von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 14.10.2021
Game over: Vom Ende der Unendlichkeit

Vier Jahre lang wachte der LOOP des Künstler-Duos Bildstein⎪Glatz vor der Kartause Ittingen. Jetzt wird die 15 Meter hohe Skulptur abgebaut. Was bleibt davon nach vier Jahren? Eine Gedankenschleife. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Eigentlich sollte hier längst wieder grüne Wiese das Blickfeld dominieren. Die Grossskulptur „Loop“ des Künstler-Duos Bildstein⎪Glatz sollte bereits im vergangenen Jahr abgebaut werden. Aber auch hier machte die Pandemie einen Strich durch die Rechnung - unter Corona-Bedingungen war die Demontage mit vielen Beteiligten aus unterschiedlichen Ländern kaum zu organisieren. So verblieb der Doppellooping noch eine Weile länger vor den Toren der Kartause Ittingen und wurde inzwischen fast schon selbst zu einem ikonischen Bild für den Ort.
Tatsächlich fragte man sich vor jedem Besuch in Ittingen, wie die für das Kunstmuseum Thurgau entstandene, 15 Meter hohe und insgesamt sehr pinke Skulptur einen dieses Mal empfangen würde. Was man nun wieder Neues in dem Holz und Aluminium entdecken könnte. Das Verblüffende an der Arbeit von Matthias Bildstein und Philippe Glatz war ja, dass sie einem bei jedem Anblick etwas Neues erzählen konnte. Lichteinfall, die sich ändernden Jahreszeiten, ja, manchmal auch die eigene Verfassung machten den Blick auf diese monumentale, in sich gedrehte Schlaufe wandelbar wie ein Chamäleon.

„Für mich ist die Arbeit nach wie vor stimmig. Ich wüsste nicht, was ich anders machen würde, stünde ich nochmal am Anfang.“
Philippe Glatz, Künstler
Was bleibt nun von all dem Gedankenkreisen? All der Selbstreflexion, den Bezügen zum Zustand der Kunst und der Welt sowie der Kritik am Höher-Schneller-Weiter-Fortschrittsdenken unserer Zeit?
„Für mich ist die Arbeit nach wie vor stimmig. Ich wüsste nicht, was ich anders machen würde, stünde ich nochmal am Anfang“, sagt Philippe Glatz, geboren in St. Gallen, inzwischen in Kreuzlingen zuhause, und somit der Schweizer Teil dieses helvetisch-österreichischen Künstler-Duos. Der Loop war ihr bislang grösstes und aufwändigstes Projekt. Wohl auch deshalb sagt Matthias Bildstein: „Wir haben in diesen vergangenen vier Jahren wahnsinnig viel gelernt. Der Erfahrungsschatz aus all dem bleibt uns auf jeden Fall erhalten“, sagt der gebürtige Vorarlberger, der inzwischen hauptsächlich in Wien lebt.
Bilderstrecke: So lief der Abbau des Loop (12. Oktober 2021, Bilder: Stefanie Hoch)
Der Aufbau dauerte Wochen, der Abbau soll schneller gehen
Wir treffen die beiden an einem Dienstag im Oktober. Der Himmel eher grau, ein Kran ragt in die Höhe über den Dächern der Kartause, zwei Hebebühnen stehen vor dem Doppellooping - bis zum Ende der Woche soll die Wiese geräumt sein und die 24 Einzelelemente der Loopings (jedes gut 2,40 Meter breit; wie gross das ist, sieht man übrigens erst, als die Teile am Boden liegen und die Künstler und ihre Helfer dahinter verschwinden) demontiert und verladen sein. Der Abbau soll damit zumindest schneller über die Bühne gehen als der Aufbau - daran tüftelten die Künstler 2017 mit etlichen Helfern über mehrere Wochen.
Welche Wirkung ein Kunstwerk erzielt, beziehungsweise welchen Impact es hinterlässt, liegt ja oft auch daran, wie intensiv es in den Medien besprochen wurde. Erstaunlicherweise schaffte es der Loop in keine der nationalen Schweizer Tageszeitungen. Es waren vor allem regionale und lokale Medien, die sich dem Werk widmeten. Ein Makel? Wohl kaum. Die Frage dazu lautet eher, ob das nicht eigentlich viel mehr über den Zustand der Schweizer Kulturberichterstattung, oder präziser, den oft sehr engen Wahrnehmungshorizont der grossen Feuilletons aussagt, als über das Kunstwerk an sich.
Das verhaltene Medienecho spiegelt vor allem die Engstirnigkeit der grossen Feuilletons
So oder so: Den beiden Künstlern wird die verhaltene Medienwahrnehmung nicht gänzlich egal sein. Mit so einem Grossprojekt schielt man ja doch immer auch ein bisschen auf die grösstmögliche Aufmerksamkeit. Inhaltlich besteht das Werk allerdings unabhängig vom Medienecho.
Die Fragen, die es stellt, haben nach wie vor ihre Gültigkeit. Warum streben wir immer nach mehr? Wo sind die Grenzen des Wachstums? Verlieren wir uns in abgetrennten Parallelwelten? Oder sind wir doch am Ende alle irgendwie unzertrennlich verbunden? Und was wird aus unserem inneren Zustand, wenn alle immer nur auf Äusserlichkeiten achten? Beantwortet sind all diese Dinge jedenfalls längst nicht.
Vielleicht auch deshalb fängt für Matthias Bildstein mit dem Abbau auch etwas Neues an: „Jetzt stellt sich die Frage: Was machen wir damit jetzt?“, sagt er im Gespräch an der Kartause. Irgendwo anders wieder aufbauen? Einlagern? Alles nochmal neu denken? „Für mich gibt es da eigentlich nur ein No-Go“, sagt Bildstein, „wir werden die Elemente nicht in die Wiederverwertungsanlage geben.“ Der künstlerische Kontext soll gewahrt bleiben.

Wenn sich die Welt ändert, muss sich der Loop ändern
Denkbar als Zusammenspiel mit Architektur oder als Hingucker vor ihrem Atelier in Vorarlberg. „Wir denken noch darüber nach, entschieden ist noch nichts“, sagt Philippe Glatz. Sicher ist für beide nur: Das Werk bräuchte eine neue Einbettung, sollte es nochmal ausgestellt werden.
Bei aller Relevanz der grundsätzlichen Fragen, die der Loop stellt, habe sich die Welt in den vergangenen vier Jahren eben doch auch geändert, findet Matthias Bildstein: Die Pandemie, die Debatten um die Klimakrise, gesellschaftlich seien andere Themen relevanter geworden und auch persönlich hat sich das Leben der Künstler verändert - drei Kinder sind seit dem Aufbau des Loop in ihren Familien auf die Welt gekommen.
Die kommenden Generationen, unser Umgang mit Ressourcen: Ja, das könnte ein möglicher Ansatz sein, den Loop neu zu denken, finden die beiden Künstler.
Noch so eine Geschichte: Die Natur holt sich alles zurück
Dazu passt auch eine andere Geschichte, die Bildstein und Glatz aus den vergangenen vier Jahren erzählen können: Einige Tiere haben den Loop für sich erobert: Vier Vogelnester und ein Wespennest haben sich in den vergangenen Jahren dort angesiedelt. Es ist wie immer: Das was man aus der Natur entnimmt, holt sie sich irgendwann zurück. Vielleicht ist auch dies der eindrücklichste, sich immer wiederholende Schlaufenschluss, den der schier unendliche Loop jetzt hinterlässt.
Video: So berichtete arttv.ch über den Aufbau des Loop (Juni 2017)

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