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Zerstört den Markt!

Zerstört den Markt!
Gleichmass und Üben statt Spektakel und Abwechslung: Der Thurgauer Künstler Daniel Gallmann widersetzt sich den gängigen Erwartungen des Kunstbetriebs. | © Michael Lünstroth

Ein Werk in vier Kirchen - für ein ganzes Jahr wird die „Pastorale“ des Thurgauer Künstlers Daniel Gallmann an vier Orten zu sehen sein. Ein sperriges Werk für sperrige Zeiten.

Seit 1983 arbeitet Daniel Gallmann an zwei verschiedenen Motiven: einer Landschaftsdarstellung und einem Figurenensemble. Bei der Landschaftsdarstellung, diese Serie ist im Rahmen des neuen Pastorale-Projektes zu sehen, ist der Künstler auf der Suche nach dem eigentlichen, ursprünglichen Bild einer Landschaft: Immer neu erscheinen die sanft geschwungenen Hügelketten mit wolkenlosem Himmel.

An verschiedenen Orten hat er Teile des insgesamt 4000 Bildtafeln umfassende Werk bereits gezeigt. Jetzt bekommen sie einen besonderen Platz für ein Jahr: Im Rahmen der Höri-Musiktage ist seine Arbeit in vier Kirchen zu sehen: In der Stiftskirche St. Hippolyte und Verena (Öhningen), der Wallfahrtskirche St. Genesius (Schienen), der Kirche St. Pankratius (Wangen) und in der Stadtkirche Stein am Rhein.

Die geplanten Konzerte des Festivals sind coronabedingt ausgefallen, eine umso grössere Bedeutung bekommt Gallmanns Arbeit. Die „Kunstbrücke“, wie die Veranstalter ihr Projekt genannt haben, soll bis zum 5. Juni 2021 stehen bleiben.

Video: Höri-Musiktage Digitales Konzert

Die grosse Frage: Warum malt jemand seit Jahrzehnten dasselbe Motiv?

Wenn ein Künstler immer wieder dieselben Motive mal, stellt sich die Frage: Warum macht der das? Was treibt einen Menschen dazu an, immer wieder das Gleiche zu tun? Die Antwort darauf klingt wie die Einleitung zu einem Manifest: „Der Forderung nach immer neuen kreativen Hervorbringungen setze ich das immer Gleiche und immer schon Dagewesene entgegen, man muss sich widersetzen. Wir können auf dem bisherigen Weg nicht zu uns selbst finden“, sagt Daniel Gallmann, wenn man ihn nach dem Warum fragt. 

Seine Arbeit ist für ihn Protest, Rebellion, Widerstand gegen all das, was ihn am Kunstbetrieb anekelt: Die Kommerzialisierung. Die Degradierung zur Unterhaltungssparte. Die Fortschrittsgläubigkeit. Die Eventisierung. „Der Forderung nach Spektakel und Abwechslung setze ich das Gleichmass und das Üben entgegen. Man muss das Gegenteil von dem machen, was gefordert wird. Weil wir doch inzwischen wissen, dass wir schon längst das Paradies auf Erden installiert hätten, wenn wir mit unserer Leitidee des immer weiter, höher, schneller erfolgreich wären.“ Das hat Daniel Gallmann schon 2012 geschrieben.

Eine Kunst, die gegen das System protestiert

Sein Protest gegen das System ist also keine spontane Reaktion auf die absurd hohen Summen, die einige Kunstwerke bei Auktionen im vergangenen Jahr erzielt haben. Sein Protest ist eine grundlegende Haltung. Mit dieser konsequenten Haltung ist Gallmann zu einer der interessantesten Künstlerpersönlichkeiten in der ganzen Ostschweiz geworden.

Dass Daniel Gallmann überhaupt in der Kunst gelandet ist, hat auch viel mit seiner Persönlichkeit zu tun. „Als junger Mensch war ich auf der Suche. Ich hatte keine Freude am Konsum, ging nicht auf in der so genannten ‚coolen’ Welt“, erinnert sich Gallmann. Also sucht er sich die Kunst als seine Sprache aus. Er besucht die Schule für Gestaltung in Basel, 1981 geht er an die Kunstakademie Düsseldorf. Die Arbeiten von Beuys findet er inspirierend.

Gallmanns Arbeiten fallen am Markt lange durch

Der war zwar nicht mehr an der Akademie als Gallmann sich dort einschreibt, trotzdem will er dort sein. Gallmann studiert bei Eugen Gomringer und Franz Eggenschwiler. Er erhält in den folgenden Jahren nach dem Studium Förder- und Anerkennungspreise, der ganz grosse Durchbruch bleibt aber aus. Seine Arbeiten fallen am Markt durch. Erst in den vergangenen fünf, sechs Jahren habe sich die Haltung ihm gegenüber etwas aufgehellt, sagt der 58-Jährige. 

Das hat ihn ermutigt, weiterzumachen, nicht aufzugeben. Und so steht er nach wie vor jeden Tag am Arbeitstisch in seinem Atelier. Vor sich eine neue Serie seines Werkes. Eine Serie besteht aus 12 kachelgleichen Leinwänden. Und dann geht es los. Er malt nicht Kachel für Kachel, sondern der Zyklus entsteht eher in einer kreisenden Bewegung. Mal malt er hier, dann geht es dort weiter. Die Technik und das Material ist immer dasselbe, die Farben variieren. Der Rest entstehe intuitiv, sagt Gallmann. „Die Arbeiten sagen mir, wie sie sein wollen, sie sagen mir auch, wann sie fertig sind“, so der Künstler. Zwei bis drei Monate arbeitet er an einer neuen Serie.

«Seine pastorale Landschaft und die Figurendarstellung wird durch immer neue Farbkombinationen in einer Weise bildnerisch befragt und tiefgehend „erforscht“, wie sie nur über jahrelanges, konzentriertes Schaffen erreicht werden kann.»

Stefanie Hoch, Kuratorin Kunstmuseum Thurgau, über Daniel Gallman

Auch im Kunstmuseum Thurgau ist man in den vergangenen Jahren wieder aufmerksam auf den gebürtigen Oltener geworden. 210 Gemälde aus seinem Werk wurden 2018 gezeigt. Kuratorin Stefanie Hoch sagt, Gallmann gehöre zu den wichtigsten Künstlern im Thurgau, er nehme eine einzigartige Stellung ein.

Was seine Arbeit ausmacht? „Die Vervielfältigung eines Motivs als künstlerische Strategie begann vermutlich mit Andy Warhol in der Pop Art. Daniel Gallmann kehrt diese Vervielfältigung in der Anlehnung an kommerzielle Produktionsprozesse um. Seine konzeptuelle Verweigerung führt allerdings nicht zur völligen Auflösung in die Immaterialität. Trotz der Beschränkung ist ein bildnerisches Wollen da, ein Schaffensdrang, der noch immer in einem Tafelbild resultiert. Innerhalb der selbstgewählten „Zensur“ schöpft Gallmann die kleinen Spielräume aus: Seine pastorale Landschaft und die Figurendarstellung wird durch immer neue Farbkombinationen in einer Weise bildnerisch befragt und tiefgehend „erforscht“, wie sie nur über jahrelanges, konzentriertes Schaffen erreicht werden kann“, erklärt Stefanie Hoch. 

Die Widersprüche in der Rebellion

Die neue Wertschätzung freut den Künstler. Sie zeigt aber auch gleichzeitig, wie schwierig es sein kann, die konsequente Verweigerungshaltung aufrecht zu erhalten. Mit der Teilnahme an einer Ausstellung in einem Museum beteiligt sich Gallmann letztlich doch an dem Kunstbetrieb, der ihm eigentlich so zuwider ist. Vielleicht dürfte es nicht mal diesen Artikel geben, wenn der Künstler seine Haltung in letzter Konsequenz auslebte. Denn dieser Text schafft Aufmerksamkeit und reproduziert so am Ende auch ein System, das Daniel Gallmann ablehnt.

Er weiss natürlich um diese Widersprüche. „Als Künstler macht man die Arbeit schon für sich, aber eben nicht nur“, erklärt Gallmann. Natürlich will er wahrgenommen werden, er wünscht sich Aufmerksamkeit für sein Schaffen, für seine Kritik am irre gewordenen Kunstmarkt, für seine Haltung. Trotz all der Jahres des Schaffens im Schatten hat er nicht vergessen, dass er ja eigentlich eine Botschaft hat: Dass die Kunst sich befreien soll vom Dienstleistungsgedanken, dass sie nicht kapitalistische Muster reproduzieren soll, sondern diese hinterfragen muss, dass sie sich nicht der Unterhaltung unterordnen soll und das Künstler autonom sein müssen, um wahre Kunstwerke schaffen zu können.

Nahaufnahme: Gallmanns zweites Motiv - ein Figurenensemble. Beide Arbeiten waren 2017 im Kunstmuseum Thurgau zu sehen. Bild: Michael Lünstroth

Letztlich ist es ein Gegenentwurf zum Wachstumsdiktat unserer Zeit

Man kann das alles auch nur für sich denken, aber dann ändert es eben nichts in der Gesellschaft. Und das wäre dem Anti-Kapitalisten Gallmann dann auch zu wenig. 

Bleibt am Ende noch eine Frage zu klären: Warum ausgerechnet diese beiden Motive? Warum diese Landschaft und warum dieses Figurenensemble? Das sei kein Zufall, sagt Daniel Gallmann. Beides sei eine Nachzeichnung von dem, was wir heute verloren haben. Natur, Ruhe, Beständigkeit, Gemeinschaft. So was. „Sie sind auch ein Gegenentwurf zum allgegenwärtigen Absolutsetzen von technischem Fortschritt und Markt“, erklärt der 58-Jährige.

 

Die Höri-Musiktage

Neben die Kunst soll auch wieder die Musik treten. Laut einer Medienmitteilung haben sich die Projektpartner entschlossen, die Kunstbrücke von Daniel Gallmann durch eine Klangbrücke mit Werken Beethovens zu ergänzen: Täglich zur gleichen Zeit, um 11 Uhr (ausser sonntags) und 16 Uhr erklingen in allen vier Kirchen die gleichen Werke, beginnend im Juni mit der Sinfonie No. 6, der „Pastorale“. Projektstart war am 5. Juni um 16 Uhr. Im Laufe des Sommer sollen im 14-tägigen Rhythmus die Werke der Klangbrücke wechseln, heisst es weiter.

 



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