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Die Magie des Moments

Die Magie des Moments
Besondere Momente - gibt's auch hier im Kino. | © Canva

Vor 70 Jahren gab es im Thurgau noch 18 Kinos. Heute sind es vier. Das Roxy Romanshorn zeigt seit Jahren, wie ein Kino auch in schwierigen Zeiten zum Treffpunkt für Menschen werden kann. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)

Redet man dieser Tage über Kinos, dann kommt man ohne Schreckensmeldungen kaum aus. Die Zahl der Kinobetriebe sinkt seit Jahren, die Tickets werden immer teurer, die Filme aber gleichzeitig nicht unbedingt besser. Und überhaupt: Ist Kino nicht eh längst überholt angesichts der allgegenwärtigen Streamingmöglichkeiten vom eigenen Sofa aus? Untergangsszenarien spielen manchmal eben nicht nur auf der Leinwand, sondern auch im richtigen Leben. Dabei gibt es ja durchaus Lichtblicke in der Kinobranche. Betriebe, die sich erfolgreich der Zukunft gestellt haben und heute vielleicht mehr denn je Treffpunkt in ihrer Region sind. 

Eines davon findet man im Thurgau. Bevor man an Romanshorn vorbeifährt muss man bei Chicorée Damenmode einmal links abbiegen, dann noch mal rechts und schon ist man da. Roxy steht auf dem Gebäude, das eine wechselvolle Geschichte hinter sich hat. Eine Geschichte, die vielleicht beispielhaft ist für den Status der Kinos im Thurgau. Nur mal zur Erinnerung: 1955 gab es noch 18 Kinos im Kanton. Heute sind es vier. 

 

Andrea Röst (links im Bild) und Vreni Schawalder vom Kino Roxy in Romanshorn. Bild: Michael Lünstroth

 

Jubiläumsfeier 100 Jahre Kino in Romanshorn

1925 wurde in Romanshorn das erste Kino eingeweiht. Ohne Unterbruch wird am Ort bis heute Kinokultur gepflegt. Das Kino Roxy feiert dieses Jubiläum mit einem Fest für alle Kinobegeisterten. Ein ansprechendes Programm mit Gratis-Filmvorführungen, Festwirtschaft und weiteren Attraktionen, wobei auch der Raum des Jugendtreffs, früher der zweite Kinosaal, einbezogen wird. Das Programm im Überblick.

Heiss: Erotikfilme liefen im „Süd“

Auch deshalb ist der Roxy-Slogan „Das nächste Kino“ schlau wie stimmig - in weitem Umkreis findet man kein anderes Kino in der Gegend. Nicht umsonst gilt das Roxy als das Kino des Oberthurgau. „Die Menschen kommen aus dem ganzen Umland zu uns“, sagt Andrea Röst. Sie muss es wissen. Röst ist nicht nur Geschäftsführerin des Kinos. Ohne sie gäbe es das Kino vermutlich nicht mehr. Aber dazu später mehr. 

Roxy also. Diesen Namen trägt das Kino noch nicht so lange. Erst seit 2013, um präzise zu sein. Filme werden hier aber schon viel länger gezeigt. Seit 100 Jahren. 1925 öffnete das Kino Orpheum in dem ehemaligen Tapetenmagazin, später hiess es mal Kino „Süd und Nord“, dann „Modern“. Erst gesellte sich ein Spielsalon dazu, später ein Jugendtreff. Im Kino Süd ging es heisser zu, es gab auch Erotikfilme, im Norden liefen damals die seriösen Filme. 

 

Wie alles begann: Bau des Kino Orpheum 1925 in Romanshorn. Bild: Archiv
Mit diesem Inserat wurde das Orpheum in Romanshorn am 15. August 1925 eröffnet. Bild: Archiv

Kino in Romanshorn - eine lange Geschichte 

Auch sonst gibt es ein Auf und Ab. 1975 meldet das Kino Konkurs an, vier Jahre später die Wiedereröffnung unter dem Namen „Modern“. 2001 übernimmt die Stadt Romanshorn das Kinogebäude für einen symbolischen Franken. Durchschlagender Erfolg bleibt aus, das Kino dümpelt eher vor sich hin. Filme werden nur ab fünf verkauften Tickets gezeigt, Vorstellungen fallen deshalb häufig aus. „Nur die Videothek hält das Modern damals über Wasser“, sagt Vreni Schawalder. Und das ist die zweite Frau, mit der man unbedingt reden muss, wenn man etwas über Kino in Romanshorn erfahren will. 

Die Romanshorner Sozialdemokratin hat eine beachtliche politische Karriere hingelegt: Gemeinderätin in Romanshorn, Kantonsrätin seit 1988 und sieben Jahre später gelang ihr die Wahl in den Regierungsrat des Kantons Thurgau. Als erste Frau überhaupt. 2020 hat sie eine Ausstellung zum Thema Kino in Romanshorn kuratiert. Die sollte eigentlich im Romanshorner Museum am Hafen gezeigt werden. Aber dann kam die Pandemie und statt mehrerer Monate konnte die Schau nur wenige Wochen öffnen.

Trotzdem kennt sie sich nun bestens aus mit der lokalen Kinogeschichte. Intensiv hatte sie in den Archiven recherchiert und fand dabei auch ein Schreiben des Polizei-Departements an die Gemeinde, in dem es heisst „die Erstellung eines Lichtspiel-Theaters in Romanshorn liegt völlig in der Kompetenz des Gemeinderats und bedarf keiner Zustimmung des Polizei-Departements“. Datiert auf den 13. Februar 1925. Offenbar wollte man damals in Romanshorn lieber auf Nummer sicher gehen. 

 

Das Orpheum in Romanshorn. Bild: Archiv

Am Anfang war ein Film mit Björk. Ausgerechnet.

Schawalder hat aber nicht nur die Geschichte erforscht, sie war auch viele Jahre Präsidentin des „Vereins Feines Kino“, der seit 2013 das Romanshorner Kino betreibt. Und da kommt dann auch Andrea Röst wieder ins Spiel. Sie sah, wie das Kino Anfang der 2000er-Jahre in Romanshorn darbte und wollte etwas dagegen tun. „Das Kino war damals kaum sichtbar in der Stadt, das Programm eher unbestimmt“, erinnert sich Röst. Also begann sie, Werbung dafür zu machen. 

Sie machte Freunde und Bekannte darauf aufmerksam, schrieb Mails und brachte im Januar 2001 ihren ersten selbst ausgewählten Film auf die Leinwand: „Dancer in the dark“. Ein Film von Lars von Trier mit der isländischen Sängerin Björk. Ausgerechnet möchte man da sagen. Oder mutig. Der Film hatte in Cannes die Goldene Palme gewonnen. Aber die Idee mit einem Musical-Melodram über eine verschrobene isländische Pop-Avantgardistin die Herzen der Romanshorner fürs Kino zu gewinnen war, nun ja, gewagt. 

 

Mit diesem Handzettel warb Andrea Röst 2001 für das Kino in Romanshorn. Bild: Archiv

Wie der Erfolg nach Romanshorn kam

Aber der Plan ging auf. Die gegründete Interessengemeinschaft Feines Kino etabliert sich zwischen 2001 und 2011, zeigte Filmperlen und gewann damit ein treues Publikum. „So wurde das Kino zu einem wichtigen Teil des Romanshorner Kulturlebens mit Ausstrahlung auf die gesamte Region“, sagt Vreni Schawalder heute. Aus der IG wird schliesslich der Verein, der bis heute das Kino betreibt. 1100 Mitglieder hat der Verein inzwischen. Vielleicht ist das der eigentliche Erfolg des Roxy - dass es gelungen ist, das Kino zu einer sehr persönlichen Sache für viele Menschen zu machen. 

„Ohne das Engagement vieler Menschen wäre das alles so nicht möglich gewesen“, erinnert sich Andrea Röst. Vor allem die Erneuerung der Kinotechnik 2012 und die Sanierung des Gebäudes sei ohne den Einsatz von Freiwilligen und grosszügigen Handwerkern nicht möglich gewesen, sagt sie. Es war ein Kraftakt und er gelang. Heute zeigt das Kino pro Woche fünf Filme: Zwei aus dem Bereich Arthouse, zwei Unterhaltungsfilm und einen Film für Kinder. 

Blickt man in die schweizweite Statistik der Kinoeintritte, dann ist der Erfolg des Roxy noch ungewöhnlicher. Fast überall gehen die Eintritte in so genannte Einsaalkinos wie das Roxy zurück, die Multiplexe dominieren vielerorts. Aber in Romanshorn schätzt man das kleine, feine Kino so sehr, dass es seit Jahren stabil Programm machen kann. Und nicht nur das.

 

Das Ziel: Horizont erweitern, aber nicht belehren

Neben dem Programm gibt es gelegentlich thematische Filmreihen, Diskussionen mit Regisseuren und Schauspielerinnen. Kinder können hier in der Reihe „Die Zauberlaterne“ nicht nur die Faszination Kino erleben, sie können auch mitbestimmen, was gezeigt wird. Im Löwen in Sommeri gestaltet das Roxy seit einigen Jahren im Sommer zudem ein Open-Air-Kino, die nächste Ausgabe startet am 20. August. Und wer will, kann das Kino auch für eigene Veranstaltungen mieten. So gelingt es sehr verschiedene Publika mit dem Roxy in Berührung zu bringen. Diese Nähe und Niederschwelligkeit schafft eine grosse Identifikation mit dem Ort. Niemand würde heute ernsthaft in Frage stellen, ob es das Kino in Romanshorn braucht. 

Ein Grund dafür: Die gute Mischung im Programm. Es gibt Filmkunst, es gibt Blockbuster. Lokale Filme stehen neben internationalem Kino. „Bei uns kann man ohne Fussabdruck um die Welt reisen. Man kann hier seinen Horizont erweitern. Wir wollen dabei aber niemals belehrend sein“, lüftet Andrea Röst eines ihrer Erfolgsgeheimnisse. 

 

Schweres Gerät: So sah der Operateurenraum 1961 aus im Roxy. Von hier wurden die Filme gestartet. 

 

Heute läuft alles digital, wie Vreni Schawalder und Andrea Röst zeigen. Bild: Michael Lünstroth

Im Roxy gibt es was anderes als im Multiplex-Kino

Ein anderes ist: Das Roxy ist mehr als ein Kino geworden. Man sieht das an grossen Entwicklungen wie den stabilen Zuschauerzahlen, aber auch an kleinen Dingen. Im Roxy gibt es beispielsweise in jedem Film eine Pause. Klar, schon auch, um noch mal Getränke verkaufen zu können, „aber viele nutzen die Gelegenheit auch, um sich auszutauschen und über das Gesehene zu reden“, sagt Andrea Röst. Dialog, Diskurs, Begegnung, das sind ja alles Pfründe mit denen ein Kino wie das Roxy heute wuchern kann. Das bieten in der Form weder die Multiplexe, noch die Couch daheim. 

Das darf man auch durchaus mal feiern, finden Vreni Schawalder und Andrea Röst. Deshalb steht am Samstag, 16. August, nun ein ganzer Tag im Zeichen von „100 Jahre Kino in Romanshorn“. Ab 12 Uhr startet das Programm mit Gratis-Filmvorführungen, Festwirtschaft und weiteren Attraktionen, wobei auch der Raum des Jugendtreffs, früher der zweite Kinosaal, einbezogen wird. Und auch hier zeigt sich wieder, dass die Roxy-Macher:innen zwar Filmliebhaber:innen sind, aber gleichzeitig keinerlei Berührungängste mit dem Populären haben: Neben einem Filmklassiker von und mit Buster Keaton („Seven Chances“) gibt es die frisch in den Kinos gestartete deutsche Ulk-Komödie „Das Kanu des Manitu“ von Bully Herbig

Warum Kino niemals sterben wird

„Das Kino wurde schon so oft totgesagt, aber die Magie des Moments, wenn man gemeinsam mit anderen einen Film sieht, ohne umschalten zu können oder ständig aufs Handy zu schauen, das ist in unserer daueraufgeregten Zeit schon eine besondere Form der Fokussierung“, findet Roxy-Geschäftsführerin Andrea Röst. Allein deshalb ist sie überzeugt, dass das Kino niemals aussterben wird. Als Kino-Fan glaubt sie daran, als Menschenkennerin ist sie sich aber ziemlich sicher.

 

Das Kino Süd Nord im Jahr 1961 in Romanshorn. Bild: Archiv

 

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