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Von naiv über unverfroren zu differenziert

Von naiv über unverfroren zu differenziert
Markus Landert, Museumsdirektor in der Kartause Ittingen, mit der Bärin des Künstlers Alpo Koivumäki, ein Aussenseiter aus Finnland. | © Kathrin Zellweger

Er ist 55 Jahre alt, seit 20 Jahren Direktor des Kunstmuseums Kartause Ittingen und seit acht Jahren auch Direktor des Ittinger Museums. Ein Marschhalt mit Markus Landert.

Kathrin Zellweger

Er bezeichnet sich wahlweise als Funktionär oder als Kulturaktivist. Keiner weiss besser als Markus Landert selbst, dass das Eine das Andere ausschliesst. „Na gut, ersteres darf als Koketterie angesehen werden.“ Zweiteres hingegen passt zu ihm. Hätte er bloss ausführen dürfen, was andere von ihm erwarteten, er wäre schon lange weitergezogen. Hätte man ihm nicht erlaubt, aus dem Kunstmuseum einen Ort zu machen, dessen Ausstrahlung und Sog auch jenseits der Ostschweiz wahrgenommen werden, dann hätte man ihm Fesseln angelegt – und der Kanton hätte sich ins eigene Fleisch geschnitten. „Ich denke, ich war und bin fürs Kunstmuseum eine gute Besetzung. Es ist ‚mein‘ Museum; wenngleich ich das Gesicht dieses Hauses keineswegs allein bestimme.“

Der Ambitiöse

Er war jung, erst 35 Jahren, als er als Direktor des Kunstmuseums in die Kartause Ittingen kam. Das Profil des Hauses war – zehn Jahre nach seiner Eröffnung – noch nicht gefestigt. Es war wohl so, dass ein Kanton, der etwas auf sich hält, hat ein eigenes Kunstmuseum hat – eine Institution also, die es für ein erfolgreiches Standortmarketing braucht. Diese Haltung war ihm zu behaglich, zu wenig ambitiös; er wollte ein Museum, das man nicht nur im eigenen Biotop wahrnimmt, sondern dessen Name für einen weiten und wagemutigen Kunstbegriff steht. „Ich hatte und habe hier unglaublich viele Freiheiten. Ich bin verwöhnt.“

In 20 Jahren wurden es 75 Ausstellungen: solche, die den Fokus auf hier ansässige Kunstschaffende richteten, und solche, um die ihn Kunstorte im In- und Ausland beneideten. Dass Adolf Dietrich heute nicht nur im Thurgau und nicht nur in der Schweiz wieder den ihm zustehenden Platz in der Kunstszene (zurückbekommen) hat, schreibt Landert zu einem guten Teil sich, seinen Bemühungen und Beziehungen zu. „Hier war ich ein Kulturaktivist.“ In Landerts Büro hängt das Schild von H. R. Fricker „Ort der List“. Es hat offensichtlich seine Wirkung getan.

Die Geniestreiche

 Gefragt nach seinem Geniestreich muss er nicht lange überlegen: Die beiden Ankäufe „Eine verstummte Bibliothek“ des amerikanischen Konzeptkünstlers Joseph Kosuth und der „Ittinger Walk“ der kanadischen Installationskünstlerin Janet Cardiff. „Ich war am Anfang unglaublich naiv und manchmal auch ziemlich unverfroren. Das war oft sogar gut und richtig. Ich habe wohl jeden Fehler gemacht, aber jedesmal auch etwas gelernt.“ Nicht wie man etwas mache, sei entscheidend, sondern dass man es mache. Lieber als sich vorsorglich selbst zu beschränken, hielt er sich ans Diktum von Paul Feyerabend: Anything goes. „Diese Kühnheit fehlt mir heute. Vielleicht bin ich etwas weiser, vieleicht müder geworden. Auf jeden Fall sind die Bedingungen schwieriger geworden – auch weil ich schon vieles gemacht habe“, sagt der Pragmatiker, der genau auslotet, was an diesem Ort möglich ist, wo die finanziellen und personellen Grenzen liegen. „Ich bin ein neugieriger, engagierter Mensch und dennoch ein Zweifler. Aber ein Zauderer bin ich nicht.“

Der Sparringpartner

Mit Entscheiden geht er lange schwanger, bevor er sie öffentlich und verbindlich macht. Dann aber will er gehört werden. Als er 1993 als Direktor antrat, versprach er, bei allen thurgauischen Kunstschaffenden einen Atelierbesuch zu machen, weil Künstlerinnen und Künstler einen Partner – einen Sparringpartner – brauchen. In einer Zeit, in der Traditionen zerbröseln und Menschen durch ein unübersehbares Angebot an Alternativen irren, ist Kultur eine Orientierungshilfe, weil sie vom Rezipienten eine Antwort fordert. „Gute Kunst ist mehr als Unterhaltung, sie ist Reibung, Auseinandersetzung. Das führt notgedrungen zu Diskussionen und auch Streit.“

Künstler sind für ihn ganz gewöhnliche Menschen, die mal mehr mal weniger engagiert arbeiten und ihren persönlichen Ausdruck suchen. An guten Gesprächen mit ihnen liegt ihm viel, ohne dass er sich vereinnahmen liesse. Was er im Kunstmuseum ausstellt, muss ihn voll und ganz überzeugen; Konzessionen macht er nicht. Das wird ihm manchmal als Arroganz angekreidet. „Mein Urteil beruht auf Wissen, was richtig ist, gepaart mit Offenheit gegenüber anderen Meinungen. Kritik muss man nutzen, mögen muss man sie nicht.“

Könnte es sein, dass sich hinter dieser nachgesagten Arroganz allenfalls eine reflexartige Abwehr gegen zu viel Nähe verbirgt? An Vernissagen jedenfalls erscheint Landert in der Regel dann, wenn das Buffet geplündert ist und sich die ersten Gäste bereits verabschiedet haben. Ein Causeur, der sich lustvoll unters Publikum mischt, ist er nicht. Lieber wartet er, bis man sich an ihn wendet. Das hingegen geniesst er. „Meine Distanziertheit hat damit zu tun, dass ich verlässlich sein will. Wer verlässlich ist, gerät weniger in Teufels Küche.“

Der Stachel im Fleisch

Seit acht Jahren ist Landert auch noch Direktor des Ittinger Museums, ohne dass er deswegen mehr Mitarbeitende bekommen hätte. Zwei Institutionen, die miteinander mehr erreichen können als jede für sich allein. Diese neue Aufgabe reizt ihn, weil die beiden Häuser ihm erlauben, dasselbe Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln anzugehen, zum Beispiel das Motiv der Dekadenz oder der Askese.

Derzeit beschäftigt den 55-Jährigen vor allem der abgewiesen-aufgeschobene Ergänzungsbau, dessen Pläne zwar noch an der Pinnwand im Landertschen Büro hängen, jedoch unter den darüber gehefteten Notizzetteln und Programmen kaum mehr zu sehen ist. Aus den Augen aus dem Sinn. „Das Kunstmuseum hat einen Teil seiner Anziehungskraft verloren, nicht zuletzt weil sich die Bedürfnisse des Publikums verändert haben. Ich kann diese Entwicklung erklären, aber mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln kann ich sie nicht verändern.“ Reichen denn neue Räume und mehr Radikalität in der Ausrichtung, um eine Wende herbeizuführen, wie sie Martin Hellers Studie zum Kunstmuseum empfiehlt? „Nichts tun ist jedenfalls keine Alternative. Ein Neubau hingegen schafft Möglichkeiten“, sagt er barsch. Der Stachel sitzt im Fleisch.

Je länger er an diesem Ort ist, umso differenzierter will er handeln. „Die Situation hier ist toll. Es gab immer wieder neue Herausforderungen, die jetzige ist der Erweiterungsbau.“ Und wenn dieses Ziel erreicht ist? Lange Pause. „Ich habe meine Stellen nie mit Blick auf eine Karriere ausgesucht. Die Aufgabe als Leiter der Museen in Ittingen ist attraktiv und eröffnet immer wieder neue Aktionsfelder. Aber wie bereits gesagt: Ich bin ein neugieriger Mensch.“

 

Kultur im off. Thurgau

1940 tätigte der Regierungsrat die ersten Ankäufe von Kunstwerken, die identitätsstiftend zu sein hatten und damit politisch motiviert waren. 1963 gab es das erste schriftlich festgehaltene Kulturkonzept, eine Kulturkommission wurde geschaffen. 1994 trat das Gesetz über Kulturförderung und Kulturpflege in Kraft; anstelle der Kulturkommission wurde das Kulturamt eingerichtet. Diese strukturelle Veränderung hatte gemäss Landert auch eine inhaltliche zur Folge: Der kulturelle Auftrag wurde entpolitisiert, was für Ankäufe mehr Freiheit bedeutete, womit Kultur jedoch im gesamtgesellschaftlichen Bewusstsein in den Hintergrund trat. – 1977 wurde die Anlage der Kartause Ittingen von der Stiftung gleichen Namens gekauft. 1983 wurden hier das Ittinger und das Kunstmuseum, das Seminarzentrum mit Hotel, das Heim für betreutes Wohnen und Arbeiten sowie die evang. Bildungsstätte und der Gutsbetrieb eröffnet. 


Markus Landert (1958)

Er wuchs im zürcherischen Weisslingen auf. Nach dem Abschluss als Kunsthistoriker an der Uni Zürich arbeitete er zunächst als freier Journalist, organisierte Kunstreisen, war am Kunsthaus, Zürich, im Museum für Gegenwartskunst, Basel, in alternativen Kunsträumen und als Führer in der Halle für Neue Kunst, Schaffhausen, tätig. Nach fünf Jahren als wissenschaftlicher Assistent am Kunstmuseum Bern wurde er 1993 (der zweite) Direktor des Kunstmuseums Thurgau und übernahm 2005 auch die Direktion des Ittinger Museums. – Markus Landert lebt mit seiner Familie in Frauenfeld.

 

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