von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 02.07.2021
Die grossen Unterschiede

Frauen verdienen weniger, sind weniger sichtbar und seltener in Leitungspositionen: Eine neue Vorstudie der Universität Basel zeichnet ein ernüchterndes Bild von der Gleichstellung im Kulturbetrieb. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Der Weg zur Geschlechter-Gleichstellung im Schweizer Kulturbetrieb ist offenbar noch lang. Das legen jedenfalls Daten einer neuen Vorstudie des Zentrums für Gender Studies der Universität Basel nahe. Demnach verdienen Frauen im Kulturbereich weniger als Männer, Künstlerinnen und ihre Werke sind weniger sichtbar und erhalten weniger Preise und in Leitungspositionen bleiben Frauen auch weiterhin eine Seltenheit.
„Die Ergebnisse zeigen, dass es im Bereich der Chancengleichheit für Männer und Frauen in der Kultur noch enorm viel zu tun gibt. Nun braucht es weitergehende Untersuchungen, um gezielte, langfristige Massnahmen ergreifen zu können“, erklärte Seraina Rohrer, Leiterin Innovation & Gesellschaft und Mitglied der Geschäftsleitung der Kulturstiftung Pro Helevetia in einer Medienmitteilung der Stiftung. Die nun veröffentlichte Studie wurde im Auftrag von Pro Helvetia und dem Swiss Center for Social Research durchgeführt.

Wie valide eine solche Vorstudie ist
Die Ergebnisse der Vorstudie sind allerdings noch mit einem gewissen Vorbehalt zu verstehen: Die Resultate beruhen auf stichprobenartigen Untersuchungen. Deshalb firmiert es auch als Vorstudie. Auch die InitiatorInnen weisen daraufhin und fordern, weitere, umfassendere Daten zu den Geschlechterverhältnissen im Schweizer Kulturbetrieb zu erheben. „Nur wenn die offensichtlich gewordenen Wissens- und Datenlücken gefüllt werden können, lassen sich gezielte Massnahmen entwickeln und umsetzen“, schreibt die Pro Helvetia. Trotzdem legen auch die Ergebnisse der Vorstudie eine klare Tendenz offen.
Die Daten zeigen zum Beispiel, dass der Frauen in den Führungsebenen noch unterrepräsentiert sind: So liegt der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der untersuchten Kulturhäuser und -betriebe bei 42 Prozent. Ganz an die Spitze geht es für Frauen noch seltener: Direktionen, Vizedirektionen und Intendanzen sind nur zu 34,5 Prozent mit Frauen besetzt. Hier zeigen sich auch Unterschiede in den Sparten: Während in der Literatur auf der Ebene Direktion/Intendanz 55 Prozent Frauen tätig sind, ist in den untersuchten Musikinstitutionen keine einzige Frau auf dieser Stelle zu finden.
Nur 2 Prozent der gespielten musikalischen Werke stammen von Komponistinnen
Auch bei den produzierten Inhalten stehen Frauen eher am Rand. Nur in 31 Prozent der in der Studie untersuchten Theaterproduktionen führten Frauen Regie, in lediglich sieben Prozent der Konzerte stehen sie am Dirigentenpult. 15 Prozent der aufgeführten Theaterstücke sind von Autorinnen verfasst, von den gespielten musikalischen Werken stammen nur zwei Prozent von Komponistinnen.
Interessant ist auch, dass Frauen auf der Bühne weniger sichtbar sind als Männer. Vor allem in der Musik zeigt sich ein Missverhältnis: Liegt der Frauenanteil bei klassischen Konzerten noch bei 34 Prozent, so ist er im Rock/Pop sowie im Jazz bei Live-Performances bei nur noch 9 bis 12 Prozent. Besser sieht es in den Darstellenden Künsten und der Literatur aus - hier liegt die Präsenz von Frauen bei 40 bis 50 Prozent. In der Visuellen Kunst sind Frauen rund zu einem Drittel an Gruppenausstellungen beteiligt. Bei Einzelausstellungen sinkt ihr Anteil allerdings auf 26 Prozent.
Auch Daten aus dem Thurgau spielten eine Rolle
Untersucht wurden in dieser Vorstudie die geschlechterverhältnisse in den Sparten Darstellende Künste (Tanz & Theater), Literatur, Musik und Visuelle Kunst in jeweils vier bis sechs ausgewählten Kantonen (der Thurgau wurde im Bereich Literatur untersucht). Analysiert wurden dabei die Angaben und Daten von insgesamt 38 Kulturhäusern und -betrieben (inklusive Festivals), 16 Betriebs- und Produktionsverbänden sowie 17 Berufsverbänden. In die Untersuchung mit einbezogen wurden auch 828 Preise und Stipendien, die der Bund die die 14 Kantone in den Jahren von 2000 bis 2020 verlieren haben. Neben den quantitativen Daten seien auch 27 qualitative Interviews und 14 Fachgespräche geführt worden.
Ein vorläufiges Fazit der Pro Helvetia zur Vorstudie lautet: „Durch die markante Untervertretung und Nicht-Sichtbarkeit von Frauen innerhalb des Kulturbetriebs geht der Schweiz ein grosses Potenzial an Kompetenzen und Fähigkeiten verloren.“
Mehr zur Studie
Die gesamte Studie zum Nachlesen gibt es auf der Website des Zentrums für Gender Studies der Universität Basel.
Eine weitere Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse gibt es zudem auf der Website der Pro Helvetia.

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