von Inka Grabowsky, 11.12.2015
Üben für den ganz grossen Auftritt

Die Männerchöre aus Kreuzlingen und Ermatingen bereiten sich auf sieben Neujahrskonzerte mit der Südwestdeutschen Philharmonie vor. Sogar die Tonhalle Zürich steht auf dem Tourneeplan.
Text und Bilder von Inka Grabowsky
Claus Gunter Biegert hat sich ganz schön etwas eingebrockt. Der Dirigent des Männerchors Harmonie in Kreuzlingen und des Männerchors Ermatingen wollte seinen Schützlingen einen besonderen Übungsanreiz geben. Und weil er eben nicht nur Chöre leitet, sondern auch Kirchenmusikdirektor in Konstanz ist, wusste er, wo er eine passende Herausforderung finden konnte. „Ich habe dem Intendanten der Südwestdeutschen Philharmonie wieder ein gemeinsames Konzert vorgeschlagen. Eigentlich wollten wir an vier Anlässen Stücke nur aus unserem Repertoire präsentieren, aber dann entwickelte sich das Projekt ständig weiter.“ Nun dürfen die beiden Chöre – noch mit Unterstützung aus dem Bach-Chor Konstanz, der ebenfalls von Biegert geleitet wird - an sieben Konzerten auftreten, und zwar mit Stücken, die alle neu einstudiert werden mussten. Die Neujahrskonzerte sollen laut Programm „einen bunten Querschnitt durch die unterhaltsame Welt der Operette“ zeigen.
Viel ehrenamtliches Engagement
Seit August wird in Ermatingen und Kreuzlingen fleissig probiert. An Motivation mangelt es den sechzig Männern im Alter zwischen 20 und 85 Jahren nicht. „Es sind grossartige Erlebnisse, wenn man gemeinsam mit einem ganzen Orchester singt“, sagt der Chorpräsident aus Ermatingen, Peter Dransfeld. Der Kreuzlinger Präsident Thomas Leu ergänzt: „Das Zusammenwirken ist es geradezu berauschend.“ Vor dem Genuss jedoch kommt die Arbeit. Zwar gebe es im Chor durchaus Sänger, die als Halbprofi durchgehen würden und alles einfach so vom Blatt singen könnten, meint Peter Dransfeld, aber prinzipiell seien alle Laien. Beide Chöre stehen sangesfreudigen Männern auch ohne Notenkenntnisse oder Vorerfahrungen offen. „Jeder kann mitmachen“, so Leu. „Im Chor wird so mancher Rohdiamant geschliffen.“ Gerade durch das aktuelle Projekt sind einige neue Mitglieder zu den Gruppen dazu gestossen. Die zwanzig Proben seien keine grosse Mehrbelastung gewesen – sie würde ja ohnehin jede Woche gemeinsam musizieren, stimmen die beiden Präsidenten überein. „Problematischer sind die Auftritte“, sagt Peter Dransfeld. „Gerade um Neujahr locken die Berge“. Aber die Sänger seien eine sehr disziplinierte Truppe, lobt Thomas Leu. „Uns ist bewusst, dass nur wenige Laien die Chance haben, mit einem solchen Orchester auf so grossen Bühnen aufzutreten. Also haben wir unsere Ferien danach ausgerichtet.“
Skryleva, Dransfeld und Biegert
Unter prominenter Chefin
Extra für den Anlass hat die Südwestdeutsche Philharmonie die renommierte Dirigentin Anna Skryleva aus Darmstadt engagiert, die Orchester und Chor zusammenführen kann. Sie kenne die Arbeit mit Laienchören aus dem Opernhaus, sagt sie. „Dort gibt es oft einen Extrachor, der aus Amateuren besteht. Üblicherweise sind die Freizeit-Musiker im deutschsprachigen Raum aber hervorragend ausgebildet. Und sie sind hochmotiviert und singen aus Überzeugung.“ Das allerdings heisst nicht, dass gleich alles auf Anhieb funktioniert. „Jeder Dirigent schafft auf seine Art mit einem Stück“, erklärt Claus Gunter Biegert. Insbesondere über die Geschwindigkeit, mit der die Lieder gesungen werden sollen, gibt es unterschiedliche Vorstellungen.
Detailarbeit von Claus Gunter Biegert und Anna Skryleva.
Heute bei der ersten Probe mit der berühmten Gast-Dirigentin geht es darum, sich gegenseitig kennenzulernen. Anna Skrileva hat damit keine Probleme: „Guten Abend, Jungs“, begrüsst sie die Herren. „Herr Biegert hat uns gut trainiert“, sagt Peter Dransfeld. „Ich hoffe, dass wir wenigstens ungefähr Ihren Erwartungen entsprechen.“ Offensichtlich sieht die Künstlerin aber noch ein paar Baustellen. Alle paar Takte unterbricht sie den „Jägerchor“ aus dem Freischütz. Mal stimmen die Akzente nicht, dann die Artikulation, dann fordert sie mehr Temperament. „Sie müssen noch virtuoser werden“ fordert sie. „Ich weiss aus meiner Erfahrung, dass sich beim Jägerchor die Hörner präsentieren müssen“, erklärt sie. „Und deshalb müssen Sie Ihr Tempo den Hörnern anpassen und nicht umgekehrt. Es darf nie bequem für Sie sein! Ich spiele es mal kurz vor“. Sagt’s und schiebt Claus Gunter Biegert vom Klavierhocker. Er nimmt es gelassen und stellt sich vor seine Sänger: „Ich bin schuld“, bekennt er. „Ich habe ihnen gesagt, dass sie es so singen sollen“. „Und dann kommt die Dirigentin und macht alles anders“, beendet Anna Skryleva den Satz lachend.
Temperamentvolle Anleitung
Nach einer Stunde gibt es eine kurze Verschnaufpause: „Wir wussten ja, dass es eine Herausforderung sein würde“, meint Thomas Leu. „Und wir nehmen sie gerne an.“
An den Neujahrskonzerten zwischen dem 1. und 9. Januar kann man sich davon überzeugen, wie virtuos die sechzig Sänger ihre Herausforderung meistern.

Von Inka Grabowsky
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