von Barbara Camenzind, 14.03.2022
Zu zweit ist es schöner
Zurück auf der Bühne: David Langs neues Konzertprogramm „Dampf“ überrascht. Seine Lieder sind tatsächlich erwachsen geworden. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Wer, wenn nicht er, hat in den letzten Jahren Thurgauer Alltagsdrämchen schwärmerisch besungen. Und prompt passierte David Lang selbst eines. Im Weinfelder Rathaus wurde ein neuer Lift eingebaut. So, dass sein Klavier nicht mehr hineinpasste, um in den Rathaussaal gebracht zu werden. Also fand das Konzert im kuschligen Foyer statt, mit Wandmalereien, die zum Träumen einluden. Wie der Sänger mit sybillinischer Miene feststellte.
Das Titellied „Dampf“ griff dann auch punktgenau den Wahnsinn unserer perfektionsorientierten Leistungsgesellschaft auf. „Immer zack, zack, zack, bis de Chessel verjagt“. Beklemmend aktuell auch die Ballade über das Sterben der alten Thurgauer Dorfbeiz mit Säli, Mandelgipfel und WC-Steinen, die durch Jean-Pierre Dix’ samtenen Bass einen profunden Abgesang bekam.
Jede Monet e neui Gwohnet? David Langs charmant böses Lied über die Zustände in der Pandemie, erst harmonisch harmlos unterfüttert, dann mit Basspartner immer subversiver aufgezwirbelt, hielt den Zuhörenden den Spiegel vor.
Von der Tücke, irgendwie bekannt zu sein
Man kann auch online saufen - und wer sagt, dass wir nicht bald neue Gewohnheiten rechtfertigen? Während über uns kranke Fledermäuse kreisen. Diese lockere Bissigkeit ist neu bei David Lang. Und er doppelte gleich nach, mit dem besten, weil auch selbstironischsten Lied des Abends:
Prominent. Ein Thurgauer Ragtime. In seinem ganzen Einzugsgebiet kürt das Leitmedium der Ostschweiz Leute zu Prominenten (Appenzeller des Jahres, Who is Who im Thurgau). Das Auswahlverfahren ist ein Mysterium der Redaktionen. Die Erkürten freuen sich, sind stolz, manchmal leicht irritiert. Man ist also wichtig im Kanton - wenn man - Bitteschön - beim Anlass dazu gleich auch noch Musik beisteuerte.
Lustvoll karikieren die Musiker Klischees
Die meisten Künstler:innen, deren Musik unterhaltungstauglich erscheint, kennen das „ob man eben auch grad noch Musik machen könnte.“ Es wurde wohl noch nie ein bekannter Unternehmer gefragt, ob er an dem Abend gleich noch ein paar Gleise verlegen würde. Als dann auch noch das Buffet leergegessen wurde, bevor der arme Musikant an die Reihe kam, waren die Lacher perfekt.
Etwa im gleichen Fahrwasser subversiver Liederstories segelte auch das Lied über eine leicht kafkaeske Klingelbeutelgeschichte in der Kirche, die in einer Verlosung endete. Flankiert vom elegischen Kutscher und dem „Letschte Hemp“, das keine Taschen hat.
Feinsinniges Bild einer Gesellschaft, die sich verloren hat
Lustvoll karikierten die beiden Musiker Klischees, wie das des Thurgauers, der in den Himmel kommt und dort alles zusammenklaut, und liessen gegen Ende die Lang-Klassiker Muudrig, den Boby-Blues neu aufblühen.
Mit „Verleit“ gestalteten die beiden ein feinsinniges Bild des Grundgefühls einer Gesellschaft, die sich echt grad etwas verloren hat.
Video: Ein Thurgauer im Himmel
Langs neue Klangsprache: Besser, weil weniger gefällig
Ob alte Titel oder neue: Langs Lieder sind erwachsen geworden. Das heisst nicht, dass ihm und seiner Musik der jugendliche Charme abhanden gekommen wäre. Seine Musik war immer schon gut gemacht. War einst fast zu gefällig. Sein neuer Sound kling zuweilen, als hätten sich Maurice Ravel und Keith Jarrett in einem Blueskeller getroffen.
Lang hat Druck herausgenommen, ist ironischer geworden, will wohl weniger nur gefallen und das hört sich wirklich gut an. Auch der erweiterte Fokus auf den hintersinnigen Mann am Kontrabass ist ein Gewinn. Die beiden ergänzen sich ideal.
Solidarität mit der Ukraine: So hilft David Lang
Im Jahr 2013 hat David Lang seine CD „Sinfonia“ mit dem ukrainischen Sinfonieorchester von Luhansk aufgenommen. Der Künstler möchte darauf hinweisen, dass zur Zeit der Erlös vom Verkauf aller seiner CD-Aufnahmen dem Roten Kreuz gespendet werden. Bestellt werden können sie hier.
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