von Judith Schuck, 16.06.2025
Kunst bestaunen, aber auch selber machen

Raus aus dem Museum und auf die Strasse! Diese avantgardistische Forderung ist in Frauenfeld wahr geworden. Vom 13. bis 15. Juni 2025 fand die Eröffnungsfeier des zweiten Streetart-Festivals statt. Begeisterung und Interesse für die Kunst waren allerorts spürbar. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)
Das Zuschauen und Selbermachen sowie der direkte Kontakt zu den Künstler:innen helfen sicherlich, die Akzeptanz und Wertschätzung für Strassenkunst und Graffitis zu steigern. Beim zweiten Internationalen Streetart-Festival Frauenfeld (ISAFF) war all dies möglich. Schon am ersten Abend des Eröffnungswochenendes füllte sich die Stadt mit Besucher:innen aus nah und fern, die den heissen Bilderbuch-Sommerabend nutzen wollten, um draussen in der Strassen der Stadt Kunst zu erleben.
Eine Besucherin aus Bern kommt direkt vom Bahnhof, als ihr Blick an der grossen, hohen Wand des Gebäudes an der Bahnhofstrasse 65 hinaufwandert. Ein entzücktes Lächeln macht sich auf ihrem Gesicht breit, ihr gefällt es jetzt schon gut am ISAFF. Das Mural stammt von Missy, im Line-Up als „visionäre Künstlerin und Illustratorin aus Frankreich“ beschrieben.
Missy wirkt ganz beglückt von der Bewunderung, die ihr die Umstehenden für ihr Werk zollen. Seit Dienstag hat sie an ihrem Sujet gemalt. Vögel und Fischreiher ranken sich über die lange, schmale Wand in die Höhe – ein bisschen von der Natur abgeschaut, ein bisschen Fantasie hinzugedichtet. Unten wachsen Pilze, alles in rötlichem Violett.
Generationenübergreifende Bewunderung für die Kunst
Auch eine ältere Dame ist absolut fasziniert. Ein kleines Mädchen geht mit ihrer Mutter ganz nah ran, um sich das Gemalte genauer anzuschauen. „Für mich war das hier eine sehr schöne Erfahrung“, sagt Missy, „ich hatte viele schöne Begegnungen.“
Unten an der Murg bei der Schlossmühlestrasse erklärt Damon Lam, was hier in den vergangenen Tagen geschaffen wurde. Er ist Mitbegründer der NGO Cup of Color, die weltweit mit Menschen in schwierigen Lebenslagen Kunstprojekte verwirklicht. Gemeinsam mit Künstler:innen aus ihrem Team und Bewohner:innen der Peregrina Stiftung aus dem Durchgangsheim Frauenfeld gestalteten sie die Wände der Balustrade zur Murg hinunter. „Als Thema wählten sie eine schöne Erinnerung aus der Kindheit“, sagt Damon Lam, „einen unvergesslichen Moment.“ Den Hintergrund malte unter anderen Anna Albert, Künstlerin bei Cup of Color.
Das Team half den Projektteilnehmer:innen bei der Ausgestaltung ihrer Ideen, denn viele hatten keinerlei Erfahrung mit Kunst und Malerei. So wie Jagmit, der mit seiner Familie aus Afghanistan floh. „Ich habe es zum ersten Mal probiert, aber meine Frau malt.“ Sie und der gemeinsame Sohn nahmen ebenfalls teil an der Community Wall. Es ist etwas ganz Besonderes für ihn und seine Familie, an einem öffentlichen Werk mitten in Frauenfeld beteiligt gewesen zu sein.
Stolz, Frauenfeld verschönern zu können
„Es erfüllt die Leute mit einer Art Stolz, wenn sie hierherkommen und sehen, was sie gemacht haben“, sagt Damon Lam. Ein Stück ihres Lebens ist nun Teil von Frauenfeld. Sie machen dann auch Fotos von ihrem Bild und schicken sie zu ihren Familien und Freund:innen. Spielende Menschen sind abgebildet, aber auch Picknicks oder hoffungsvolle Wünsche von Szenen mit Begegnungen mit geliebten Menschen. „Während des Schaffensprozesses kam immer wieder eine Frau in ihrer Mittagspause in den kleinen Park“, sagt Damon Lam. „Sie beobachtete den täglichen Fortschritt des Murals und sagte schliesslich: ,Es ist so schön hier, es verändert den Ort komplett´“, so der NGO-Gründer.
Auf der anderen Seite der Murg findet gerade eine Führung zu Fuss zum Streetart-Festival statt, in welcher die Hintergründe zum Mural erklärt werden. Andere entscheiden sich, eine Tour per E-Scooter durch Frauenfeld zu machen. Auch hier herrscht bereits reger Betrieb am Verleihstand auf dem Unteren Mätteli.
Am Jugendhuus 20gi an der Rheinstrasse 20 hilft Maxim aus Konstanz der Streetart-Künstlerin Mimi bei den Vorbereitungen für die Community-Wand. Wie er zum Sprühen kam? „Mir haben die Graffittis auf der Strasse gefallen und ich wollte das dann selber machen“, so Maxim.
Jam-Panels bieten Gelegenheit zum Austausch
Phist ist Streetartist aus Lugano. Er findet es toll, dass in Frauenfeld ein solches Festival stattfindet. Phist arbeitet gerade an einem Jam Panel im Lindenpark, umgeben von vielen anderen Strassenkünstler:innen, aber auch Interessierten, die rege Fragen stellen. „Es ist eine richtig gute Stimmung hier“, sagt er und begutachtet mit ein bisschen Abstand sein Werk. Ein Krokodil, so viel ist schon auszumachen. „Nur einfach zu heiss“, sagt er und lacht. Zumindest sein Krokodil kann er auf dem Bild ins Wasser abtauchen lassen.
Sara Shogi stammt ursprünglich aus dem Iran. Heute lebt die Künstlerin in Toronto. Sie kam auf Einladung von Cup of Color nach Frauenfeld. Ihr helfen heute Abend zwei junge Männer aus Afghanistan am Jam-Panel – sie malen hochkonzentriert nach Sara Shogis Design.
An der Theaterwerkstatt Gleis 5 ist die Frauenfelder Künstlerin Carole Isler an der Ausgestaltung der Container zugange. In Absprache mit ihren Kolleg:innen von der Theaterwerkstatt, sie hat nämlich ihr Atelier hier, sollte sie ein schlichtes Sujet wählen.
Warteschlange als Silhoutte
Die beiden Container sind in dezentem Gelb grundiert, die weissen Silhouetten von Wartenden in einer Schlange nehmen Bezug auf die Kulturstätte. Sie ist dankbar für das sonnige, trockene Wetter. „Als es vor ein paar Tagen immer wieder regnete, hat es die Grundierung wieder runtergewaschen“, sagt sie, aber jetzt gehe es voran. Carole Isler wird gemeinsam mit fünf anderen lokalen Kunstschaffenden die Wände rund um die Theaterwerkstatt mit Sujets füllen.
Monika Niedermann, die den Verein Pro Streetart Frauenfeld, der hinter dem Festival steht, 2022 mit ihrem Mann Marco initiierte, ist zufrieden mit dem Eröffnungsstart. „Bis kurz vor knapp hatten wir schon noch Druck, mit allem fertig zu werden. Aber jetzt läuft es gut an“, sagt sie am Infostand beim Cinema Luna. Auch die Food-Stände auf dem Unteren Mätteli bekommen immer mehr Besucher:innen. Frauenfeld ist für einmal wieder ein Magnet für alle Streetart-Fans.

Von Judith Schuck
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