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«Frauen werden oft im Stich gelassen.»

«Frauen werden oft im Stich gelassen.»
«Ich kam mir zeitweise wie Freiwild vor»: Doris Knecht über Hass aus dem Internet. | © Heribert Corn

In ihrem Roman „Die Nachricht“ schreibt Doris Knecht über die Folgen von Cybermobbing und Hass im Internet für Betroffene. Im Interview spricht sie offen über ihre ganz persönlichen Erfahrungen damit. Am Samstag, 21. Mai, liest sie beim Frauenfelder Bücherfest aus dem Roman. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Frau Knecht, Sie haben einen Roman geschrieben über eine Frau, die im Internet gemobbt und mit Hassmails überhäuft wird. Wie oft haben Sie persönlich seit der Veröffentlichung des Romans solche Hassmails bekommen?

Seit der Veröffentlichung des Romans nicht, Hass-Kommentatoren lesen offenbar nicht so viel Literatur. Aber ich habe früher, als ich noch eine tägliche Kolumne in einer Tageszeitung hatte, tatsächlich auch solche Hass-Nachrichten bekommen. Das hat mich auch zu dem Roman inspiriert. Ich wollte fühlbar machen, was das wirklich bedeutet und was das mit einem macht, wenn man solchen Beschimpfungen, Drohungen und Abwertungen ausgesetzt ist.

Die grosse Frage lautet ja - wie damit umgehen? Ignorieren oder zur Polizei gehen?

Ich selbst habe immer versucht, es zu ignorieren. Ging aber auch nur so mässig. Was tatsächlich bei mir der Fall war, dass ich mich habe einschüchtern lassen durch diese Nachrichten. Ich bin deswegen zum Beispiel aus dem Tageszeitungs-Meinungs-Geschäft ausgestiegen, weil ich gemerkt habe, dass ich diese ewigen Anfeindungen nicht so gut aushalte. Ich halte es auch nicht aus, dass die Redaktionen ihre Autor:innen da so im Stich lassen. Klicks zu bekommen ist da vielen Redaktionen leider wichtiger als die Bedrohtheit der Autor:innen. Ich will da auch nicht wehleidig sein. Angemessen formulierte Kritik ist vollkommen okay, aber das geht in diesen Foren ja meistens weit darüber hinaus.

 

„Ich habe mich durch diese Nachrichten einschüchtern lassen in meiner Arbeit.“

Doris Knecht, Autorin

Was hat Sie da besonders geärgert?

Naja, dass das überhaupt so möglich war und laufen gelassen wurde. Anonyme Leser:innen können ihre Kommentare schreiben und wir Autor:innen, die mit Namen und Gesicht auftreten, werden davor nicht geschützt. Ich kam mir da zeitweise wie Freiwild vor, das konnte ich nicht so gut ertragen.

Warum geht Ihre Romanfigur Ruth nie zur Polizei, obwohl sie und selbst ihre Freund:innen massiv belästigt werden?

Es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass es nichts bringt, sich zu wehren. Die Gesetze ändern sich langsam, aber es ist immer noch mühsam. Es gab in Österreich den Fall einer Politikerin, die sich gegen digitale Anfeindungen und Belästigungen gewehrt hat und sie wurde, nachdem sie das öffentlich gemacht hat, am Ende selbst vor Gericht zu Schadensersatz verurteilt. So etwas hindert natürlich viele Frauen daran, Hilfe zu suchen, wenn sie betroffen sind, weil sie denken, dass sie von der Gesellschaft keine Hilfe zu erwarten haben.

Ein harter Satz.

Ja, aber so ist es. Frauen werden da oft im Stich gelassen und am Ende sogar bestraft dafür, wenn sie sich wehren. Es ändert sich gerade zwar einiges, weil sich viele Frauen gewehrt haben. Aber ich glaube trotzdem, dass viele Frauen das lieber nicht so ernst nehmen wollen. Bei meiner Romanfigur Ruth, die ich als sehr autonome Figur gezeichnet habe, ist es zum Beispiel so, dass sie mit ihren Problemen selber fertig werden will und nicht sofort nach Hilfe ruft. Vor allem möchte sie auch nicht ihre ganze Energie darin verschwenden, einer anonymen Täterperson nachzulaufen.

 

„Es gibt zu viele Beispiele, die zeigen, dass es nichts bringt, sich zu wehren.“

Doris Knecht, Autorin (Bild: Heribert Corn)

Wenn wir über Belästigungen im Internet reden: Wie männlich ist Cybermobbing?

Ich glaube schon sehr männlich. Ich weiss, dass das auch Männern passiert. Gerade, wenn sie über bestimmte Themen schreiben. Aber diese Abwertung erleben Männer nicht so stark, wie es oft Frauen geschieht. Also dass sie sexuell oder intellektuell dermassen abgewertet werden.

Lebt es sich als Mann besser im Internet?

Man lebt prinzipiell leichter, wenn man ein Mann ist. Ich merke das gerade in einem Selbst-Experiment. In Österreich gibt es den Online-Flohmarkt „willhaben“. Ich war früher dort mit einem Frauennamen angemeldet und habe so viele sinnlose Gespräche über etwas völlig anderes geführt als, das, was ich gerade kaufen oder verkaufen wollte. Seit ich dort unter einem Männernamen agiere, ist das viel leichter geworden. Niemand will mehr mit mir über meine Sexualität sprechen oder was ich heute Abend vorhabe oder ob ich einen Freund habe. Sondern jeder will nur wissen: Was kostet der Tisch? Wie gross ist er? Wann kann ich ihn abholen? Das ist nur ein ganz kleines Beispiel dafür, wie das Leben leichter ist, wenn man ein Mann ist.

Es geht nicht nur um Cybermobbing und Machtstrukturen in Ihrem Roman, sondern auch um Sprache. Oder besser gesagt um toxische Sprache. Müssen wir unsere Worte klüger und achtsamer wählen?

Ja, ich glaube schon. Für mich liegt ein Grund der Verrohung der Sprache im Internet an der Anonymität im Netz. Da fällt es vielen Menschen viel leichter auszuteilen, wenn man nicht erkannt wird. Das finde ich problematisch, weil die Leute so vergessen, was es auslöst, wenn sie andere auf diese Weise angreifen. Früher wurde man gesehen als Sprechender oder Sprechende und jetzt geht man in die Anonymität und das verändert Sprechverhalten natürlich sehr. Appelle bringen da nichts mehr, da müsste das Rechtssystem viel stärker eingreifen. Es müsste viel klarer werden, dass das nicht toleriert wird und bei Verstoss auch entsprechend bestraft wird.

 

„Für mich liegt ein Grund der Verrohung der Sprache im Internet an der Anonymität im Netz.“

Doris Knecht, Autorin

Bemerkenswert fand ich, dass in Ihrem Roman nicht nur die männlichen Figuren, sondern auch die weiblichen Figuren damit Schwierigkeiten haben.

Ja, das war mir wichtig zu zeigen. Denn: Ich möchte nicht allein die Männer verantwortlich machen für alles, was passiert. Sondern mehr ein Bewusstsein dafür schaffen, was alles passieren kann und dass solches Cybermobbing oft von Männern ausgeht. Aber eben auch, dass es in solchen Dingen oft an Solidarität fehlt. Und das ist ein Punkt, den ich Frauen erzählen wollte, dass man sich manchmal da als Frau leider auch nicht auf andere Frauen verlassen kann.

Eine weitere Botschaft des Romans für mich: Sei dir nichts zu sicher in deinem Leben. Selbst Freund:innen können sich aus nichtigen Gründen abwenden. Wie geht man mit dieser Unsicherheit um, ohne daran zu zerbrechen?

Mein Roman ist ja nicht nur ein Roman über sprachliche Entgleisungen und digitale Gewalt, sondern auch über die Fähigkeit von Frauen, allein zu leben. Wobei das eine mit dem anderen ja durchaus verbunden ist. Viele schwache Männer haben Angst vor Frauen, die ohne Männer zurecht kommen. Die keinen Versorger oder Kümmerer brauchen. Manche Männer fühlen sich dann bedroht, weil sie denken, sie würden verzichtbar. Aber das ist natürlich Unsinn. Es geht viel darum, das Frauen gerne allein leben und das auch tun können. Ich habe in meiner literarischen Sozialisation viel zu oft Romane über Männer gelesen, die so heldenhaft allein zurecht kommen. Und ich wollte jetzt mal eine Geschichte von Frauen erzählen, die das auch können. Und je besser man das kann und je mehr Autonomie man sich erarbeitet, desto leichter tut man sich auch mit solchen erlebten Verletzungen, weil man die Abhängigkeiten von anderen nicht mehr so stark spürt.

Liegt darin auch ein Appell, die Stärke lieber aus sich selbst zu ziehen als aus anderen?

Muss man nicht, aber kann man. Es hilft auf jeden Fall. Oder anders gesagt: Man sollte das dürfen, ohne dass man schräg angeguckt wird, wenn man mal keinen Partner hat.

 

„Ich habe in meiner literarischen Sozialisation viel zu oft Romane über Männer gelesen, die so heldenhaft allein zurecht kommen. Und ich wollte jetzt mal eine Geschichte von Frauen erzählen, die das auch können.“

Doris Knecht, Autorin

Ihr Roman lässt lange in der Schwebe, von wem die Nachrichten kommen. Am Ende kommt der Täter ungeschoren davon. Warum lassen Sie das zu?

Viele Leserinnen haben kritisiert, dass es keinen Rache-Showdown am Schluss gibt wo die Bösen gefangen und bestraft und die Guten belohnt werden. Aber die Realität ist einfach nicht so und ich wollte einen realistischen Roman schreiben. Ich finde übrigens auch nicht, dass der Roman schlecht ausgeht. Am Ende gewinnt Ruth ihre innere Stärke zurück und das ist doch etwas Positives.

 

 

Die Autorin & die Lesung

Die Autorin: Doris Knecht, geboren in Vorarlberg, ist Kolumnistin (unter anderem beim Falter und den Vorarlberger Nachrichten) und Schriftstellerin. Ihr erster Roman, „Gruber geht“ (2011), war für den Deutschen Buchpreis nominiert und wurde fürs Kino verfilmt. Zuletzt erschienen „Besser“ (2013),  „Wald“ (2015), „Alles über Beziehungen“ (2017) „weg“ (2019) und „Die Nachricht“ (2021). Sie erhielt den Literaturpreis der Stiftung Ravensburger und den Buchpreis der Wiener Wirtschaft. Doris Knecht lebt mit Familie und Freunden in Wien und im Waldviertel.

 

Lesung: Am Samstag, 21. Mai, 11 Uhr, stellt sich Doris Knecht dem Gespräch mit Leser:innen in der Eisenbeiz. Und am Abend um 18 Uhr liest sie in der Theaterwerkstatt Gleis 5 daraus. Das komplette Programm des Frauenfelder Bücherfestes gibt’s auch bei uns in der Agenda. 

 

 

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