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von Brigitta Hochuli, 08.09.2016

Jürg Schoops Kunstböden

Jürg Schoops Kunstböden
Plakat-Abbildung eines Bodenfragments der Shedhalle im Eisenwerk Frauenfeld | © zVg

Aus drei Fragen der Redaktion an den Thurgauer Künstler Jürg Schoop ist ein Raisonnement über die heutige Kunst geworden. Anlass ist die Ausstellung „Vom Rausch befreit" in der Galerie Mayer's Altem Hallenbad in Romanshorn mit Vernissage am 16. September.

Brigitta Hochuli, Fragen

Jürg Schoop, auf einem Flyer zur Ausstellung in Romanshorn notieren Sie: "Die Kunst liegt (auch) am Boden". Das ist natürlich zweideutig. Lassen wir den Einschub weg, könnte man meinen, Sie hielten nicht viel vom heutigen Kunstschaffen. Ist das so?

Der Einschub ist natürlich wichtig, weil er direkt auf das Problem hinweist, das ich in einer etwas sarkastischen, doch nachdenkenswerten Weise darstelle. Durch die Oszillation des Kunstbegriffs versteht heute jeder ein bisschen was anderes unter Kunst, weil die Deutenden aus verschiedenen Generationen mit sehr verschiedenem Hintergrund kommen, in sehr verschiedenen Kulturkreisen aufgewachsen sind. Was hat die Kunst des Selfies mit einer Zeichnung von Schiele zu tun? Und doch gibt es beides. Der Unterschied besteht darin, dass jener der nach seiner Meinung gelungene Selfies macht, nichts von Schiele weiss, aber der Schiele-Kenner sehr wohl weiss, dass es Leute gibt, die im Selfie-Produzieren ihr höchstes Gut erblicken. Früher war der Wunsch, Kunst zu machen mit der psychoanalytischen Vorstellung verbunden, psychosozialen Abhängigkeiten zu entrinnen, die objektbezogene Wiederherstellung der verlorenen Einheit zu realisieren, Stücke sammelnd auf einem Weg der zu einer neuen ichstarken Einheit führen soll.

Aber was halten Sie nun von der heutigen Kunst?

Ein Kurator hat mir gegenüber einmal erwähnt, dass man nur 20 Jahre lang das Gleiche machen müsse - was das auch immer ist - um dann damit bald einmal Anerkennung zu finden. Ein Rezept, dem viele huldigen. Produktion scheint das Zauberwort zu sein. Auf Ihre Frage: Nein, ich halte nur in seltenen Fällen etwas vom gegenwärtigen Kunstschaffen. Die Kunst ist einerseits zum Riesengeschäft manipuliert worden. Kunst ist, was sich verkauft und möglichst Millionen kostet, wenn sie auch absolute Scheisse ist, wie Peter Rühmkorf gesagt hätte. Andrerseits ist Kunst heute eine kunstvoll als Kulturausweis bis zur hintersten Gemeinde am Leben gehaltene Je-Ka-Mi-Veranstaltung. Das Erstaunliche ist, wie Kunst vergesellschaftet und zu einem Freizeitpark umgewandelt wurde. Auf diese Szene kann ich gerne verzichten.

Sie kündigen für die Ausstellung aktuelle Projekte an. Woran arbeiten Sie? Was gibt es Neues zu sehen?

Aktuelle Projekte, das ist halt etwas ironisch gemeint. Vorhaben wäre realitätsnäher. Da ich - streng genommen - auch immer am Gleichen arbeite, aber auf vielfältige Weise und meist nicht zu Ende kommend, gibt es auch nichts besonders Neues, das von der laufenden Herbstsaison in den Mittelpunkt gerückt werden könnte. Ich zeige die Skizze eines Buchvorhabens über rund 30 Plastiker der Neuzeit, die eigentlich keine sind und andere für sich arbeiten liessen. Leicht böswillig vielleicht, aber diskussionsverdächtig, ob es auch lustig ist, wie meine Frau meint, sei dahingestellt.

Und das Plakatthema, wonach die Kunst am Boden liege?

Es sind die „Kunstböden" erlauchter Kunststätten zu sehen, als eine Langzeitangelegenheit gedacht, die aber leider eher ein Ende findet bei meiner derzeitigen reisemässigen Unbeweglichkeit. Als Provokation und Material zum Nachsinnen gedacht. Ausserdem hat sich Material zum «Lettrismus» im Laufe der Jahre angesammelt, zum ersten Mal ausgestellt ist etwas davon zu sehen. Das Thema der entstellten Botschaft darf als zeitgemäss gelten. Es geht mir aber immer auch um die Schönheit und Verführung aller Dinge. «Die Vernichtung der falschen Gedanken am Beispiel der Lyrik» ist ein uraltes und uneinholbares literarisches Vorhaben, aus dem ich schon vor Jahren gelesen habe. Dass es nicht beendet worden ist, ist auf meine langjährigen krankheitsbedingten Absenzen zurückzuführen. Denn es braucht einen aufwendigen, differenzierten Essay dazu, den ich noch nicht leisten konnte. Ob ich etwas an der Vernissage dazu bringe, weiss ich noch nicht.

Sie könnten aus dem Vollen schöpfen!

Es liegt noch manch anderes vor, das der Visualisierung harrt. Mangelnder Ehrgeiz treibt die Sachen halt nicht an. Vielleicht bin ich auch etwas analfixiert, wie ein Kollege aus der Psychoanalyse gemeint hat, und gebe die Sachen nicht gerne her. Da ist aber auch noch eine DNA-Sequenz von meinem einst vielverachteten Vater dem ich verdächtig ähnlich geworden bin, und den ich jetzt viel besser verstehe. Man kommt nicht umhin, wenn man im Leben weiter kommen möchte, die elterlichen Sequenzen gründlich zu untersuchen, was natürlich der Spassgesellschaft zuwiderläuft.

Ihre Ausstellung läuft unter dem Titel "Vom Rausch befreit". Bedeutet die Aussage, dass Sie analog zur Kunst quasi auf dem Boden der Realität angekommen sind?

Der Titel ist nicht von mir, ich fand ihn aber sehr sinnreich. Kontradiktorisch, wenn wir die Ausstellung „Im Rausch" in der Kartause im Auge haben! Vom Rausch befreit muss ich allerdings nicht werden. Es ging mir seit jeher darum, in der Realität zu leben, wobei Realität Phantasie und Grenzerfahrung nicht ausschliessen darf. Ich war sozusagen immer dort anwesend, wo sich Realität mit Wahrheit verbinden wollte. Soeben habe ich einen Filmbericht über eine bunt zusammengesetzte Schulklasse in Frankreich gesehen. Eine quicklebendige, etwa elfjährige Senegalesin, die sowohl im Koran wie in der Bibel liest, Moschee und Kirche besucht, wundert sich über die Verschiedenheiten, wo es doch nur einen Gott gebe und man nicht mal ganz sicher sei, ob er vorhanden wäre. Gewisse, sich gerne wissenschaftlich tarnende Wahrheitssucher finden darin die Bestätigung, dass es keine verbindlichen Wahrheiten gibt. Das kommt davon, dass sie nicht in der Realität leben und eine Fluchtperspektive menschlicher Erfahrung und daraus resultierender Massstäbe vorziehen. Als Künstler sollte man in erster Linie Humanist, und für mich auch wichtig, Wissenschaftler im weitesten Sinne sein. Da hat ein Gott keinen Platz und die Kunst ist nicht mehr der Nabel der Welt.

Jürg Schoop, Sie sind 82 Jahre alt. Passt der Ausstellungstitel auch zu Ihrer persönlichen Lebenserfahrung?

Ich bewundere heute einen Künstler wie Klaus Staeck, der sich weitaus mehr um die menschliche Gesellschaft gekümmert hat als jene, die nicht eher Halt machen, bis sie bei Sotheby gehandelt und in allen Welt- und Provinzblättern genannt werden. Auf dem Boden der Realität, der mit tiefen Spuren des Raubtiers Kapitalismus übersät ist, können wir nicht weiter gedeihen. Oekonomie und Oekologie werden uns zwingen, über neue gesellschaftliche Bilder nachzudenken. Und was ist mit der Kunst? Wird sie endgültig in die Unterhaltungs- und Gewerbeabteilung weichen? Was ich nicht für ein Unglück halte, sofern man endlich einmal den Kreativanspruch aufgibt. Ob und wieviel Erkenntnisprozesse mit Lebenserfahrung zu tun haben, weiss ich nicht. Erkenntnis und Altern sind selbstlaufende Prozesse mit schwer zu durchschauenden Antriebsmechanismen. Natur halt.

 

Jürg Schoop, *1934

- Früher. Auch Maler und Erwachsenenbildner;  Fotograf, Filmemacher, Collagist, Digitalworker, Autor, Kleinverleger, ursprünglich aus Romanshorn

- Heute. Übt sich täglich in der Rolle des alten Mannes, immer das neue Rollenverständnis im Auge behaltend, lebt und arbeitet in Kreuzlingen

- Gelegentliche Ausstellungen und Performances seit 1957 im In- und Ausland

- Ankäufe von Gemeinden, Kanton und Bund

- Thurgauer Kulturpreis 1998

- Distanzierte sich früh von der gebräuchlichen Erziehung und Schulkarriere, auch vom Raubtier-Kapitalismus, was das Einkommen sehr schmälerte.

- Siehe juerg-schoop.ch (js/Bild: Sascha Erni)

 


Ausstellung „Vom Rausch befreit" mit aktuellen Projekten von Jürg Schoop, 17. Spetember bis 9. Oktober, in Mayer's Altes Hallenbad, Kastaudenstr. 11, Romanshorn

Vernissage: Freitag, 16. September, ab 18 Uhr; Gerda Leipold und Jürg Schoop sprechen einführende Worte

 

 

 

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