von János Stefan Buchwardt, 22.10.2021
Waldi der Bretterne
Ein Dackel als Kunstform: Der Thurgauer Daniel Schmid hat es mit Handfertigkeit und Humor auf die internationale Skulpturenausstellung in Bad Ragaz geschafft. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)
Man muss ihn einfach ins Herz schliessen: den Dackel Waldi, der sich an der aktuellen Bad RagARTz zur Freude vieler und zum Hohn weniger präsentiert. Was aber ist an diesem Vierbeiner mehr dran als nur die Umsetzung eines laut bellenden Haustieres respektive geschätzten deutschen Jagdhundes in Grossformat? Und inwieweit ist es legitim, seinen Schöpfer unter die angesehenen Künstler einzureihen?
Spontan kam der Thurgauer Daniel Schmid auf die Idee, sich mit seiner Kreation bei der alle drei Jahre stattfindenden, prominenten Skulpturenschau zu bewerben. Indes, ein ausgemachter Künstler sei er keineswegs und eingeschlichen habe sich sein Tier ins touristische Zentrum des Sarganserlandes schon gar nicht. Im Gegenteil: Nullkommanichts nominierte die Jury den übergrossen Dackel für die diesjährige internationale Präsentation.
«Inzwischen», sagt Schmid, «sehe ich es als Kunst an, etwas Derartiges aus Holz zu machen.» Hinzu kommt: Mittlerweile ist der grosse Bruder des Ragazer Wadenbeissers ein herausragendes Exponat im Dackelmuseum im deutschen Passau. Dort ist man mächtig stolz darauf, das weltweit grösste Holzexemplar der Rasse zu führen. Made in Switzerland. Besser noch: es fünf vor zwölf vor dem vorgesehenen Flammentod gerettet zu haben.
Urelement Feuer
Was Schmid innerhalb der letzten Jahre an Holzskulpturen erschuf, verloderte spektakulär. Spontan denkt man an den populären Schweizer Plastiker Bernhard Luginbühl, der seine Werke ähnlich lustvoll zu Asche werden liess. Doch mit dem Akt dieses «Verbrennungskünstlers» hat die Ostschweizer Bestrebung – vom verwandten Pyromanen wusste Schmid bis anhin nicht einmal – wenig gemein. «Wie auch immer», sagt der in der Gemeinde Amlikon-Bisegg auf die Welt gekommene Machertyp, «das Urelement Feuer kann sowieso niemand für sich allein pachten.»
Anbandeln mit der Kunst
Auch wenn Waldi den vermeintlich minderen Status eines Duplikats führt, er ist eine Spur sorgfältiger als sein Vorgänger gearbeitet. Jede Latte sitzt, jede Fuge stimmt. Bis auf die Schrauben alles aus Holz, versteht sich. Er konnte schlichtweg vom Erfahrungswissen beim Bau des ersten Brettertieres profitieren, ist aber ehrerbietig eine Nummer kleiner ausgefallen, um dem Teckel, wie der Jäger zum Dackel sagt, aus Passau nicht den Rang abzulaufen.
Ausgangspunkt für die Konstruktion war eine entsprechende Origami-Anleitung. «Nicht gefaltet und geleimt», erläutert Schmid, «sondern mittels CAD, also rechnerunterstützt bearbeitet, eins zu eins ausgedruckt, nach Plan gesägt, passgenau gebaut, immer von innen her geschraubt. Eine solide Ingenieursarbeit war das, Statiker inbegriffen.»
Wie es dazu kam
Hauptberuflich baut Schmid Strassen, Kanalisationen und Wasserleitungen. In der Freizeit sucht er den Ausgleich und pflegt Verbindungsstiftendes. «Mein Business», hält er fest, «gibt mir wenig Erfüllendes zurück.» Nach der Arbeit geht er in seine Männerwerkstatt, die er mit Kollegen teilt, und dann mit besserem Gefühl heim.
Geselligkeit und originelle Unternehmungen, die Wellen schlagen, hat der selbständige Bauleiter zu seinem Lebenshobby erhoben. Die Dackel sind Folgeprodukte einer lokalen, schlagzeilenträchtigen Freizeitaktivität. Ende 2016 hat Schmid einen Bund unter Gleichgesinnten initiiert, der den Umwegsamkeiten des Lebens ungewöhnlich begegnet: mit einem rauschenden Fest statt mit Trübsal. Und das nirgendwo sonst als an seinem Geburtsort Strohwilen.
Burning Ass-Events
Aus Daseinsfreude heraus wurde bei Schneefall auf der Schwägalp der sogenannte Arschkarten-Club (AC) ins Leben gerufen. Mit dem einzigen Ziel, jeweils zur Sommerszeit die sprichwörtliche Arschkarte, analog zum Schwarzen Peter oder der Gelben/Roten Karte, abzugeben. In einem erfrischenden Reinigungsritual wird dabei eine eigens gezimmerte Monumentalskulptur publikumswirksam verbrannt.
Unter dem Titel «Burning Ass-Festival» stünde das Spektakel längst schon zum vierten Mal an. «Die Coronasituation hat uns vorläufig noch die Arschkarte zugeschoben», gibt Schmid mit einem Schmunzeln zu verstehen. Im nächsten Jahr würden sie die Sache fortsetzen. Mit feinem Essen und Live-Musik, die gefällt; mit einem Rahmenprogramm für Clubmitglieder und spezielle Gäste. «Dann verbringen wir wieder einen tollen Abend und verbrennen unseren ‹Burnie›», ergänzt er freudestrahlend.
Gerettet, verschenkt und neu gefertigt
Und eben: Der dritten «Build to Burn»-Figur wurde ein Vierbeiner hinzugesellt, dessen Aufgabe es war, die Arschkarte zu apportieren. Doch seinen Schöpfer überkamen Zweifel. Als sogar die am Fest anwesenden Inhaber des deutschen Dackelmuseums darum winselten, das herzige Weltrekord-Tier möge vom Feuer verschont bleiben und besser ihre facettenreiche Dackelsammlung zieren, hatten alle ein Nachsehen. Anekdotenreif ward das 800 Kilo schwere Tier gerettet, verschenkt und bald einmal ein zweites für Ragaz gefertigt.
Exzentriker mit Herz
Wer wollte bestreiten, dass Waldi Kulturgut-Potenzial besitzt? Über die Teilnahme an grossen Schauen wird das zumindest nahegelegt. Zugegeben, die Passauer widmen sich in ihrem Museum allem anderen als ausgesprochen hehren Artefakten. Auch Bad Ragaz schielt immer wieder nach dem Publikumsgeschmack, nicht selten findet man dort ein Sammelsurium vor. Und für Dani Schmid ist es, ehrlichen Herzens, das Grösste, wenn er Menschen zum Strahlen bringt, ob nun Bünzli oder Bahnbrecher.
Und doch: Was er mit Helfern in vielen Arbeitsstunden in einer Garage in Amlikon-Bissegg zurechtsägt und zusammenschraubt, ist mit mehr als nur maskottchenhaftem Charme befrachtet. Ist Schmid, ganz ungewollt, ein wahrer Künstler des Gemüts, der beim heutigen offenen Kunstbegriff schon die passende Nische findet?
Seine Idee ist bereits dabei, sich Bestand zu erfechten. Als Feueropfer-Ritual ist sie uralt. Hier lässt sie sich weiterdenken, als Gegenpol zu überzeichneten Begriffen der Avantgarde, als Statement für Wohlgefühl und Augenweide sowieso. Im Kleinen mit grossem Wurf aufzuwarten und damit Unverkennbares, nämlich eine heimische Festkultur anzuregen, ist sozial und ehrenwert. Was da auf originelle Weise ureigen belebt wird, würde man elitär mit dem Begriff des Gesamtkunstwerks belegen.
Gewinnend und gewinnbringend
Selbst wenn man riskiert, aus kuratorischer Sicht erst einmal belächelt zu werden, im Kurort Bad Ragaz hat man erkannt, dass Waldis knisternde Charmeoffensive leicht überspringt und anziehend wirkt. Es liegt auf der Hand, darin einen rundum sympathischen Affront auszumachen.
Als Lieblingsstück im und aus dem Thurgau darf Waldi allemal gehandelt werden, steht er doch für kontrollierte Fantasterei wie für das Hochgefühl des Aufgeräumten. Sein hölzerner Esprit wird zum augenfälligen Anstoss, über einen Riecher für Könnerschaft nachzudenken. Im Hinblick auf eine sich überschätzende Hautevolee der Kunst mag er nivellierend wirken und so ein Gleichgewicht des Kreativen repräsentieren.
Pflege der Gemütlichkeit
Das Tier ist nicht nur «Schmankerl», die wuchtige Dackelbaute ist auch Glückstreffer. Leichtfüssig wächst der drollige Vertreter einer deutschen Hunderasse über den Status eines gehobenen Freizeitpark-Objekts hinaus. Nur wenige Zentimeter genügen, um Rekorde zu brechen und plötzlich für die beglückende Vielfalt künstlerischer Verständnisweisen zu sensibilisieren.
Der in Affeltrangen (und bald in Tobel) wohnhafte Lebenskünstler schafft den Spagat zwischen Superlative und Bescheidenheit. Waldi, als Teil eines Ganzen gedacht, hat sich so manches «Leckerli» verdient. Auch würde hier die althergebrachte Beziehung zwischen Mensch und Hund mitschwingen, sagt Schmid nachdenklich. «Das ist schon etwas sehr Spezielles, eine ganze Kulturgeschichte beinhaltet das.»
Die Clubaktivitäten mögen vorläufig noch die Corona-Arschkarte gezogen haben, das nächste Fest werde sich aber wieder weit von jeder museal einschläfernden Attitude wegbewegen, so Schmid. – Genau, in den Statuten des AC ist zuoberst festgehalten: «Der Verein bezweckt die Pflege der Gemütlichkeit.» Und das Wichtigste sei: «Wir haben Spass und nehmen das alles nicht so ernst ...»
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