiche Ausstellungen, zuletzt in der Galerie Mera in Schaffhausen. In den vergangenen Jahren erhielt er verschiedene Auszeichnungen: Adolf Dietrich-Förderpreis (1984), Thurgauer Kulturpreis (1988) und den Preis von Eschenz (1992).

 

Teil 1 des Interviews mit Richard Tisserand über eine mögliche Kooperation des Kunstraums mit der deutschen Nachbarstadt Konstanz können Sie hier lesen: 

https://www.thurgaukultur.ch/magazin/der-visionaer-3628  

 

 

 

 

 

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