von Barbara Camenzind, 07.06.2022
Klangzauber mit Bach und Meer

Willkommen im Klanguniversum der Geigerin Isabelle Faust und von Kristian Bezuidenhout (Cembalo/Orgel), die dieses Jahr als Co-Leitung die Ittinger Pfingstkonzerte in der Kartause gestalteten. Um das ewige Zitat Beethovens zu bemühen: „Nicht Bach soll er heissen, sondern Meer“.
Zu den Werken des so geehrten Johann Sebastian Bach gesellte sich wohlausgesuchte Musik seiner Zeitgenossen und Verwandten. thurgaukultur.ch besuchte die Konzerte vier, fünf und sechs der Ittinger Pfingstkonzerte 2022 und stellte fest: Die „Hommage auf Bach“ war Balsam für Ohr und Herz.
Nachdem ein heftiges Gewitter die sonntägliche Ruhe in der Kartause Ittingen durchgrollte, zauberte Cembalist Kristian Bezuidenhout seine Continuo-Arpeggi wie ein zarter Sommerregen in die immer noch schwüle Remise. Derweil Geigerin Isabelle Faust sich in nobler Zurückhaltung übte. Das Tongebäude in Johann Sebastian Bachs Sonate in G-Dur BWV1021 bekam sein Fundament durch das Cello. Kristin von der Goltz war die Baumeisterin am tiefen Instrument. Egal ob im Adagio, Vivace, oder mit flinken Fingern im Presto: Die drei Musizierenden blieben hochkonzentriert und wirkten doch sehr entspannt.
Gottfried Heinrich Stölzels Quartett in e-moll, zu dem sich der Geiger Jonathan Manson dazugesellte, wirkte in der Auswahl mit Bach, Pisendel und Telemann etwas eigen: Vorhang auf-Szene-Vorhang-zu. So gestalteten sich die Proportionen in allen Sätzen, mit einer sensationellen Fuge die an Pergolesis „fac ut ardeam cor meum“ in seinem Stabat Mater erinnerte. Der Komponist und Musiklehrer Stölzel war länger in Italien und diesen leicht theatralen Touch der „italiänischen Manier“ arbeiteten die Musizierenden wunderbar heraus, ohne darauf herumzureiten.
Isabelle Faust schenkte dem Publikum in der Sonate in a-Moll von Johann Georg Pisendel die ganze Farbenpracht und Elegie des Barocks, wie sie nur durch ein Saiteninstrument aus der Zeit zu erleben ist. Es braucht keine dramatischen Bögen. Es brauch einen Bogen der flink ist und „sprechen kann“.
Bei der Triosonate in g-moll von Georg Philipp Telemann TWV 42, mit der Oboistin Clara Blessing war deutlich zu erleben, dass die Musik des norddeutschen Barockmeisters eine fast demokratische Angelegenheit ist, wenn sie so gespielt wird. Kein Instrument drängt sich in den Vordergrund, alles wirkt aus einem Guss, jeder hat mal was zu erzählen und dann ist man bei einem guten Schluss. Das klingt vielleicht komisch, aber es ist zauberhaft, weil diese Musik in diesem Duktus gespielt, einem keine Klangbilder aufzwingt, sondern sich objektiv im Zuhörenden entfaltet.
Die Sonate in e-Moll von Johann Sebastian Bach BWV: Da braucht es wenige Worte. Es stimmt einfach. Schon nach den ersten Tongirlanden der Geige wird man hineingezogen, in diese Mäander der Vorhalte und Harmonien, die Magie einer Tonkunst, die schlicht unerreicht ist. Das war einfach sehr, sehr schön musiziert.
Klingende Klarheit im Rokokogehäuse
Die düster-verspielt-überladene Pracht der Kartausenkirche war der Spielort des 21-Uhr-Konzertes. Architektonisch jünger als die Musik von Johann Christoph Bach (1642-1703) und seines Neffen zweiten Grades Johann Sebastian Bach, wurde im Rokokogewimmel der Stukkaturen erlebbar, wie tiefgründig diese Art der Barockmusik aus dem evangelisch-pietistischen Kontext ist. Betörend schlicht verwoben sich die Stimmen von Dorothee Mields, James Hall, Hugo Hymas und Drew Santini zur vierstimmigen Aria „Mit Weinen hebts sich an“, des Eisenacher Organisten, der ohne seinen berühmten Neffen wohl vergessen gegangen wäre.
Isabelle Faust schenkte der grossen Vanitasmotiv in Johann Sebastian Bachs Partita für Violine solo in d-Moll BWV 1004 Seele, Raum und Herz. Wiederum: Es müssen die Proportionen stimmen bei dieser Musik, dann geht sie unter die Haut. Das tat sie mit jedem Doppelgriff und jedem Harmoniewechsel. Das ist der Zauber der Vergänglichkeit, den diese Epoche in aller Demut und Kunstfertigkeit feierte. Und dies schnörkellos.
Zauberhaft musikantisch, mit sanften Linien aus Kristian Bezuidenhouts Truhenorgel begleitet, wünschten die vier superschön homogen singenden Sänger:innen in der Aria „Es ist nun aus mit meinem Leben“ der Welt eine gute Nacht. Der Schlaf ist der kleine Bruder des Todes. Gut geschlafen hat man nach solch wunderbarer Musik allemal.

Geglückte Hommage
Sichtlich ausgeruht und hörbar erfrischt musizierten sich Isabelle Faust, Kristian Bezuidenhout und ihre musikalischen Gäste durch Christoph Graupners lautmalerische Kantate „Herr die Wasserströme erheben sich“ GWV 1115/34 und das Konzert für Cembalo von Johann Sebastian Bach in D-Dur BWV 1054. Wie schön, dass so der sonst vortrefflich zurückhaltend begleitende Cembalist sein Instrument zum Strahlen und Glänzen bringen konnte. Mit dem berühmten Konzert für Violine in a-Moll BWV 1041 und der schönen, wie harmonisch vertrackten Kantate „Nun komm‘ der Heiden Heiland“ BWV 61 erwiesen die Musizierenden dem „Bachuniversum“ die letzte, feinziselierte Hommage und verabschiedeten sich von ihrem begeisterten Publikum.
Die künstlerische Co-Leitung hat in Ittingen eines bewiesen: Ihre kluge Auswahl an hochprofessionell arbeitenden Kollegen war der eine Segen. Der zweite Segen: die Zeiten der Selbstdarstellung über die Musik eines genialen Komponisten sind Geschichte. Das ist in der musikalischen Rezeption Johann Sebastian Bachs leider zu oft geschehen und dient seiner Kunst nicht. Spielen, was in den Noten steht. Zusammenspielen und achtsam sein. Das ist die wahre Hommage an den Komponisten und seine Zeitgenossen. Diese Ittinger Pfingstkonzerte waren Balsam für die Ohren und das Herz.
Im 2023 werden die Ittinger Pfingstkonzerte mit dem künstlerischen Leiter Nicolas Altstaedt und seinem Programm für 2020 durchgeführt, das pandemiebedingt abgesagt werden musste.

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