von Inka Grabowsky, 21.12.2018
Die Unbequemlichkeit der sozialen Hängematte
Die Bühni Wyfelde bringt seit Silvester eine politisch hoch aktuelle Farce auf die Bühne des Theaterhaus Thurgau.
1993 schrieb Michael Cooney die Komödie „Cash“, in der ein Arbeitsloser die Lücken im britischen Sozialsystem gründlich ausnutzt, bis ihm Inspektoren des Sozialamtes auf die Schliche kommen. Das Thema klingt vertraut. Erst Ende November haben zwei Drittel der Schweizer bei einer Volksabstimmung die Observation von verdächtigen Leistungsbezügern ermöglicht. Das Stück könnte also als Illustration jener Zustände gelesen werden, die die Gesetzesverschärfung verhindern will. „Es ist gesellschaftskritisch“, präzisiert Regisseur Jean Grädel, der den Stoff vor einem Jahr dem Vereinsvorstand der Bühni Wyfelde vorgeschlagen hatte. „Es spielt aber spezifisch in England, wo das Sozialsystem etwas anders funktioniert. Da ist es offenkundig noch komplizierter als bei uns.“ Bewusst hat der Verein darauf verzichtet, „Cash“ in seiner Schweizerdeutschen Version „Rente gut alles gut“ aufzuführen, obwohl das Bühnendeutsch eine zusätzliche Hürde für die Schauspieler ist. Dargestellt würden nun mal keine Schweizer Verhältnisse, und Mundart wäre zu dicht am Heimattheater gewesen, befanden Regisseur und Verein.
Screwball Comedy mit feinem Humor
Auf dem Papier hat „Cash“ alle Zutaten des klassischen Boulevard-Theaters: Durch das gewohnt perfekte Bühnenbild im Theaterhaus in Weinfelden laufen eine betrunkene Amtsperson und ein Mann in Frauenkleidern, es knallen die Türen und es gibt Missverständnisse ohne Ende. In Jean Grädels Inszenierung werden all diese Versatzstücke jedoch mit Mass dosiert. „Cash hat durchaus feinen Humor“, so Grädel. „Man muss die skurrilen Situationen aber ernsthaft darstellen, weil die Charaktere aus Notlagen heraus zu verzweifelten Massnahmen greifen. Dann ist es dramatisch, nicht albern.“ Entscheidend für den Erfolg der Komödie ist das Timing. Die Schauspieler fallen sich gegenseitig ins Wort, werfen sich kurze Bemerkungen zu und müssen blitzschnell mit der nächsten Pointe reagieren, damit es spontan und witzig wirkt. Das ist keine einfache Aufgabe für die Truppe aus Amateuren unter professioneller Leitung. Seit dem Sommer üben sie mindestens zweimal die Woche. Peter Wenk, langjähriges Mitglied und im wirklichen Leben Theaterpädagoge beim Comedyexpress der Bildungsstätte Sommeri verbringt einen Grossteil des zweiten Aktes als lebloser Körper unter einer Decke: „Aber an den richtigen Stellen muss ich zucken oder stöhnen. Es ist gar nicht so leicht, die Konzentration immer aufrecht zu halten.“
Einblicke in die Probenarbeit
Schwer verdientes Happy End
Der Protagonist der Komödie, Eric Swan, beginnt seine kriminelle Laufbahn mit einer Notlüge und gerät dann in eine Abwärtsspirale, die in einer Katastrophe enden könnte. Jean Grädel will Verständnis für diese Figur wecken. „Ich mag ihn“, sagt jedenfalls Hauptdarsteller Thomas Götz, der seit Monaten die Ausreden von Eric Swan auswendig lernt. „Er ist arbeitslos und gerät zufällig in Schwierigkeiten. Böse ist er nicht. Mitleid habe ich allerdings auch nicht. Er weiss genau, was er macht, will da wieder raus, schafft es aber nicht.“ Insofern gönnt der Darsteller seiner Figur das Happy End von Herzen. „Wegen unserer traditionellen Premiere am Silvesterabend sind wir auf Stücke mit glücklichem Ausgang festgelegt“, erklärt Produktionsleiterin und Vereinspräsidentin Marta Wechsler. „Die Leute sollen gut gelaunt ins neue Jahr kommen.“
Alle Termine im Theaterhaus in Weinfelden:
31. Dezember 2018: 17.15 Uhr - Premiere
31. Dezember 2018: 20.15 Uhr
4. Januar 2019: 20.15 Uhr
5. Januar 2019: 20:15 Uhr
6. Januar 2019: 17.15 Uhr
11. Januar 2019: 20.15 Uhr
12. Januar 2019: 20.15 Uhr
13. Januar 2019: 17.15 Uhr
17. Januar 2019: 20.15 Uhr
18. Januar 2019: 20.15 Uhr
19. Januar 2019: 20.15 Uhr
20. Januar 2019: 17.15 Uhr
24. Januar 2019: 20.15 Uhr
25. Januar 2019: 20.15 Uhr
26. Januar 2019: 20.15 Uhr - Derniere
Vorverkauf: http://www.buehniwyfelde.ch/index.php?page=tickets
Von Inka Grabowsky
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