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27.11.2024

Kulturjournalismus in Nöten: Ein Diskussionsbeitrag

Kulturjournalismus in Nöten: Ein Diskussionsbeitrag
Brennt es schon im Kulturjournalismus? Die Debatte um den Zustand des Genres nehmen jedenfalls an Intensität zu. Unser Autor Alex Bänninger hat auch Ideen, wie es besser werden könnte. | © Canva

Die Medien löschen der Kultur die Lichter. Sie wird für die Öffentlichkeit ausgeblendet. Das kulturaffine Publikum, das Orientierung sucht, tappt zunehmend im Dunkeln. (Lesedauer:  ca. 4 Minuten)

Von Alex Bänninger

Weil aus Sparzwang die Budgets der Kulturredaktionen gekürzt und die Zahl der Kulturbeiträge verringert werden müssen, sagen die Chefinnen und Chefs in den Medien. Das sei nicht der Grund, heisst es aus der Kulturszene. Tatsächlich mangle es den Verantwortlichen an der kulturellen Leidenschaft. Banausen hätten keinerlei Hemmung, zum Rotstift zu greifen 

Die Erklärungen seitens der Zeitungen, des Radios und des Fernsehens und die Schuldzuweisungen seitens der Kultur prallen aufeinander. Verbesserungen sind keine in Sicht. Weder brechen für die Medien rosigen Zeiten an, noch gibt die Kulturszene klein bei.

Eine gute Lösung und eine sehr fragwürdige

Im Thurgau halten die Zeitungen, Gratisanzeiger, Radio- und Fernsehsender die Kulturschaffenden und Kulturveranstalter an der kurzen Leine. Anders und erfreulicherweise das Online-Magazin thurgaukultur.ch mit seiner aktuellen und kuratierten Agenda und einer regelmässigen Berichterstattung. Sie zeichnet sich aus durch fachliche Kompetenz, kritische Fairness und durch Ideen, die Kultur aus immer wieder anderen Perspektiven zu beleuchten. Das ist lebendiger und lesenswerter Journalismus: der Kultur kenntnisreich zugetan und im Urteil der Unabhängigkeit verpflichtet.

Ein Kontrastprogramm läuft in Zürich. Das Tanzhaus und das Theater Gessnerallee nutzen von der öffentlichen Hand subventionierte Online-Plattformen, um für sich gegen Bezahlung die Berichterstattung zu gewährleisten. Nach dem Sprichwort, «Wes Brot ich ess, des ich Lied ich sing». Das ist Werbung. Nichts dagegen. Nur wird der Anschein erweckt, es handle sich um freien Journalismus. Eine Täuschung des Publikums. Und die an den rezensierten Stücken Beteiligten wissen nicht, ob sie gelobt werden aus eigener Leistung oder aus pekuniären Gründen: weil es die «Kritikerinnen» und «Kritiker» wegen der Honorierung mit ihren Auftraggebern keinesfalls verderben wollen. Das Modell empfiehlt sich für die Entsorgung.

 

Die NZZ beschäftigte sich gerade ausgiebig mit der Lage des Kulturjournalismus und der Frage nach Unabhängigkeit. Bild: Screenshot

 

Intensive Debatte um den Kulturjournalismus

In den vergangenen Wochen hat die Debatte um den Zustand des Kulturjournalismus in der Schweiz Fahrt aufgenommen. Wir von thurgaukultur.ch haben uns intensiv daran beteiligt. Zum Beispiel mit einem Text unseres Redaktionsleiters Michael Lünstroth zur Selbstabschaffung des Kulturjournalismus, seine Rückschau auf den Kulturjournalismus-Kongress von Saiten und einem Bericht von einer Tagung aus Bern. Die Neue Zürcher Zeitung hat die Frage der Unabhängigkeit des Kulturjournalismus neu aufgeworfen. Ulrich Gut, Präsident des Vereins «ch-intercultur» (zur Stärkung von Kulturberichterstattung und Kulturkritik, vormals Schweizer Feuilleton-Dienst), positioniert sich ebenfalls zum Thema. Auch die Thurgauer Zeitung hatte am Samstag ausführlich zur Lage des Kulturjournalismus berichtet. Der Beitrag steht allerdings hinter der Paywall.

Kampf um Aufmerksamkeit

Eine unbequeme Tatsache lautet, dass Kulturbeiträge vor allem dann gelesen, gehört und angeschaut werden, wenn sie intelligent und attraktiv daherkommen. Sonst kosten sie mehr als sie einbringen. Diese Rechnung müssen die auf dem Markt und ohne Zwangsgebühren finanzierten Medien anstellen. Denn die Einnahmen aus Verkäufen, Abonnements und Werbung sinken. Die roten  Jahresabschlüsse sind realistischer als die schwarzen. 

Das setzt gerade den privaten Medien enorm zu. Sie kämpfen erbittert um die bezahlte Aufmerksamkeit. Angebote für ein Nischenpublikum werden ausgedünnt oder gestrichen. Journalistinnen und Journalisten verlieren ihren Arbeitsplatz. Diese Entwicklung ist weit über die Kultur hinaus fatal. Es bleibt zu fragen, ob die Medien nicht am Ast sägen, auf dem sie sitzen.

Wie auch immer: Die Forderung der Kulturschaffenden und der Kulturveranstalter nach stärkerer medialer Resonanz muss die wirtschaftliche Lage berücksichtigen und mit überzeugenden Argumenten gestützt sein.

Die harte Realität

Die Kultur besitzt keinen naturgemässen Anspruch auf eine breite und gar wohlwollende Berichterstattung. So wenig wie Politikerinnen und Politiker, Sportlerinnen und Sportler, Gewerbetreibende oder sonst jemand. Es gilt die Medienfreiheit. Sie wird durch die Kunstfreiheit nicht eingeschränkt. Denn nirgendwo in der Verfassung steht, es habe irgendwer ein Recht darauf, von den Medien wahrgenommen zu werden.

Die Medien entscheiden über ihre Inhalte allein und bevorzugen das Aussergewöhnliche, nicht den alltäglichen Gang der Dinge. Eine Begebenheit muss einen Nerv treffen, überraschen, die Neugier wecken und Stoff für eine gute Geschichte liefern. 

 

Die Frage, ob der Kulturjournalismus noch zu retten ist, kann derzeit nicht abschliessend beantwortet werden. Bild: Canva

Nüchterne Lagebeurteilung

Diese Erwartung, die längst auch für alles andere als boulevardeske Medien gilt, erfüllt sich bei manchem, was ein kulturelles Ereignis sein soll, nicht. Angesprochen wird ein enger Kreis. Das grössere Publikum zeigt die kalte Schulter.

Für Ausstellungen, musikalisch Darbietungen, Theateraufführungen, Bücher und Filme, die den Faszinationspegel tief halten, kommen für eine Berichterstattung nicht in die Kränze. 

Die Angebote müssen bestechen

Wie immer es gedreht und gewendet wird: Die Aktivierung der Medien, wenn sie denn beabsichtigt ist, beginnt bei den Kulturschaffenden und den Veranstaltern mit Angeboten, die in den Bann ziehen und Diskussionen auslösen. Auf den knappsten Nenner gebracht: Glücksmomente sollten es sein.

 

Ein Modellprojekt: So ist thurgaukultur.ch organisiert

thurgaukultur.ch wird von der gemeinnützigen Aktiengesellschaft thurgau kultur ag getragen. Aktionäre sind der Kanton Thurgau und die Kulturstiftung des Kanton Thurgau. Die Redaktion ist journalistisch unabhängig. 

Zur Sicherung der journalistischen Qualität und im Sinne der Transparenz haben wir ein Redaktionsstatut verfasst.

Unser Budget für 2024 beträgt rund CHF 332‘000. Davon stammen CHF 230‘000 aus dem Lotteriefonds des Kantons Thurgau und CHF 70‘000 von der Kulturstiftung. Die Eigenfinanzierung wird mit Insertionen, Kulturpartnerschaften und freiwilligen Beiträgen erwirtschaftet.

Die thurgau kultur ag wurde 2008 gegründet. thurgaukultur.ch ist seit 2009 online. Mehr zur Geschichte von thurgaukultur.ch kann man hier und hier lesen.

Unser Stellenetat umfasst derzeit (2024) total 145%-Stellenprozente. 
Diese verteilen sich folgendermassen: 
Geschäftsleitung: 60%, Redaktionsleitung: 50%, Socialmedia-Redaktion: 20%, Agenda-Redaktion: 15%. 
Zahlreiche freie Autor:innen arbeiten auf Auftragsbasis für unser Magazin.

Keinen langweiligen Kulturjournalismus

Die andere Seite der gleichen Medaille sind die journalistisch der Kultur gewidmeten Beiträge. Die lohnenden bilden die Ausnahme. Sachlich fundiert verfasst, kritisch, Zusammenhänge erhellend, sprachlich klar und fesselnd.

Da verpassen zu viele Kulturberichte den Anschluss. Die Sachkenntnisse und die Worte fehlen. Es wimmelt von klischeehaften Superlativen wie «wunderbar», «wundervoll» und «wunderschön» bis zur Unglaubwürdigkeit. Lobhudelei statt ernsthafte Auseinandersetzung. Zu oft sind Rezensionen staubtrocken oder verschwurbelt, als wären Publikumsmedien kunstwissenschaftliche Seminare. Wer will das publizieren, wer lesen, anhören oder anschauen? 

 

Auch die Thurgauer Zeitung hat gerade ausführlich berichtet. Anlässe waren die Jubiläen von Saiten und thurgaukultur.ch. Unser Redaktionsleiter Michael Lünstroth wurde auch befragt zum Thema. Bild: tgk

Frischer Wind

Niemand in der Kulturszene ist verpflichtet, sich den Gesetzmässigkeiten der Medien zu beugen und die eigenen Werte über Bord zu werfen. Nie. Doch wer sich das mediale Echo wünscht, sollte sich erfinderisch anstrengen. 

Die Veranstaltungstitel und die Kurzhinweise sollten ein Alleinstellungsmerkmal sichtbar machen, das der Zielgruppe einen Nutzen verspricht und die Vorfreude schürt. Emotionslose Sachlichkeit verpufft.

Dringend zu überdenken sind die Formate. Sie gleichen sich wie ein Ei dem andern. Vernissagen mit Begrüssung, Rede, Häppchen folgen einem schal gewordenen Ritual. Lesungen mit Wasserglas, Stehlampe, Publikumsfragen tragen einen alten Zopf. Konzerte mit der Steifheit von Beerdigungen bleiben traurig. Premieren von Filmen und Bühnenstücken ohne eine Spur von Festlichkeit versäumen eine Chance.

Kulturschaffenden als den Kreativen müsste es ein Verlangen und ein Leichtes sein, die Konventionen zu entstauben und mit neuen Formaten wagemutig zu experimentieren. Frischer Wind ist angesagt, der auch die Redaktionen kulturell in Fahrt bringt. Der Botschaft, es bewege sich was und plätschere nicht dahin, wäre der Widerhall gewiss.

 

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