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von Inka Grabowsky, 23.02.2021

Ein detektivischer Spaziergang

Ein detektivischer Spaziergang
Krimispass in Amriswil: Familie Grabowsky will den Vermisstenfall «Professor Braun» lösen. Die Ermittlungen laufen per Smartphone. | © Inka Grabowsky

Spannende Outdoor-Unterhaltung für Familien in der Pandemie: Mit dem Smartphone einen Kriminalfall lösen und gleichzeitig die Stadt entdecken. In Amriswil ist das jetzt möglich. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Amriswil gehörte für unsere Familie bisher kaum ins „Relevant Set“. Gut, der Fabrikladen von ISA Sallmann lockt uns gelegentlich, und auch die Konzerte im Pentorama machen Lust auf einen Besuch, aber ansonsten war das Städtchen ein Ort, durch den man durchfährt.

Das hat sich mittlerweile geändert. „Es ist echt nett hier“, sagt die Tochter erstaunt. „Schau mal, der Laden da wäre interessant. Und die Häuser sind wirklich schön.“ Was so ein Online-Spiel doch alles bewirkt!

Seit vergangenem Sommer kann man in Amriswil in die Rolle eines Kriminalkommissars schlüpfen und versuchen, den Vermisstenfall „Professor Braun“ aufzuklären. Zu dem Zweck meldet man sich kostenlos auf der Seite www.krimispass.ch unter Angabe seiner E-Mail-Adresse an.

Erste Aufgabe: Die richtigen Schilder finden

Per Mail kommen dann die Geodaten von elf Plätzen in der Stadt, an denen jeweils eine Tafel mit einem QR-Code hängt. Die erste Aufgabe der Spielenden ist es also, die gerade einmal schokoladentafelgrossen Schildchen zu finden. Hat man auf dem Smartphone die passende App installiert, bekommt man Informationen zum Fall – mal zum Nachlesen, mal als gespielter Skype-Anruf, mal als Video-Filmchen.

Wer gut aufpasst und sich die relevanten Fakten merkt, kann darauf kommen, was mit dem verschwundenen Professor passiert ist. Am Ende beantwortet man entsprechende Fragen und bekommt im Gegenzug per Mail den Link zu Auflösung.

Der nächste Hinweis trifft ein: Die Grabowskys kommen der Lösung des Falls näher. Bild: Inka Grabowsky

Tourismusförderung mit Schnitzeljagd

Initiiert hat die spezielle Schnitzeljagd Thurgau Tourismus. „Wir hatten festgestellt, dass es einen Trend zu solchen Trails gibt und haben dann überlegt, welche Stadt sich ideal dafür eignen würde“, erklärt Vanessa Hungerbühler. Auf Amriswil sei man gekommen, weil die Stadt bei Touristen noch sich so bekannt sei, gleichzeitig aber genug Attraktionen habe, an denen man die Teilnehmer innerhalb eines nur wenige Kilometer langen Wegs vorbeiführen könnte.

Bei den Verantwortlichen der Stadt rannte Thurgau Tourismus offene Türen ein. Der Kulturbeauftragte Amriswils, Andreas Müller, war beim Austüfteln des Wegs massgeblich beteiligt. „Es gab ja Vorgaben zur Länge, aufgrund der Erfahrungen aus anderen Städten. Deshalb ist die bekannteste Sehenswürdigkeit Amriswils, das Wasserschloss Hagenwil, nicht dabei.“

Der Weg führt vom Naherholungsgebiet Eisweiher über die Bahnhofstrasse zum Marktplatz, dann am Hegibach entlang zum Hellmühleweiher und schliesslich zurück über den Innenhof der Polizeischule bis zum „Farbort“, dem bunten Platz, den die Amriswiler Künstlerin Ute Klein am Bahnhof gestaltet hat. Viereinhalb Kilometer ist man ungefähr unterwegs.

Erdacht von einem Krimifan mit Informatik-Know-How

Aufgehängt hat die Schilder - gemeinsam mit dem städtischen Kulturbeauftragten - David Baumgartner, der Gründer des Unternehmens Tourify und Erfinder des Krimi-Spasses.

2013 sei er durch ein Krimiwochenende mit Schauspielern auf den Geschmack gekommen. „Das war mega cool“, erzählt er. „Ich dachte mir, das sollte man digitalisieren, um es zeitunabhängig das ganze Jahr hindurch spielen zu können. Ich war 18 Jahre in der IT tätig, also habe ich es selbst programmiert und für die Audio- und Video-Aufnahmen meine Freunde rekrutiert.“ Eigentlich sei es ein Hobby gewesen, mit dem er viele Jahre keinen einzigen Franken verdient habe. „Aber es ist immer grösser geworden, so dass ich es 2019 professionalisiert habe.“

„Ich muss mir überlegen, was sich wohl die Teilnehmer überlegen könnten – und das sind inzwischen 30.000 schweizweit.“

David Baumgartner, Krimispass-Entwickler

Inzwischen nehmen 21 Städte in der Schweiz teil. Sie zahlen 2900 Franken Jahresbeitrag und haben dafür auch das Anrecht auf eine neue Geschichte alle ein bis zwei Jahre. Im Sommer bekommt Amriswil so statt des „Verschwundenen Professors“ „Die Zahl PI“ , zeitgleich mit Münchenbuchsee, Brigels und Bivio.

„Ich schreibe jedes Jahr einen neuen Krimi für das Projekt“, so Baumgartner. „Das ist ganz anders als einen Kriminalroman zu schreiben. Ich muss mir überlegen, was sich wohl die Teilnehmer überlegen könnten – und das sind inzwischen 30.000 schweizweit.

6000 Schritte und 90 Minuten Gedankensport

Es ist die Herausforderung, die Geschichte so zu konzipieren, dass es wirklich nur eine Lösung geben kann.“ Anfangs habe ihn einmal ein Teilnehmer angeschrieben, dass es doch auch anders hätte sein können. Baumgartner musste ihm recht geben und seine Geschichte präzisieren.

Hilfreich bei der Lösung ist meist das Ausschlussprinzip. Bestimmte gegebene Informationen schliessen sich gegenseitig aus, nach dem Motto: Wenn der Gärtner um 21.10 Uhr in der Bar gesehen wurde, kann er nicht gleichzeitig im Auto gesessen haben. Der Unbekannte im Auto muss also jemand anders gewesen sein.

Bei unserem Selbstversuch hirnt unser Grüppchen Detektive rund 90 Minuten, während wir 6000 Schritte tun. Und wenn wir an einer Station etwas sorgfältiger die Angaben gelesen hätten, dann wäre uns die Auflösung auch gelungen.

Auch am Bahnhof in Amriswil gilt es Fragen zu klären. Bild: Inka Grabowsky

Ein Wunsch: Mehr Lokalkolorit für weitere Ausgaben

In Amriswil haben sich seit der Eröffnung vor acht Monaten 665 Gruppen angemeldet: „Damit sind wir durchaus zufrieden“, sagt Andreas Müller. „Für den nächsten Fall zahlen wir deshalb gerne nochmal. Danach müssen wir weitersehen.“

Die Rückmeldungen der Teilnehmer seien grossmehrheitlich positiv, berichtet Autor Baumgartner. „Klar, wer keine Freude daran hatte, der schreibt vielleicht gar nichts. Der einzige Kritikpunkt ist meist, dass der Fall nichts mit Amriswil zu tun hat.“

Andreas Müller entwickelt neue digitale Kulturführung

Tatsächlich sind die Fälle des Krimi-Spasses ohne jedes Lokalkolorit, damit man sie überall einsetzen kann. Wer mehr über den Ort erfahren will, kann das aber ab dem Frühjahr bei einer digitalen Kulturführung tun, die Andreas Müller derzeit mit einem Tool von David Baumgartner konzipiert.

Technisch wird es ähnlich ablaufen wie beim Krimi-Trail. Man bekommt auf dem Smartphone Informationen, sobald man sich im Umkreis einer Sehenswürdigkeit befindet. Einen QR-Code braucht man diesmal nicht, das GPS-Signal reicht. Um das Ganze spielerisch zu gestalten, gibt es am Ende einen Wettbewerb, den man nur gewinnt, wenn man gut aufgepasst hat.

Bisher ist der Krimi-Spass in Amriswil das einzige derartige Angebot im Kanton. Es gäbe zwar schon Interessenten für einen anderen Fall, aber spruchreif sei noch nichts, heisst es bei Thurgau Tourismus. Fans trösten sich damit, dass der nächste Fall in Thal (SG) nur 29 Kilometer von Amriswil entfernt ist.

Wie das Projekt funktioniert

Selbst ausprobieren? Anmelden geht direkt über die Website www.krimispass.ch 

 

Grübelgrübel und studier: Für die Lösung des Falls müssen die Freizeit-Detektive auch miteinander arbeiten. Bild: Inka Grabowsky

 

 

 

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