von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 05.03.2019
Jung und explosiv

Am 22. März startet wieder das Festival «tanz: now» in Steckborn. Mit dabei in diesem Jahr ist auch das wohl aufregendste Jugendtheater der Schweiz: Das junge theater basel.
Jeder kennt dieses Gefühl: Aus dem eigenen Leben etwas Besonderes machen zu wollen. Herauszuragen aus der Masse. Aber nur ein Stück. Nicht zu sehr. Weil man ja auch noch Teil von etwas sein will und nicht nur der einsame Solitär auf dem Sockel. Uwe Heinrich hat beobachtet, dass dieser Konflikt zwischen Besonderheit und Geborgenheit bei der jungen Generation heute besonders gross ist: „Die leiden sehr darunter, manchmal hat man fast das Gefühl, dass dieser Zweispalt sie zerreisst“, sagt Uwe Heinrich. Wenn Heinrich so etwas bemerkt, dann nimmt er das nicht einfach hin, sondern er macht etwas daraus. Uwe Heinrich ist Theaterpädagoge und seit 19 Jahren Leiter des jungen theater basel (jtb), dem vielleicht aufregendsten Kinder- und Jugendtheater der Schweiz. Mit der Tanztheater-Produktion „what we are looking for“ kommt das jtb jetzt auch ans Festival „tanz: now“ nach Steckborn (29. & 30. März).
Das Besonders am Basler Jugendtheater ist, dass hier Profis und Laien zusammenarbeiten. Auf der Bühne stehen ausschliesslich Jugendliche, die noch keine Bühnenausbildung haben. Um sie herum sind aber alle Positionen wie Regie, Bühne, Kostüm, Musik, Licht, Dramaturgie – mit Profis besetzt. „Wir behandeln die Jugendlichen in den Produktionen wie Professionelle. Sie haben über acht Wochen jeden Tag Proben. Wir nehmen sie also sehr ernst“, sagt Uwe Heinrich im Gespräch mit thurgaukultur.ch In diesem sicheren Rahmen können sich die jungen Leute ausprobieren. Einer der Gründe dafür, dass das jtb oft so aussergewöhnliche Produktionen auf die Bühne bringt.
«Wir nehmen die Jugendlichen sehr ernst.»
Uwe Heinrich, Leiter junges theater basel
Ein anderer ist: Die Themen, die das jtb behandelt, haben immer mit dem Leben der Jugendlichen zu tun. Das sei eine schlichte Notwendigkeit, erklärt Uwe Heinrich: „Unsere Spieler können nur das spielen, was sie interessiert, deshalb müssen wir etwas behandeln, das ihnen etwas sagt und das etwas mit ihrem Leben und ihrer Sprache zu tun hat.“ Alle Stücke werden immer gemeinsam entwickelt, Dramaturgie und Regie arbeiten mit den Jugendlichen zusammen und nicht über deren Köpfe hinweg.
So war das auch bei der Produktion „what we are looking for“. In den Theaterkursen hatten die Leiter bemerkt, dass es die jungen Menschen sehr beschäftigt, wie sie einerseits besonders sein, aber gleichzeitig auch Teil einer Gruppe bleiben können. Zum Thema einer Produktion wird es dann nicht, weil die Jugendlichen sagen, hey, lasst doch mal ein Stück über das Thema ‚Der Einzelne und die Gruppe‘ machen, sondern, weil die Bühnenprofis um sie herum, das als Thema erkennen und dann mit der Arbeit beginnen. „Bei ‚what we are looking for‘ haben wir mit sechs Jugendlichen angefangen, Gesten zum Thema ‚Ich und wir‘ zu entwickeln. Wir wollten wissen, was das für sie bedeutet“, erklärt Heinrich, der in dieser Inszenierung die Dramaturgie übernahm. Der belgische Choreograf Ives Thuwis – De Leeuw hat ausgehend von diesen einzelnen Elementen dann das Stück gebaut.
Video: Trailer zu „what we are looking for“
2014 würdigte der Schweizer Theaterpreis die Arbeit des jtb
Ives Thuwis – De Leeuw ist inzwischen ein Stammgast am jungen theater basel. Vor allem seit dort immer mehr Tanztheaterproduktionen einstudiert werden. Eine bewusste Entscheidung der Macher. „Wir wollten ein niederschwelliges Angebot haben, an dem auch Menschen teilhaben können, die der deutschen Sprache nicht so mächtig sind. Der Körper ist viel einfacher lesbar“, sagt Uwe Heinrich. Im Tanz könne man sehr viel erzählen, Bewegungen, Gesten, Haltung, alles sage etwas aus. Und jeder könne es verstehen - ganz ohne Sprache, ist Heinrich überzeugt. Tatsächlich hat diese Körperlichkeit nochmal eine ganz andere Wucht als übliches Sprechtheater. Das kann man schon in den kurzen Trailern der jtb-Produktionen auf YouTube spüren. Wohl auch deshalb sagt Uwe Heinrich: „Unsere Philosophie ist die Direktheit im Ausdruck“.
Seit 1977 gibt es das jtb, seit also fast 42 Jahren können Jugendliche zwischen 14 und 24 Jahren hier ihre darstellerischen Fähigkeiten testen. Finanziert wird das Theater im Wesentlichen von den beiden Kantonen Baselstadt und Baselland. Aber auch die Kursteilnehmer zahlen ihren Beitrag: 600 Franken kostet der Jahreskurs. Pro Jahr entstehen zwei bis vier Produktionen, die erst in der kleinen Spielstätte des jtb, einem umgebauten Rossstall auf dem Kasernenareal in Kleinbasel, gezeigt werden. Oft geht es danach auf Gastspielreise durch die Schweiz oder auch auf internationale Festivals in Europa. Der Ruf des Hauses hat dazu geführt, dass es auch immer wieder Kooperationsprojekte mit renommierten Partnern wie der Ruhrtriennale, dem Schauspielhaus Zürich, dem Theater Basel oder dem Staatstheater Stuttgart gibt. Das Engagement des kleinen Basler Kinder- und Jugendtheaters wurde 2014 mit dem Schweizer Theaterpreis gewürdigt. Die Jury lobte damals: „Das junge theater basel erhält einen Theaterpreis 2014, denn was sie leisten, hält nicht kurz, sondern für eine Ewigkeit.“
Wie der Leistungsdruck das Theater bedroht
In Theaterzeitrechnungen mindestens eine halbe Ewigkeit ist Uwe Heinrich inzwischen Chef des jtb: Seit 19 Jahren leitet er die Geschicke der Bühne. In dieser Zeit sei sein Job weder leichter noch schwerer geworden, sagt er, sondern vor allem anders: „Der Leistungsdruck der Gesellschaft ist bei den Jugendlichen angekommen. Sie machen sich heute mit 15 Jahren schon Gedanken darüber, wann sie den Bachelor machen wollen“, sagt Uwe Heinrich. Das Theater verliere in der Gesamtbetrachtung von so etwas wie Karriereplanung an Bedeutung, befürchtet der Theaterpädagoge. In der Konsequenz merkt er das vor allem an einem Punkt: „Ich hab früher nie ein ‚Nein‘ gehört, wenn wir einen Jugendlichen in einer Produktion haben wollten. Jetzt überlegen sie schon sehr genau, ob sie die Zeit investieren können. Oder ob sie lieber etwas machen, was ihnen bei ihrer Karriereplanung nützlicher erscheint“, so Heinrich.
Trotzdem: Die Freude an der Arbeit mit den Jugendlichen ist bei ihm immer noch gross. „Ich mache das immer noch verdammt gerne. Es ist einfach toll zu sehen, wie sich die Jugendlichen in den einzelnen Projekten, aber auch darüber hinaus entwickeln“, sagt Uwe Heinrich.
«tanz:now 2019»: Das Programm im Überblick
22. & 23. März, 20.15 Uhr: Konzert Theater Bern «Just – Duett aus Vier Jahreszeiten» (Ch. Estefania Miranda); Lost cause (Ch. Sharon Eyal); Salve Regina (Ch. Jo Stromgren); Yidam (Ch. Ihsan Rustem)
29. & 30. März, 20.15 Uhr: Junges Theater Basel «What we are looking for»
25. & 26. April, 20.15 Uhr: Panorama Dance Theater (St. Gallen): «The Wisdom of the Crowd»
3. & 4. Mai, ab 18 Uhr: Screen Session mit den Asphalt Piloten: «Homies» (Haus zur Glocke); Filme aus dem Schweizer Tanzarchiv (Pavillon vor dem Theater); Urban Dance Kurzstücke, kuratiert von Olivia Marinoni (Bühne Phönix)
9. & 10. Mai, 20.15 Uhr: Compagnie Linga (Lausanne) «Flow»
Tickets für alle Veranstaltungen gibt es hier.
Das Festival: Zum 14. Mal holen die Kulturstiftung des Kantons Thurgau und das Phönix Theater mit dem Festival tanz:now einige Highlights des zeitgenössischen Tanzes aus der Schweiz nach Steckborn. Vom 22. März bis zum 10. Mai 2019 soll die nationale zeitgenössische Tanzszene durch ein paar wichtige VertreterInnen ihre Vielfalt und Vitalität in Steckborn zur Schau stellen.

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