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Auf der Suche nach dem Wir

Auf der Suche nach dem Wir
Zeigen, wo sie sich in Frauenfeld heimisch fühlen: Die Teilnehmer:innen des Projektes «WER ist WIR? Poesie der Zugehörigkeit». | © Balz Kubli

Ein neues Theaterprojekt in Frauenfeld will das gesellschaftliche Miteinander stärken. Einheimische und zugewanderte Menschen haben einen Stadtrundgang zu ihren Lieblingsorten konzipiert. Premiere ist am 8. Juni. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Ein Mittwochabend im Mai in der Frauenfelder Altstadt. Ein paar Menschen gruppieren sich um die Holzbank in der Kirchgasse am Meitlibrunnen. Sie reden über das Ankommen, gegenseitiges Verständnis trotz Sprachhürden, am Ende der Szene formen sie gemeinsam mit Holzstäben das Wort „Wir“. Etwas abseits steht Sonja Streifinger. Sie sieht zufrieden aus. „Sehr schön, das war super, wie ihr das umgesetzt habt, da sind sehr schöne Szene entstanden“, sagt die Regisseurin dieses besonderen Projektes, das gerade in der Kantonshauptstadt entsteht.

Es heisst „Wer ist Wir?“ und will einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenleben leisten. Einheimische und zugewanderte Menschen arbeiten hier seit mehreren Monaten zusammen, um einen theatralen Stadtspaziergang auf die Beine zu stellen.

Die Idee dazu hat Rebekka Spinnler entwickelt: „Ich habe mir davon versprochen, dass die Teilnehmenden - Menschen mit und ohne Migrationserfahrung - an ihrem momentanen Zuhause Platz und Stimme bekommen für eigene Geschichten und Ausdrucksformen“, erklärt Spinnler auf Nachfrage von thurgaukultur.ch

 

Das Wir gefunden? Das Ensemble bei der Probenarbeit Ende Mai. Bild: Michael Lünstroth

 

Raus aus den negativen Erzählungen

Es ging ihr dabei auch darum, neue Erzählungen zum Thema Migration zu finden: „In Frauenfeld haben 40 Prozent der Bevölkerung Migrationserfahrung. Die öffentliche Diskussion ist aber oft geprägt vom Gegensatz Wir und die Anderen. Dabei verbindet alle der universell Wunsch nach Zugehörigkeit“, sagt Spinnler.

Genau da wollte sie mit dem Projekt ansetzen. Es entstand im Rahmen des Programms „Neues Wir“, das zum Jubiläum „50 Jahre Eidgenössische Migrationskommission" bereits vor der Coronazeit lanciert wurde. Auch die Stadt Frauenfeld und der Lotteriefonds des Kantons unterstützen die Inszenierung.

Wie die Teilnehmer:innen das Projekt erlebt haben

Sarath Maddumage und Susanna Jäggi sind zwei von insgesamt 10 Teilnehmer:innen an dem Projekt. Der eine kam aus Sri Lanka in die Schweiz, die andere ist gebürtige Schweizerin. Die anderen Teilnehmer:innen stammen aus Iran, Afghanistan, Tibet, Thailand und Chile. Wie sie diese internationale Arbeit erlebt haben? „Zugehörigkeit ist mir wichtig und genau das habe ich in der Gruppe erlebt. Wir haben uns gemeinsam unterstützt auch wenn es mal schwierig war“, blickt Sarath Maddumage zurück. Dabei stand er schon mal auf einer Theaterbühne in der Schweiz, damals aber noch ohne Worte. „Diese Arbeit jetzt mit eigenem Text war nochmal eine andere Herausforderung. Dass wir Spass bei den Proben hilft dabei sehr“, sagt er.

 

„Zugehörigkeit ist mir wichtig und genau das habe ich in der Gruppe erlebt.“

Sarath Maddumage, Teilnehmer am Theaterprojekt

Susanna Jäggi wusste am Anfang nicht, ob sie wirklich bis zum Ende dabei bleiben würde. „Ich wollte erstmal sehen, in welche Richtung sich das entwickelt“, sagt sie. Jetzt ist sie begeistert: „Ich finde toll, wie wir uns alle aufeinander zubewegt haben. Das war nicht von Anfang an so, das ist gewachsen.“ Gelungen sei das vor allem, weil alle Teilnehmer:innen offen gewesen sein. Und: „Die gemeinsame Arbeit an den Texten und das Reden darüber hat uns zusammen gebracht“, findet Jäggi. Das sieht auch Sarath Maddumage so: „Es war ein geben und nehmen. Das war schön zu erleben.“

 

Eine Szene spielt auch an der Sündarella. Bild: Michael Lünstroth

Schreibworkshops mit Usama Al Shahmani

Das Besondere an dem Projekt: die Teilnehmenden erzählen ihre eigenen Geschichten. In Schreibworkshops mit dem Frauenfelder Schriftsteller Usama Al Shahmani haben sie ihre Texte entwickelt. Ein Teil der Texte und Ideen finden sich nun in den Szenen wieder die Al Shahmani schliesslich zu den einzelnen Schauplätzen verfasst hat. „Usama war auch die treibende Kraft dafür, den Fokus auf das Thema Zugehörigkeit zu legen. Dieses Thema zieht sich jetzt als roter Faden durch den Rundgang“, erklärt Rebekka Spinnler.

 

„Ich finde toll, wie wir uns alle aufeinander zubewegt haben. Das war nicht von Anfang an so, das ist gewachsen.“

Susanna Jäggi, Teilnehmerin am Theaterprojekt

Um die einzelnen Spielorte im öffentlichen Raum zu finden, war eine Frage zentral: An welchen Orten in Frauenfeld fühlen sich die Teilnehmenden Zuhause und weshalb? Genau diese Orte finden sich jetzt auch in dem Rundgang.

Zusätzlich zur theatralen Inszenierung hat der Fotograf Balz Kubli die Teilnehmenden an ihren Lieblingsorten porträtiert. Entstanden sind so Momentaufnahmen an Orten, die Kraft geben und Mut machen beim Ankommen - in Frauenfeld und im Leben überhaupt. Zu sehen sind die Fotos noch bis zum 19. Juni im Kunstwürfel der Stadt vor dem Stadtlabor Frauenfeld.

Es ist mehr entstanden als nur ein Theaterprojekt

Regisseurin Sonja Streiflinger ist manchmal selbst überrascht, wie gut inzwischen alles funktioniert: „Wir hatten ja kein fixfertiges Konzept für den Stadtrundgang. Da war es ein grosses Glück, dass so viel Input von den Teilnehmenden kam“, lobt sie die Gruppe. Sie ist überzeugt, dass durch das Projekt auch ein soziales Netzwerk entstanden ist, „vielleicht sogar Freundschaften, die bleiben“, sagt die Regisseurin.

Das war am Anfang nicht unbedingt abzusehen. Denn: „Teilnehmer:innen für ein noch eher umkonkretes Projekt zu finden, war nicht so leicht. Wir wollten ja auch Menschen erreichen, die sonst nicht so gehört werden“, erinnert sich Sonja Streiflinger. Die erreiche man aber nicht über klassische Öffentlichkeitsarbeit wie Flyer.

 

Volle Konzentrattion bei den Proben im öffentlichen Raum. Bild: Michael Lünstroth

Was das Stück so herausfordernd machte

Deshalb sei die Zusammenarbeit mit dem Frauenfelder Amt für Gesellschaft und Integration zentral für das Gelingen des Vorhaben gewesen. „Von dort hat man früh wertvolle und unerlässliche Fäden gesponnen zwischen unserem Projekt und bereits bestehenden Initiativen in Frauenfeld im Bereich Integration, um uns bei der Suche nach Menschen, die sich für das Projekt interessieren könnten, zu unterstützen. Es war aber eine Herausforderung, zu erklären, wie ein partizipatives Projekt funktioniert - wir hatten ja nicht ein fertiges Stück, von dem wir erzählen konnten und für das wir Spieler:innen suchten - und Menschen für eine verbindliche Teilnahme für das Projekt zu motivieren“, sagt Rebekka Spinnler

Jetzt kann das Projekt auch eigene Erfolgsgeschichten erzählen. Wie die von Sarath Maddumage. Er ist seit ein paar Wochen eingebürgert und nun offiziell Schweizer. „Für mich bedeutet das vor allem Sicherheit. Ich bin jetzt hier Zuhause“, sagt er.

 

Die Aufführungen und die Tickets

Donnerstag, 8. Juni 18:30 Uhr Premiere (bereits ausverkauft)
Freitag, 9. Juni 18:30 Uhr
Mittwoch, 14. Juni 18:30 Uhr
Donnerstag, 15. Juni 18:30 Uhr
Samstag, 17. Juni 15:30 Uhr
Sonntag, 18. Juni 10:30 Uhr Derniere

 

Preise:
Wenigverdienende: CHF 5.-
Normalpreis: CHF 20.-
Gönner:innen-Ticket: CHF 30.-

Dauer: 1h 15min, anschliessend Austausch im StadtLabor

Veranstaltungsort: Bahnhofplatz Frauenfeld (Start des Rundgangs)

Maximal 25 Teilnehmende pro Veranstaltung.

 

Buchung jetzt möglich über Thurgau Tourismus

 


 

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