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Eine Reise in Gedanken

Eine Reise in Gedanken
Bekannte Räume, neues Projekt: Stefan Rutishauser hat in Frauenfeld den Kunst-Raum eröffnet. | © Michael Lünstroth

Vor zwei Jahren musste Stefan Rutishauser seine Frauenfelder Galerie schliessen. Jetzt kehrt er mit einem neuen Projekt zurück: Sein Kunst-Raum will auch ein Ort des Austauschs sein. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Eigentlich sollte der Laden ja längst laufen. Schon im Frühjahr 2020 wollte Stefan Rutishauser seinen neuen Kunst-Raum in Frauenfeld eröffnen: „Aber dann kam dieses Mist-Corona und wir mussten den Start immer wieder verschieben“, sagt Rutishauser, Jeans, grüner Pullover, Schal um den Hals und eine Schiebermütze auf dem Kopf, an einem Freitagvormittag Ende Mai. Einen Tag später soll es dann endlich so weit sein: Der Kunst-Raum Frauenfeld öffnet.

Genau dort, wo Rutishauser zuvor 11 Jahre lang eine Galerie betrieb, bis es nicht mehr wirtschaftlich war. Der Kunst-Raum soll jetzt eine andere Ausrichtung haben: „Bei einer Galerie geht es primär um den Verkauf, der Kunst-Raum soll da offener sein. Natürlich kann man hier weiterhin Bilder kaufen, aber es soll jetzt auch mehr um Austausch gehen - zwischen KünstlerInnen einerseits und KünstlerInnen und Publikum andererseits“, erzählt Rutishauser.

Gezeigt wird, was dem Kurator gefällt

Vier Ausstellungen sollen pro Jahr hier künftig stattfinden: Drei Einzelausstellungen und eine Gruppenausstellung. Die Auswahl dafür trifft Stefan Rutishauser. Stilistisch will er dabei ebenso offen sein, wie bei der Herkunft der KünstlerInnen. Kulturschaffen aus verschiedenen Regionen soll hier aufeinandertreffen können. „Ich beobachte KünstlerInnen oft über eine längere Zeit. Wichtig ist mir bei der Auswahl, dass ich den Menschen hinter den Arbeiten spüren kann. Mich muss es überzeugen“, erklärt Rutishauser sein Programm.

Diese Auswahl dürfte ihm zumindest bei der Premieren-Ausstellung leicht gefallen sein, denn: Stefan Rutishauser zeigt eigene Arbeiten. „In meiner Galerie habe ich nie selbst ausgestellt, das fühlte sich irgendwie nicht richtig an. Jetzt fanden aber Humbert Entress und Peter Hausammann, zwei frühe Unterstützer des Kunst-Raum, es sei eine gute Idee mit Arbeiten von mir zu eröffnen“, erklärt Rutishauser beinahe entschuldigend.

Zum Auftakt gibt es Arbeiten vom Gründer selbst

Unter dem Titel „Intermezzo: Die Italien-Reise Teil III“ zeigt der Künstler nun verschiedene Arbeiten, die sich mit seinem Lieblingsland Italien auseinandersetzen. Das sei in diesem Jahr nun etwas schwierig gewesen, weil man ja nicht reisen durfte. Also habe er nach Erinnerungen gesucht, erst in seinem Herzen, dann in der Fotobibliothek seines iPhones. „Irgendwann habe ich mir dann eine CD von Eros Ramazotti reingehauen und einfach gemalt“, sagt Rutishauser.

Entstanden sind dabei gross- und kleinformatige Farbflächen und Farbstreifen, die er in bis zu 40 Schichten aufgetragen hat. Ergänzt werden diese Bilder jeweils mit kleinen Geschichten unter anderem über Pizza, Kaffee, eine Nudelmaschine und einen roten Ferrari. Bild und Text sollen sich ergänzen. Es sind anekdotische Beiträge, die vor allem viel über Rutishausers Italienliebe verraten. „Das was man hier jetzt sieht, ist die Arbeit von 5 Monaten“, sagt der Künstler.

Zeigt erstmals eigene Arbeiten in den eigenen Räumen: Der Künstler und Kunst-Raum-Gründer Stefan Rutishauser. Bild: Michael Lünstroth

Vom Malergesellen zum Künstler

Rutishauser ist ausgebildeter Maler, sein Weg in die Kunst führte über Umwege: Vom Bau (dort absolvierte er seine Malerlehre) über einen Vorkurs an der Schule für Gestaltung Romanshorn im Bereich Grafik zur Kunstgewerbeschule Zürich. Dort studierte er Malerei und Bildhauerei. „Bis ich gemerkt habe, dass es sich im Kreis dreht, da habe ich dann beschlossen, dass ich ab sofort freischaffender Künstler bin“, erinnert sich Rutishauser.

In den vergangenen Jahren hat er an zahlreichen Orten ausgestellt. Seinen Brotberuf, das Malergeschäft, hat er aber trotzdem nie aufgegeben. Er teilt da das Schicksal vieler Kulturschaffender: „Von der Kunst alleine könnte ich nicht leben“, sagt er.

Ein Statement gegen die cleane Oberflächenkultur des Digitalen

Ganz ohne Kunst könnte aber auch er nicht leben, deshalb legt er seine Leidenschaft in seine Werke. Rutishausers bevorzugtes Material: Grosse Pinsel und Acrylfarben, die er teilweise selbst mit Farbpigmenten, Esche und Kreide anreichert. Schicht um Schicht trägt er auf, bis er zufrieden ist. „Farbigkeit und Stofflichkeit müssen stimmen, dann ist’s gut“, beschreibt der Frauenfelder diesen Moment.

Tatsächlich ist es vor allem diese Stofflichkeit, die ihm wichtig ist. Wie sich ein Bild anfühlt, wenn man mit den Fingern darüber fährt, ist für Rutishauser ein Qualitätsmerkmal. Und nicht nur das: Haptik, Begreifen, Anfassen, Handwerk - all das ist für den Künstler auch ein Statement gegen die cleane und glatte Oberflächenkultur des Digitalen.

Fast zu kitschig, um wahr zu sein

Eine besonders schöne Pointe der Geschichte ist nun, dass der Ort, an dem Stefan Rutishauser seine Bilder jetzt zeigt, gewissermassen alles verbindet, was ihm wichtig ist: Das Handwerk, die Italienliebe, die Gründerlust: Das Gebäude in der Marktstrasse 6 war einst eine Nudelfabrik. Und als wäre das noch nicht kitschig genug: Gegründet wurde diese Fabrik 1896 von Arnold und Jean Rutishauser. Es gibt zwar keine familiären Verbindungen, aber dass der Name hier nun auf so andere Weise weiterlebt, ist dann doch eine zu gute Geschichte, um sie nicht zu erzählen.

Fragt man Stefan Rutishauser, weshalb er sich nach der Schliessung seiner Galerie, überhaupt noch einmal auf ein neues Kunstprojekt einlässt, dann sagt er, dass ihn vor allem das öffentliche Bedauern nach dem Aus der Galerie dazu motiviert habe. „Ich hatte das Gefühl, dass es schade wäre an diesem Ort keine Kunst mehr zu zeigen. Viele haben mich dazu ermutigt, nochmal einen neuen Versuch zu wagen“, so Rutishauser. Finanziell wird der Kunst-Raum nun vom Kulturpool der Region Frauenfeld und der Stadt Frauenfeld unterstützt. Ein gerade entstehender „Freundeskreis des Kunst-Raums“ soll weitere Mittel generieren.

Die Kunst als Brücke zum Austausch

Für dieses Jahr hat er neben seiner eigenen bislang noch zwei weitere Ausstellungen geplant. Im September eine Gruppenausstellung mit KünstlerInnen der Regio Frauenfeld und im November eine Einzelausstellung von der in Israel geborenen und in Appenzell lebenden Künstlerin Haviva Jacobson.

Zu den Ausstellungen soll es ausserdem regelmässig jeden Freitag Veranstaltungen geben: Vernissagen, eine Künstlerbar, bei der zur Ausstellung passende Konzerte oder Lesungen stattfinden können und ein Publikumsgespräch bei Brot und Wein mit den jeweiligen KünstlerInnen. Der Kunst-Raum soll mehr sein als ein reiner Ausstellungsort. „Menschen sollen zusammenkommen können, die Kunst soll als Brücke dafür dienen“, fasst Stefan Rutishauser seine Vision zusammen.

Termin: Die Ausstellung „Intermezzo: Die Italien-Reise Teil III“ ist noch bis 13. Juni zu sehen. Am Freitag, 11. Juni, liest Stefan Rutishauser aus seinen Kurzgeschichten. Türöffnung 19 Uhr, Lesung 20 Uhr.

Transparenz-Hinweis: Humbert Entress, einer der Unterstützer des Kunst-Raum Frauenfeld, ist auch Verwaltungsratspräsident der Thurgau Kultur AG, die thurgaukultur.ch betreibt.  

 

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