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Eine Frage der Gerechtigkeit

Eine Frage der Gerechtigkeit
Wie gerecht ist das Geschlechter-Verhältnis in der Kunst? Die Vergabe der Kultur-Förderbeiträge des Kanton Thurgau entfacht eine alte Debatte neu. | © Screenshot

Vier von fünf mit einem Förderbeitrag des Kantons ausgezeichneten Künstlern sind Männer. Ist das ungerecht? Anmerkungen zu einer Debatte, die wichtig ist, im konkreten Fall aber ins Leere läuft.

Eins vorweg: Alle in diesem Jahr mit einem Förderbeitrag des Kantons Thurgau ausgezeichneten Künstlerinnen und Künstler haben diese Anerkennung sicher verdient. Wer nun also die diesjährige Vergabe kritisiert, kritisiert nicht die Preisträger, sondern die Mechanismen, die hinter der Vergabe liegen. Ein Blick auf die Liste der Ausgezeichneten dieses Jahres macht schnell deutlich, dass das eine ziemliche Männerangelegenheit ist in diesem Jahr: Vier von fünf Förderbeitrags-Empfängern sind Träger des Y-Chromosoms. Nimmt man die Vergabe des New-York-Stipendiums von Kulturamt und Kulturstiftung hinzu, die beide Einrichtungen auch als Förderbeitrag verbuchen, verändert sich die Quote nur minimal: Dann steht es 6:2 für die Männer.

Ist das nur Zufall? Blickt man in die Geschichte der Vergabe der Förderbeiträge, drängt sich eher das Bild auf, dass die Geschlechter-Ungerechtigkeit seit Jahren geübte Praxis im Thurgau ist und sich nur wenig seit mehr als 20 Jahren daran geändert hat. Die jährlichen Förderbeiträge des Kantons erhielten seit 1996 87 Männer und 65 Frauen. Andere Zahlen aus dem kantonalen Kulturleben bestätigen diese Tendenz: Seit 1986 wurde der Thurgauer Kulturpreis 9 mal an Frauen vergeben, viermal so häufig ging er an Männer, insgesamt 36 Mal. Die Ausstellungen im Kunstmuseum Thurgau beschäftigten sich von 1995 bis heute mit 18 Künstlerinnen. Mehr als doppelt so viele Ausstellungen, insgesamt 39, widmeten sich männlichen Künstlern. Der Trend ist offensichtlich: Noch immer ist die Sicht auf Kunst sehr männlich geprägt.

Von 15 Jurymitgliedern waren 10 Frauen

Woran liegt das? Man kann versuchen, diese Frage allgemein zu beantworten. Dann landet man aber meistens im Reich des Ungefähren. Also schauen wir mal konkret auf die Vergabe der Förderbeiträge in diesem Jahr. Die erste Antwort auf die Frage gerät da sehr banal: Es haben sich schlicht mehr Männer als Frauen um einen Förderbeitrag beworben, wie die Juryvorsitzende Monika Schmon auf Nachfrage bestätigte. Das macht eine gendergerechte Auswahl für die Jury von vorne herein schon mal komplizierter. Insgesamt, erklärt Schmon, spiele die „Geschlechter-Verteilung bei der Vergabe der Förderbeiträge eine Rolle. Neben dem Leistungsausweis, dem Vorhaben und dessen Dringlichkeit. Übrigens auch bei der Zusammensetzung der Jury.“ Tatsächlich: Von 15 Jurymitgliedern waren zehn Frauen. Das Thema „Geschlechter-Gerechtigkeit“ sei in allen Sitzungen der Jury diskutiert worden, so Monika Schmon. 

Dass sich am Ende trotzdem mehr Männer als Frauen durchgesetzt haben, liegt daran, dass das Geschlecht eben nur ein Entscheidungskriterium ist. Neben der Qualität und der Dringlichkeit des Vorhabens. Also der Frage, ob ein Projekt jetzt umgesetzt werden muss oder es notfalls auch noch ein Jahr später stattfinden kann. Und bei Lichte betrachtet ist es ja klug und richtig, dass es mehrere Entscheidungsdimensionen gibt und nicht allein das Geschlecht darüber entscheidet, ob etwas förderungswürdig ist oder nicht. Richtig bleibt zudem auch: Wer einen Förderbeitrag bekommen will, muss sich darum auch bewerben. Wenn Frauen das noch zu wenig tun, dann liegt auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit ein Schlüssel auch bei ihnen selbst: Sie müssen sich mehr zeigen, wenn sie sichtbarer werden wollen.

Warum der Fall nicht zur Empörung taugt

Was lernen wir nun daraus? Nun, zur Empörung und Pauschalkritik taugt die konkrete Vergabe der Förderbeiträge des Kantons nicht. Zu der Einsicht hilft auch ein Blick auf die Preisträger des vergangenen Jahres: 3 Männer, 3 Frauen. Trotzdem ist es gut, immer wieder darüber zu diskutieren. Nur so kann sich langfristig eine Sensibilität für das Thema ausbilden. Nur so kann man Ausschliessungs-Mechanismen erkennen und beenden. Und den Blick auf das weibliche Kunstschaffen schärfen. Auf dass auch die Zahlen bei der Vergabe des Thurgauer Kulturpreises und den Ausstellungen im Kunstmuseum Thurgau in Zukunft geschlechtergerechter ausfallen.

 

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