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von Inka Grabowsky, 06.09.2023

Die Wiederbelebung des literarischen Salons

Die Wiederbelebung des literarischen Salons
Barbara und Felix Müller sowie Katharina Schoeller stehen hinter dem Programm der «literarischen Salons» am Untersee. | © Inka Grabowsky

Vom 15. bis 17. September öffnen Besitzer historischer Häuser für das Literaturwochenende am Untersee wieder ihre Türen. Fünf Schriftsteller lesen in privatem Rahmen ihre Texte. Zusätzlich präsentieren zwei Schauspieler literarische Werke. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

«Das ist ein unglaubliches Buch – bildhaft geschrieben, gründlich recherchiert und mit einer ganz eigenen Sprache!» Das Programm-Trio aus Barbara und Felix Müller sowie Katharina Schoeller ist sich einig: Der historische Roman «Rosenegg», aus dem Pablo Klemann am Vormittag des 16. September in der Alten Kaplanei in Mannenbach lesen wird, dürfte Begeisterung auslösen. Der 42-jährige Autor lässt das Panorama des dreissigjährigen Kriegs in seiner Heimat am Bodensee beginnen – auch das war ein Grund für die Programmkommission ihn einzuladen. 

Literaturstars zu Gast

Zugegebenermassen sind andere Lesende prominenter als der Schriftsteller aus Bohlingen. Julia Weber beispielsweise, die am Samstagabend um 19.30 Uhr aus «Die Vermengung» liest, war mit ihren Texten auch schon beim Wettbewerb um den Bachmannpreis in Klagenfurt und bei den Solothurner Literaturtagen. «Dementsprechend haben wir ihren Auftritt nach Breitenstein in Ermatingen verlegt», so Felix Müller. «Dort ist am meisten Platz für die vielen Interessenten.» 

Die Hausherrin des Schlösschens, Margit Koemeda, ist selbst immerhin mittelbar als Autorin vertreten. Jaap Achterberg liest ihre Texte am Sonntag um 11 Uhr im «Alten Debrunnerhaus».  «Als mein Mann und ich noch selbst die Leitung dieser Veranstaltung hatten, fanden wir, dass wir nicht auch noch selbst auftreten sollten. Diese Tradition wollten wir beibehalten, auch wenn wir jetzt nur noch aus der zweiten Reihe mitwirken», sagt die Schriftstellerin, Gastgeberin und Mitinitiantin des Literaturwochenendes. «Die Zusammenarbeit mit Jaap Achterberg habe ich mir gewünscht, weil ich seine Kunst, Texte lebendig werden zu lassen, bewundere.» 

Am meisten Interesse bei den Vorbestellungen erwecke derzeit Volker Ranisch, heisst es bei der Programmleitung. In der Alten Säge in Tägerwilen präsentiert er einen Briefroman von Benjamin Rakidzija. Der Schauspieler ist Stammgast am Untersee, hat das Festival über viele Jahre selbst mitkuratiert und hat auch sein Stammpublikum. Die Liebesgeschichte «Schätzchen, streit mit mir» setzt am Sonntagabend den Schlusspunkt des Literaturwochenendes. 

 

Eine reiche Auswahl an Geschichten für das 15. Literaturwochenende. Bild: Inka Grabowsky

Frischer Wind als neue Rubrik

Anders als bei den vorangegangenen 14 Ausgaben beginnt das Literaturwochenende dieses Jahr bereits am Freitagabend. Das liegt an der neuen Rubrik «Frischer Wind», die in Zusammenarbeit mit Nadja Strada von der Kanti in Kreuzlingen organisiert wird. 

«Die Schülerinnen und Schüler, die das Buch ‹Leoparda› von Anja Schmitter im Unterricht behandelt haben, dürfen nicht am Wochenende verpflichtet werden», erklärt Katharina Schoeller. «Also laden wir sie am Freitag um 19 Uhr ins ‹Alte Debrunnerhaus› in Ermatingen ein.» 

Neben den rund zwanzig Jugendlichen ist noch genug Platz für 20 bis 30 weitere Gäste, so dass sich niemand die Geschichte um die Verwandlung der Protagonistin in eine Grosskatze entgehen lassen muss. 

Literatur von junger Autorin für junge Leute

«Nachdem Katharina Schoeller auf mich zugekommen war, war ich sofort begeistert», erklärt Nadja Strada. «Es macht zwar etwas Arbeit eine neue Lektüre vorzubereiten, aber im Unterricht immer das Gleiche zu lesen, ist ohnehin langweilig.» Die Deutschlehrerin mit dem Faible für zeitgenössische Literatur fragte ihre dritte Klasse, ob sie mitmachen würde. 

«Alle waren einverstanden – und jetzt haben die 17- bis 18-Jährigen wirklich Freude an der Lektüre.» Die Autorin Anja Schmitter (geboren 1992) ist nicht nur Dramaturgin des See-Burgtheaters in Kreuzlingen gewesen, sondern auch selbst an der Kanti zur Schule gegangen. «Sie war bei mir im Italienisch-Unterricht», so Strada. «Ich habe sie schon kontaktiert. Wir beide freuen uns auf das Treffen.»  

 

Nadja Strada schreibt selbst und gibt ihre Begeisterung für Literatur gerne an ihre Schüler und Schülerinnen weiter.

Erinnerungen an die Siebziger

«Wir haben junge Autoren und junge Zuhörende – aber wir haben auch einen Protagonisten unserer eigenen Jugend eingeladen», betont Barbara Müller. Rolf Niederhauser liest am Samstagnachmittag im Berlinger «Haus zum Gries» aus «Ein paar junge Leute haben es satt, zu warten auf das Ende der blossen Vermutung, dass es bessere Formen menschlicher Gemeinschaft gibt». 

Niederhauser hat 1973 die «Genossenschaft Kreuz» in Solothurn mitbegründet, ein Projekt, bei dem junge Leute ohne Hierarchien und bei gleichem Lohn gemeinsam eine Gaststätte betreiben. «Ich habe damals selbst dort mithelfen wollen», erzählt Barbara Müller. «Ich hatte eine der Frauen kennengelernt, weil sie genau wie ich auch ein kleines Kind hatte.» Das Buch über das Projekt erschien 1979. Anlässlich des 50. Jahrestags wurde es gerade neu aufgelegt. 

Gastgeber sind aus Überzeugung dabei

Die sechs Schauplätze der Lesungen haben sich inzwischen etabliert. Unter anderem hat sich 

Judit Villiger wieder als Gastgeberin zur Verfügung gestellt, allerdings nicht mit ihrem «Haus zur Glocke» in Steckborn, sondern mit dem eigens angemieteten Foyer im Turmhof.  Es sei schlicht grösser und ausserdem für Menschen mit körperlichen Einschränkungen barrierefrei zugänglich, sagt sie. 

 

Judit Villiger will den Steckborner:innen die Literatur näherbringen. Bild: Inka Grabowsky

 

«Literatur am Untersee liegt mir am Herzen! Ich finde wichtig, dass es in der Stadt Steckborn dafür eine Gastgeberin gibt.» Das Ganze sei eine Dienstleistung an das Publikum und ein Engagement für die Literatur, die damit näher an die Menschen am Untersee käme. Ein finanzielles Interesse jedenfalls haben die Gastgeber nicht. «Wir lernen Autoren und Autorinnen und ihre Arbeit besser kennen», erklärt Villiger. 

Sie selbst freut sich auf Rebekka Salm, die aus «Die Dinge beim Namen» liest. «Über sie hatte ich eine Radiosendung gehört, die mich neugierig gemacht hat.» Felix Müller kann das nachvollziehen: «Es geht um den Dorfalltag in den achtziger bis neunziger Jahren. Ich habe vieles aus meiner Jugend wiedererkannt und bin offenkundig nicht der Einzige, der das Buch gut findet.»  

 

Das Programm beim Literaturwochenende am Untersee

Am Freitag, 15.09.2023

Anja Schmitter (19.00 Ermatingen): «Leoparda»

Am Samstag, 16.09.2023 

Pablo Klemann (11.00 Uhr Mannenbach): «Rosenegg» 

Rolf Niederhauser (15.30 Uhr in Berlingen): «Das Ende der blossen Vermutung»

Julia Weber (19.30 Ermatingen): «Die Vermengung»

Am Sonntag, 17.09.2023 

Jaap Achterberg (11 Uhr in Ermatingen): Kurzgeschichten von Margit Koemeda

Rebekka Salm (15.30 in Steckborn): «Die Dinge beim Namen»

Volker Ranisch (19 Uhr in Tägerwilen): «Schätzchen, streit’ mit mir»

Karten für die Lesungen inklusive eines Apéros kosten 25 Franken anmeldung@literaturamuntersee.ch

 www.literaturamuntersee.ch

 

 

 

 

 

 

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