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von Jeremias Heppeler, 01.04.2021

Und irgendwo flackert ein Licht

Und irgendwo flackert ein Licht
Das Prinzip Hoffnung oder: Immer wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Frei nach Rainer Maria Rilke. | © Canva

Seit fast zwei Jahren leben wir in dieser quälend langen Pandemie. Und hoffen darauf, dass irgendwann alles wieder gut wird. Über ein Gefühl, das wir jetzt alle so dringend brauchen. (Lesedauer: ca. 7 Minuten)

Eigentlich sollte es uns leicht fallen, über Hoffnung zu sprechen. Gerade in diesen Zeiten. Eigentlich sollte Hoffnung Hochkonjunktur haben. Uns am Laufen halten. Uns antreiben. Die Hoffnung auf bessere Zeiten. Auf freiere Zeiten. Die Hoffnung, auf eine friedliche, eine offene Welt, ganz klar. Die Hoffnung auf eine hellstrahlende Zukunft.

Und eigentlich habe ich mich auf diesen Text gefreut, weil er sich quer stellt, zu so vielen Überlegungen, die ich selbst auf genau dieser Plattform getätigt und geteilt habe. Wir haben über Krisen geschrieben. Über vergiftete Felder. Über die gegenwärtige Unmöglichkeit von Diskurs und Diskussion.

Wir haben uns gesuhlt, in dem Dreck, der sich vor uns ausgebreitet hatte. Dieser Text hier, der sollte anders sein. Der sollte den Schlamm trocken legen. Eigentlich.

Warum richten wir unseren Blick so selten ins Licht?

Aber jetzt habe ich gemerkt, wie kompliziert sich das gestaltet. Über Hoffnung zu schreiben. Obwohl sie, die Hoffnung, viel zu kurz gekommen ist. Doch irgendwas wehrt sich in mir, reisst aus. Aber warum fällt uns das so schwer? Warum wühlen wir so gerne im Schmutz? Und in uns selbst? Warum richten wir unseren Blick so selten ins Licht? In die Sonne?

Über ein Jahr Pandemie steckt uns in den Knochen. Uns allen. Für viele von uns steht die Hoffnung vor allem für eine Rückkehr zum Normalzustand. Es soll wieder so sein, wie es früher war. Damals, Anfang 2020. Darauf hoffen wir. Und das ist ein Privileg.

Wann bricht das Licht endlich durch das Dunkel? Eine Frage, die gerade viele Menschen beschäftigt. Bild: Canva

Hoffnung ist auch eine Frage der Perspektive

Zunächst bleibt festzuhalten, dass auch ich diesen Text aus einer hyperpriviligerten Position schreibe. Das ist wichtig. Entscheidend. Für mich. Für euch. Wenn ich über Hoffnung schreibe, dann aus meiner Perspektive. Künstler. Journalist. Lehrer. Männlich. Weiss. Mittelschicht. Selbstverwirklicht.

Meine Hoffnung ist es, dass ich wieder auftreten kann. Live. Vor Publikum. Dass ich Menschen treffen darf und mich mit ihnen austauschen kann. Ohne Angst.

Parallel dazu gibt es aber Menschen, die bereits vor der Krise in menschenunwürdigen Flüchtlingslagern wie Moria lebten. Und immer noch leben. Und leben werden.

Video: «Das neue Moria ist schlimmer als das alte» (arte)

Wenn Hoffnung utopisch bleibt, was sagt das über unsere Zeit?

Andere sind Tag für Tag Unterdrückungsmechanismen ausgesetzt, weil sie anders aussehen, anders denken, anders lieben. Ihr Begriff von Hoffnung ist ein anderer.  Der bezieht sich nicht, auf eine Rückkehr, sondern auf eine Veränderung. Genau die ist aber verstellt, von unzähligen Ablagerungen, die es da angeschwemmt hat über die Jahrhunderte.

Dieser Hoffnungsbegriff ist - und das ist eine Katastrophe - stand heute utopisch. Das dürfen wir nicht vergessen und uns dabei an die eigene Nase fassen. Hoffnung ist ein verdammt dehnbarer Begriff.

Und jetzt stellen wir fest, dass dieser Text über Hoffnung, sich vor allem über die Abwesenheit von Hoffnung auszeichnet. „Das ist ja wieder typisch!”, werden Sie jetzt denken. Und Sie haben recht. Typisch. Für den Journalismus. Für die Kunst. Und das liegt nicht ausschliesslich an den äusseren Bedingungen, denn diese lassen ja Hoffnung immer zu. Selbst in ausweglosen Situationen. Genau das ist der Hoffnung immanent.

In der Religion ist es die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod

Das Problem steckt tiefer und spiegelt sich auf uns zurück: In der Kunst setzen wir Hoffnung nicht selten mit Kitsch gleich. Mit Naivität. Und vielleicht auch mit Glaube, weil sie sich dort als ganz entscheidender Antreiber materialisiert. Im Kern bezieht sich Religion meist auf die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Ganz runtergebrochen: Wer die Regeln der Religion im Diesseits befolgt, der wird im Jenseits belohnt werden.

Einzig Beweise gibt es keine, aber, Sie ahnen es: Hoffnung. Ausserdem gilt Hoffnung im Christentum als theologische Tugend und tritt dort an der Seite von (Nächsten)-Liebe und Glaube als Teil eines zentralen Triptychon in Erscheinung.

Video: Wie finden wir Hoffnung in der Krise? (SRF Kultur)

Hoffnung ist Kitsch, Kitsch ist der grösste Albtraum der Kunst

Entsprechend eindeutig einzuordnen sind auch die visuellen Konzepte, in denen sich Hoffnung für uns darstellt: Sie offenbart sich meist als Licht am Ende des Tunnels. Als klarer Kontrast. Am Horizont. Eine farbige Belohnung, wenn man so will.

Diese Art der abstrakten Spiritualität, die nichts greifbares vorzuweisen hat, macht vielen KünstlerInnen Angst. Der Respekt davor als Kitsch deklariert zu werden, inhaltlich wie formal, ist riesengross. Kitsch ist der grösste Albtraum der Kunst.

Also schlagen wir Haken, ducken uns weg, rennen in die entgegengesetzte Richtung. Bloss keine Hoffnung! Denn Hoffnung ist harmlos. Hoffnung bedeutet Dekoration.

Warum KünstlerInnen sich so wenig mit Hoffnung beschäftigen

Passend dazu wird Gerhard Richter das Zitat zugeschrieben: „Kunst ist die höchste Form der Hoffnung.” Uff. Machen wir es kurz: Hoffnung als ästhetisches Prinzip birgt für viele (vor allem junge) Künstlerinnen und Künstler wenig bis gar keine Reibungsfläche -  und damit wenig bis gar keinen Reiz. Aber ist das wirklich so?

2010 hat das SZ-Magazin vier KünstlerInnen gefragt, ob sie nicht jeweils ein Bild zum Thema Hoffnung, dem damaligen Motto des Kirchentages, malen könnten.

Nett: Aquarell-Blumen und Rabenvögel

Thomas Schütte pinselte gelbe Aquarell-Blumen - ernüchternd. Kiki Smith liess drei Rabenvögel in eine Glühbirne fliegen - versehen mit dem Leitspruch „hope through action” -  okay, das merken wir uns.  Josephine Meckseper collagierte einen Düsenjet, ein Bild von Marylin Monroe und ein Hochaus - eieiei. Und Daniel Richter zeichnete einen Gitarre spielenden Taliban - immerhin.

Und wir, ein Jahrzehnt später, blicken beinahe mitleidig auf diese aus heutiger Sicht erschreckend nichtssagenden Visionen und fragen uns: Wie würde das heute aussehen? Idee: Vielleicht sollten wir selbst einen solchen Aufruf starten?

Das ikonische Gemälde für Hoffnung

Einen nach Ölfarbe riechenden Elefanten müssen wir noch aus dem Raum schaffen. Das 1886 von George Frederic Watts in zwei Versionen gemalte Gemälde „Hope”, hat eine derartige Menge an mythischen Schatten-Schichten aufgetragen, dass es sich als ikonisches Schwergewicht kaum aus den diesen Text umschwirrenden Diskursen wegdenken lässt. 

Wir sehen eine Frauenfigur, die Augen verbunden, Leier spielend (Daniel Richter, we see you!) auf einem im Wasser treibenden Globus sitzend. Viel mehr ist es nicht. Viel mehr braucht es nicht. 

Sieht so die Hoffnung aus? George Frederic Watts Arbeit «Hope». Bild: George Frederic Watts and workshop, Public domain, via Wikimedia Commons

Ein Werk über Hoffnung, dass nicht hoffnungsvoll wirkt

Watts, das wird schnell klar, kippte literweise Symbolik in sein Ausnahmewerk, die den Titel eigentlich negierte. Hoffnungsvoll wirkt sie jedenfalls nicht, diese höchstgradig einsame Figur. „Ich hoffe, sie sitzt auf einem Globus, mit verbundenen Augen spielt sie auf einer Leier, bei der alle Saiten gebrochen sind, aber eine, aus der sie versucht, die Musik zu bekommen, und hört mit aller Kraft auf den kleinen Klang - gefällt dir die Idee?”, schrieb Watts an seine Freundin Madeline Wyndham im Jahr 1885.

Über Europa hatte sich damals die Industrie gelegt und mit ihr die Depression - und die duldet keine Götter neben sich. Watts jedenfalls versuchte sich mit „Hope” als Verwirrer, das Gemälde ist eine Metapher, die nicht aufgeht, die zerfällt, sobald man die Interpretationswerkzeuge ansetzt.

Von Watts zu Martin Luther King zu Barack Obama

Und so nimmt es nicht Wunder, dass es ausgerechnet dieses Werk war, das Watts überdauerte. Martin Luther King verankerte Predigten in den Schaltkreisen des Gemäldes und eröffnete eine Blutlinie, die sich bis zu Barack Obama verfolgen lässt.

Malcolm Warner, der Kurator des Yale Centre for British Art, interpretierte 1996 zielgerichtet: „Der leise Klang der einzelnen Saite der Leier ist alles, was von der vollen Musik des religiösen Glaubens übrig bleibt. Diejenigen, die noch zuhören, haben die Augen verbunden. Das Gefühl, dass sie, selbst wenn echte Gründe für die Hoffnung existieren, sie nicht sehen können; die Hoffnung bleibt eine Tugend, aber im Zeitalter des wissenschaftlichen Materialismus eine schwache und zweideutige.” Müssen wir den Hoffnungsbegriff brechen und verwischen, um ihn effektiv zu diskutieren?

«Die Hoffnung ist der Regenbogen über den herabstürzenden jähen Bach des Lebens.» (Friedrich Nietzsche). Bild: Canva

Was  Goethe und Nietzsche dazu zu sagen hätten

Während der Recherche stolpere ich über zwei Zitate aus der Literatur, die die eingangs getätigten Kitsch-Überlegungen zum Glück konsequent in Frage stellen. Zitat Nummer Eins:  „Hoffnung giesst in Sturmnacht Morgenröte!”, Johann Wolfgang von Goethe. „Die Hoffnung ist der Regenbogen über den herabstürzenden jähen Bach des Lebens, hundertmal vom Gischt verschlungen und sich immer von neuem zusammensetzend, und mit zarter schöner Kühnheit ihn überspringend, dort wo er am wildesten und gefährlichsten braust.”, Friedrich Nietzsche (jenem Nietzsche also, der Typen wie Watts die Hoffnung ausgetrieben hatte).

Und ja, das wirkt jetzt schon ein wenig altbacken, ausgerechnet zwei so hochbetagte Hochkultur-Schinken hervorzuheben und euch diesen Bedeutungsstaub ins Gesicht zu blasen, aber die aufgemachten Bilder zeichnen einen so aufdringlichen und punktgenauen Kontrast in unsere bisherigen Überlegungen, dass wir sie wohl oder übel als germanistische Grundlage verankern.

Das Moment der Gefahr in der Hoffnung

Sofort fällt auf: Auch hier wird unsere zuvor aufgestellte These „Hoffnung = Licht” punktgenau aufgeschäumt. Das Licht entfaltet sich als Wetter- und Naturphänomen, als visuelle Ausnahmesituation, die dadurch beinahe automatisch auch religiös deutbar wird.

Was neu ist, ist der Moment der Gefahr! Wo wir sonst vor allem die Dunkelheit als Metaphern-Referenz bemühen, die es zu durchstossen gilt, erscheint bei Goethe der Sturm und bei Nietzsche der Sturzbach. Und das ist ein erheblicher, ein entscheidender Unterschied.

Warum man Hoffnung nicht einfach so anknipsen kann

Denn für das Licht ist es ein leichtes, die Schwärze zu durchstossen. Genau genommen ist dies sogar seine zentrale Eigenheit. Deshalb macht es uns die Hoffnung (zumindest für all jene, die sie als valides Mittel verstehen), ja oft auch so leicht: Man drückt halt den Lichtschalter!

Für alle anderen aber, die ebendiesen Schalter im Kopf nicht finden, bleibt die Hoffnung ein Geist. Ganz anders funktionieren die Bilder von Nietzsche und Goethe: Hier muss du dir die Hoffnung erarbeiten. „hope through action”, also doch. Durch den Sturzbach. Durch den Monsun.

Die Popkultur ist voller Hoffnungs-Referenzen

Und Zack, sind wir im Pop. Und wenn du dann das Googlen anfängst, dann befindest du dich ruckzuck in so einem Nietzsche-Sturzbach - kaum ein Popstar, der nicht regelmässig das Prinzip Hoffnung bemüht und reproduziert und in warme Phrasen wickelt. Und doch sticht ein Song geradlinig und quantitativ heraus.

«So outside of my misery, I think I'll find

A way of envisioning a better life

For the rest of us, the rest of us

There's hope for the rest of us, the rest of us»

singt XXXTENTACION in seinem Song „Hope” (544 164 225 Streams auf Spotify am 19. März:). Der 2018 erschossene Rapper reifte posthum zum hell strahlenden Generationssprachrohr, auch wenn die von ihm gezeichneten Welten meist von Dämonen, Drogen und Depression beherrscht wurden.

Und doch ist es dieser Song, der bleibt und seine über weite Teile sehr jungen Fans nachhaltig bewegt und berührt (davon zeugen Millionen Kommentare unter den Videos).

Am Ende der Hoffnung: Charles Bukowski. Ausgerechnet.

Direkt da ist mir dann auch noch so ein Stück Hoffnung eingefallen, dass mich selbst als Heranwachsender begleitet hat.

Es ist ein Gedicht von Charles Bukowski, einem Autoren also, in dessen Kosmos Hoffnung, eine sagen wir, eher untergeordnete Rolle spielte. Eher: Der amerikanische Traum als Flickenteppich voll mit von Kippen eingebrannten Löchern.

Aber genau dieser Charles Bukowski hat ein Gedicht geschrieben, das mich bis heute nicht los lässt, weil es eben die Hoffnung aus all den dunklen Schichten schälte -  die Parellelen zu XXXTENTACION zeichnen sich wie von selbst. Und da wird klar: Es kommt nicht so sehr darauf an, was jemand sagt, sondern vor allem auch wer.  “The Laughing Heart”, besonders eindrucksvoll in einer von Tom Waits gelesenen Version:

„There Is light somewhere. It may not be much light. But it beats the darkness.”  

Wir müssen hoffen. Immer. Und weiter.

So und jetzt? Was bleibt bei all den offenen Enden?

Egal, wie man es dreht und wendet: Wir müssen hoffen. Immer. Und weiter. Und immer weiter.

Irgendwo flackert das Licht.

Aber: Hoffnung darf kein Prinzip sein.

Sondern ein Antrieb.

 

Du willst mehr zu dem Thema, dann lies hier weiter: Wie gehen KünstlerInnen mit dem Thema Hoffnung um? Die Künstlerin Kerstin Kubalek verrät ihren Ansatz in einem Interview.

 

 

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