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Von Wertschöpfung und Wertschätzung

Von Wertschöpfung und Wertschätzung
Intensive Diskussion: Bei der zweiten Ausgabe Kultur trifft Politik im Apollo Kreuzlingen kam auch das Publikum ausführlich zu Wort. | © Jörg Rudolpgh

Mehr Dialog, mehr Transparenz: Die zweite Ausgabe von „Kultur trifft Politik“ hat gezeigt, was nötig ist, um Städte und Gemeinden mit Kultur lebenswerter zu machen. (Lesedauer: ca. 6 Minuten)

Man muss nur nach Lausanne, Lichtensteig oder Egnach schauen, um zu erkennen, dass die Frage, ob Kultur die Entwicklung von Städten und Gemeinden positiv beeinflussen kann längst recht eindeutig beantwortet ist. In Lausanne hat das grosse Museumsprojekt „Plateform 10“ gezeigt, wie ein ganzes Quartier von der Ansiedlung von Kulturinitiativen profitieren kann, in Egnach hat der Tankkeller über drei Monate deutlich gemacht, wie die Gemeinde mit Hilfe eines Kulturprojektes zusammenwachsen kann und in Lichtensteig binden sie seit Jahren konsequent kulturelle Aspekte in die Entwicklung der Gemeinde ein - mit grossem Erfolg. 

Insofern diente die zweite Ausgabe des Dialogformats „Kultur trifft Politik“ von thurgaukultur.ch und der ig kultur ost (finanziert von der Kulturstiftung des Kantons Thurgau) am vergangenen Dienstag im Apollo Kreuzlingen nicht so sehr der Klärung der Frage nach dem ob, sondern eher dem Ergründen des Wie. Also: Wie kann es im Thurgau gelingen Kultur und Stadtentwicklung vernetzter zu denken, um den Lebenswert in unserer Region zu erhöhen? 

Bildergalerie vom Diskussionsabend (alle Fotos: Jörg Rudolph)

Kultur trifft Politik No. 2: Stadtentwicklung und Kultur

Jede:r hat eine eigene Perspektive

Rund 60 Teilnehmer:innen kamen zu dem dreiteiligen Format (Input, Workshop, Fishbowl-Diskussion), das auch wegen der angekündigten Gäste neugierig machte. Dabei waren unter anderem der Kantonsbaumeister Roland Ledergerber, Michael Breitenmoser aus der Geschäftsleitung des Immobilienentwicklers HRS und Karin Gubler, Kulturmanagerin aus Frauenfeld. Im Vorfeld der Veranstaltung hatten die Regierungsrät:innen Denise Neuweiler (Departement für Erziehung und Kultur) und Dominik Diezi (Departement für Bau und Umwelt) ihre Perspektive auf das Thema in Interviews erläutert. Alles war bereitet für einen spannenden Abend.

 

Mehr zum Thema im Dossier

Kultur ist mehr als Freizeitgestaltung – sie prägt das Selbstverständnis einer Region, schafft Identität und kann entscheidend zur lokalen Wirtschaft sowie zur Standortattraktivität beitragen. Das Potential ist unbestritten, insbesondere wenn es um Wachstum und Verdichtung geht. Städte und Gemeinden stehen vor der Frage, welche Rolle kulturelle Angebote bei der Förderung des Wirtschafts- und Lebensraums spielen kann. 

In vielen Kantonen, auch im Thurgau, wird dieses kulturelle Potenzial noch zögerlich genutzt. Es mangelt nicht an Initiativen und Akteur:innen. Dennoch steht die strukturelle Verankerung von Kultur in der Standortentwicklung noch am Anfang. Wo liegen Potentiale verborgen? Wie lassen sie sich nutzen? Und welche Rolle spielen dabei Kanton, Gemeinden, kulturelle Akteur:innen und die Bevölkerung?

In einem Dossier versammeln wir Stimmen und Perspektiven zum Thema.

 

Schon zu Beginn der Veranstaltung wurde allerdings auch deutlich, wie komplex das Thema ist. Und wie viele unterschiedliche Blickwinkel es darauf geben kann. Der von Philipp Schubiger und Pascal Leuthold der Agentur evoloop geleitete Workshop zeigte das exemplarisch auf. 

So fand die Künstlerin Isabelle Krieg, Kultur und Stadtentwicklung könnten gemeinsam Begegnungen fördern, die nicht nur auf Konsum ausgerichtet sind. Daniel Moos, Stadtrat für Kultur in Kreuzlingen, betonte die Rolle der Stadt als Ermöglicherin. Er verwies dabei auch auf Identitäts- und Wertschöpfungskette von Kultur. 

Ein buntes Mosaik aus Erwartungen

Zszusanna Gahse, Schweizer Grand-Prix-Literaturpreisträgerin, stellte die Form des Miteinanders heraus: Kultur und Politik sollten einander zuhören und miteinander diskutieren, um das Beste vor Ort zu erreichen. Felix Meier, SP-Kantonsrat, argumentierte ebenfalls auf der Metaebene: „Kultur schafft die Voraussetzung für die Entwicklung eines sozial verträglichen Zusammenlebens“, so der Präsident der parlamentarischen Gruppe Kultur im Grossen Rat des Kantons.

Es war ein buntes Mosaik aus Erwartungen und Zuschreibungen. Der weitere Abend war damit beschäftigt, das alles irgendwie zusammenzubinden. Um das zu erleichtern, hatte David Zimmerman, SVP-Gemeindepräsident in Braunau und Präsident des Kulturpools „thurkultur“, in einem Impulsreferat erklärt, wie es ihnen gelungen war, die Gemeinde dazu zu bringen, einen zweiten Franken pro Einwohner:innen in die Kulturförderung zu investieren. Die zentrale Botschaft daraus: Vertrauen schafft man vor allem durch Dialog und transparente Überzeugungsarbeit.

 

David Zimmermann, Gemeindepräsident Braunau und Präsident des Kulturpool thurkultur. Bild: Jörg Rudolph

Was man vom Kulturpool thurkultur lernen kann

Tatsächlich ist Zimmermanns Kulturpool ein gutes Beispiel für zweierlei: Erstens: Dass sich intensive Aufklärungs- und Lobbyarbeit langfristig auszahlt. Zweitens: Dass es selbst für bescheidene Erhöhungen von Kulturförderbeiträgen grossen Einsatz braucht. Ein Beispiel dazu: 19’200 Franken kostete Wil, die grösste Stadt in der Thurkultur-Region, die Erhöhung. Das ist im Gesamtbudget der Stadt ein sehr schmaler Posten. 

In drei Schritten war es dem Kulturpool gelungen, die Gemeinden in seiner Region von diesem höheren finanziellen Zuschuss für Kulturprojekte zu überzeugen. Wesentlich dabei laut Zimmermann war es vor allem Antworten auf diese Fragen zu geben: „Was ist Kultur und was machen Kulturschaffende eigentlich? Wer profitiert von diesen Beiträgen? Welchen gesellschaftlichen Wert haben die Projekte?“ Wenn das mal vermittelt ist, kann man sich an die Gestaltung der Zukunft machen und Bedingungen für Kulturschaffende vor Ort verbessern, so Zimmermann.

Zentrale Instrumente waren in der Überzeugungsarbeit eine grundsätzliche Offenheit des Vereins, die Einbindung von Politiker:innen, transparente Informationen über Wert und Wertschöpfung von Kultur für eine Gemeinde, sowie regelmässige Dialogveranstaltungen. Im Kern könnte man sagen: Es geht um Vertrauensarbeit.

 

Roland Ledergerber, Kantonsbaumeister, bei Kultur trifft Politik, rechts im Bild Moderatorin Samantha Zaugg. Bild: Jörg Rudolph

Debatte um neues Museum in Arbon

Mit dieser Zwischenerkenntnis ging es in die von Samantha Zaugg moderierte abschliessende Diskussionsrunde mit dem Kantonsbaumeister Roland Ledergerber, der Kulturmanagerin Karin Gubler und dem Immobilienentwickler Michael Breitenmoser von der HRS. 

Die grosse Metadiskussion wurde hier schnell sehr konkret anhand von Thurgauer Beispielen: einem Infrastrukturprojekt im Eisenwerk Frauenfeld und der Entwicklung des Saurer Areals in Arbon. Letzteres vor allem deshalb interessant, weil der Kanton hier ein neuartiges, interdisziplinäres Museum einrichten will - das so genannte Themenhaus Werk Zwei. Wegen der finanziellen Engpässe in der Kantonskasse hat der Regierungsrat die Eröffnung des Prestigeprojekts aber erstmal auf 2037 verschoben. 

Sollte Kultur das Image von Unternehmen verbessern?

Ob das ein Problem sei für die HRS, fragte Moderatorin Samantha Zaugg in Richtung HRS. „Diese Verzögerung blockiert unsere Entwicklung nicht, aber sie macht die Situation vor Ort in vielen Bereichen komplizierter“, sagte Michael Breitenmooser aus der Geschäftsleitung des Immobilienunternehmens. 

Grundsätzlich seien sie aber von dem Engagement für Kultur überzeugt. Einerseits, weil es bei der Entwicklung eines neuen Areals auch darum gehe, ein lebenswertes Quartier zu schaffen und Kultur da einen wesentlichen Beitrag leisten könnte. Andererseits: „Wir sehen in dem Imagegewinn durch die Einbindung kultureller Projekte auch ein Element unserer Wertschöpfung“, gab Breitenmooser zu. Das gute Image solcher Vorzeigeprojekte strahle am Ende eben auch auf die HRS aus, sagte der Immobilienxperte. 

 

Michael Breitenmoser, aus der Geschäftsleitung der HRS, war zu Gast bei Kultur trifft Politik im Apollo Kreuzlingen.

Zwischen ökonomischer Wertschöpfung und gesellschaftlichem Mehrwert

Dass Kultur Wertschöpfung erzeugen kann, davon ist auch Roland Ledergerber überzeugt. Deshalb bedauere er auch, „dass es uns nicht gelungen ist, das geplante Museum im ursprünglich geplanten Zeitfenster zu realisieren (das Museum sollte eigentlich 2028 eröffnen, d. Red.)“, so der Kantonsbaumeister. Trotzdem entstehe in Arbon „ein toller Ort, der Identifikation stiften kann“, meinte Ledergerber. Schliesslich gehe es bei Kultur ja auch nicht nur um ökonomische Wertschöpfung, sondern auch um einen gesellschaftlichen Mehrwert.

Und ehe man sich versah, war man urplötzlich wieder mittendrin in der ewigen Diskussion um den Wert und Bedeutung von Kultur für die Gemeinschaft. Eine sehr subjektive Debatte, die man, das hatte Michael Kinzer, langjähriger Kulturchef in Lausanne und ab Juli neuer Direktor der Pro Helevetia, in einem Interview mit thurgaukultur.ch unlängst skizziert, für die politische Überzeugungsarbeit unbedingt mit empirischen Daten, Offenheit und Transparenz untermauern müsse. Das führt auch zu der Frage: Braucht es vielleicht auch andere Rahmenbedingungen, wenn man Kultur stärker in Stadtentwicklungsprozesse einbinden will?

Mehr kulturelle Nutzung durch wirtschaftliche Anreize für Immobilienentwickler?

HRS-Mann Michael Breitenmoser nutzte die Gelegenheit für einen Lobbyvorstoss in eigener Sache: „Kulturelle Nutzungen bergen für Bauherren immer auch ein gewisses Risiko, um dieses Risiko zu minimieren und mehr Immobilienentwickler für Kulturprojekte zu gewinnen, wäre es gut, wenn der Kanton die kulturelle Nutzung von Gebäuden belohnen würden, in dem beispielsweise Baufenster ausgeweitet werden, ab einem bestimmten Prozentsatz kultureller Nutzung.“

Das stiess aber weder bei Roland Ledergerber („Das Baureglement nicht der richtige Ort dafür.“) noch bei Kulturmanagerin Karin Gubler auf Zustimmung: „Die Kultur nur als Vehikel zu benutzen, um mehr bauen zu dürfen ist nicht das, was ich mir unter einer partnerschaftlichen Beziehung auf Augenhöhe zwischen Kultur und Stadtentwicklung verstehe“, so Gubler.

 

Karin Gubler, Kulturmanagerin aus Frauenfeld, war zu Gast bei Kultur trifft Politik. Rechts im Bild: Michael Breitenmoser von der HRS. Bild: Jörg Rudolph

Wie das Publikum das Podium korrigiert

Was diese Ausgabe von „Kultur trifft Politik“ aber besonders machte war das Zusammenspiel zwischen Besucher:innen und Podiumsgästen. Wobei erstere oft als Korrektiv der letzteren fungierten. Zum Beispiel als Kantonsbaumeister Roland Ledergerber erklärte, die Zwischennutzung in Arbon im Werk Zwei sei eine sehr gute Wahl und man müsse sich im Kanton auch damit arrangieren, dass es nicht immer die High-End-Lösung braucht für alles. 

Da meldete sich Andrin Uetz und wies auf „handfeste Probleme in den Räumlichkeiten für kulturelle Nutzungen“ hin. Er muss es wissen, er hat zuletzt als Projektleiter die Ausstellung „Heimspiel“ in dem neuen Raum begleitet. Über diese Probleme muss man dringend reden, um die Zwischennutzung wirklich erfolgreich zu gestalten, so Uetz weiter. 

Spannend auch der Einwurf von Stefan Wagner, Geschäftsführer der Kulturstiftung des Kantons: „Was ich im Thurgau oft vermisse ist, dass man Ideen und Visionen hat. Bauen wird doch mal was Neues und setzen nicht immer nur auf Kompromisslösungen in bestehenden, alten Gebäude, die noch immer nicht barrierefrei und zugänglich für alle sind“, so Wagner. Offenkundig traf er damit einen Nerv: Dafür gab es jedenfalls den grössten Applaus des Abends. 

 

Stefan Wagner, Geschäftsführer der Kulturstiftung des Kantons Thurgau. Bild: Jörg Rudolph

Woher kommt eigentlich das Misstrauen?

Was bleibt sonst von der zweiten Ausgabe des Dialogformats „Kultur trifft Politik“? Wertschöpfung ist wichtig für Politik, Wertschätzung ist wichtig für die Kulturschaffenden. Beides liesse sich verbinden, wenn beide Seiten mehr aufeinander zugehen. Dialog, Diskurs, Transparenz, Vertrauen sind dafür zentral. 

Wobei man an dieser Stelle auch mal fragen könnte, mit welchen Missetaten die Kultur sich dieses stete, mal offen, mal insgeheim formulierte Misstrauen aus Teilen von Politik und Gesellschaft eigentlich verdient hat. Aber das wäre Stoff für eine ganz eigene Veranstaltung. Apropos: die nächste Ausgabe von Kultur trifft Politik findet am 17. November im Eisenwerk Frauenfeld statt.

 

Intensive Diskussion: Bei der zweiten Ausgabe Kultur trifft Politik kam auch das Publikum ausführlich zu Wort. Bild: Jörg Rudolph

 

 

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